Extra-Feiertage? Wenn religiöse Feste und Arbeit kollidieren
12. Oktober 2025
"Inhaltlich völlig unspektakulär" - so nennt der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe eine Regelung, die kürzlich für Aufregung sorgte. Rohe berät Politiker und war einst Mitglied der ersten "Deutschen Islam Konferenz". Welche Regelung ist gemeint?
Es geht um das norddeutsche Bundesland Schleswig-Holstein und einen Vertrag des Landesbildungsministeriums mit einem der größeren islamischen Verbände im Land. Der Vertrag schreibt die Möglichkeit des Sonderurlaubs für muslimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an einzelnen islamischen Feiertagen fest.
Empörung über "extra freie Tage"
Aufgeregt debattiert wurde über diesen unspektakulären Vertrag durchaus. Dafür sorgte die "Bild"-Zeitung, die als größte Boulevard-Zeitung des Landes häufiger Debatten oder Empörung auslöst. "In Schleswig-Holstein: Muslime bekommen zusätzliche Feiertage", titelte das Blatt. Im Text hieß es dann: "In Schleswig-Holstein können Muslime jetzt extra freie Tage bekommen."
Auch die "Welt", die wie "Bild" im Springer-Verlag erscheint, sprach von "zwei weiteren muslimischen Feiertagen" in Schleswig-Holstein. "Welt TV" ließ die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter zu Wort kommen, die rasch von "zwei weiteren Feiertagen extra nur für Muslime" sprach. Dabei hätten Muslime auch an christlichen Feiertagen frei. So würden künftig "andere benachteiligt, die keine Extra-Feiertage haben".
Aber: Es gibt gar keine "Extra-Feiertage" für Muslime in Deutschland. So klärt der Sprecher des Landesbildungsministeriums in Kiel darüber auf, dass der Vertrag des Landes mit dem "Landesverband der Islamischen Kulturzentren Norddeutschland" (VIKZ LZ Norddeutschland) die gültige Praxis klar regelt, aber kein neues Recht festschreibt.
Der kleine Schritt in Kiel und die Empörung - sie sind eine Momentaufnahme aus einer größeren deutschen Debatte um Integration und kulturelle Identität, bei der es auch um Feiertage geht. In Deutschland ist gesetzlich geregelt, an welchen Tagen die meisten Arbeitnehmer frei haben. Diese Tage heißen "gesetzliche Feiertage". Nur für einen Tag, den 3. Oktober als Nationalfeiertag, ist das per Bundesgesetz, also für ganz Deutschland einheitlich geregelt.
Bundesländer haben verschiedene Regeln für Feiertage
Bei den anderen Feiertagen, die meist religiöse Traditionen aufgreifen, sind die Bundesländer zuständig. Das macht viele Regelungen in Deutschland kompliziert.
Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag und an Ostermontag und Pfingstmontag haben alle Arbeitnehmer in Deutschland Anspruch auf einen freien Tag. Am nur für katholische Gläubige wichtigen Fest Fronleichnam im späten Frühling gibt es arbeitsfreie Tage nur in Bundesländern mit vielen Katholiken. Am evangelischen Fest "Buß- und Bettag" im November gilt gleiches für Länder mit vielen evangelischen Christen.
Diese Regeln wurden vor vielen Jahrzehnten festgeschrieben. Religiöse Verhältnisse und Erwartungen können sich ändern. Beispiel Fronleichnam in Schleswig-Holstein. Dort ist dieses Fest kein gesetzlicher Feiertag.
Wenn aber ein katholischer Christ an diesem Tag nicht arbeiten will, sondern in den Gottesdienst gehen und Einkehr halten möchte, dann kann er bei seinem Arbeitgeber Sonderurlaub beantragen, dem nach Möglichkeit stattgegeben werden sollte. Unbezahlten Sonderurlaub. In Zeiten von Arbeitszeitkonten und Gleitzeit werden solche Ansprüche meist anders geregelt.
Exakt das erfolgt in Schleswig-Holstein nun für zwei religiöse Festtage der Muslime. Für den ersten Tag des Ramadan und den ersten Tag des Opferfestes könnten Beamtinnen und Beamte, Beschäftigte sowie Schülerinnen und Schüler "freigestellt werden", erläutert das Landesministerium. Das geschehe im Sinne des Sonn- und Feiertagsgesetzes sowie des Schulgesetzes. Und das regelt Freistellung bei Lohnverzicht.
Verweis auf die Religionsfreiheit
Deswegen nennt der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe im DW-Gespräch den Vertrag von Kiel "im Hinblick auf die Feiertagsregelung inhaltlich völlig unspektakulär". Er nehme "eine ohnehin gängige Rechtspraxis" auf.
Das würdige die "grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit der muslimischen Bevölkerung angemessen". Diese Klarstellung sei für Behörden und Organisationen hilfreich, weil "die Einzelheiten der Rechtspraxis nicht überall bekannt" seien.
Schulkinder können für religiöse Feste frei bekommen
Was gilt an den Schulen? Nachfrage beim Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin. Bildungs- und Schulpolitik fällt im deutschen Föderalismus, dem komplizierten Gegenüber von Bund und 16 Ländern, in die Zuständigkeit der Länder. Das KMK-Sekretariat verweist auf die Regeln einzelner Bundesländer und schickt Erläuterungen.
Diese zeigen: In aller Regel können Schulkinder für die Ausübung religiöser Feste schulfrei bekommen. Bayern nennt für jüdische Kinder fünf religiöse Feste, die meist über zehn Schultage erfordern, für muslimische Kinder zwei Feste an bis zu vier Schultagen, für christliche Kinder aus orthodoxer Tradition sieben Festtage an bis zu sieben Schultagen.
Nicht völlig identisch, aber sehr ähnlich verhalten sich die meisten Länder. Manchmal, so beispielsweise in Hamburg oder Rheinland-Pfalz, sind auch Feiertage der Aleviten angeführt.
Im ostdeutschen Thüringen werden nur christliche Feiertage genannt. Ansonsten heißt es: Der "Interkulturelle Kalender" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) biete Orientierung für hohe religiöse Feiertage, die für Familien mit Migrationshintergrund von Bedeutung sein könnten.
Das zeigt: Im schulischen Bereich sind solche Regelungen bundesweit schon konkreter festgeschrieben als beim Thema Arbeit, bei dem Schleswig-Holstein nun aktiv wurde. In Bundesländern mit einer größeren Zahl muslimischer Bürger wie Nordrhein-Westfalen und Berlin finden sich ähnliche Klarstellungen.
Für Schulen sind Regelungen drängender als im Arbeitsmarkt: Denn Schülerinnen und Schüler oder Studierende können - anders als Arbeitskräfte - nicht flexibel Urlaubstage nehmen oder Überstunden einplanen. Das Tikvah-Institut, das sich für jüdische Perspektiven einsetzt, wirbt bei den Bundesländern dafür, bei den Terminen für Klausuren an Hochschulen wichtige jüdische Feiertage zu berücksichtigen.
Zentralrat der Muslime: keine Bevorzugung
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Abdassamad El-Yazidi, begrüßt Klarstellungen: "Tatsächlich geht es nicht um eine Bevorzugung von Muslimen und Musliminnen", sagt er der DW, sondern um die Möglichkeit, an religiös bedeutsamen Tagen Urlaub zu nehmen oder eine unbezahlte Freistellung zu beantragen, "wie es auch Angehörigen anderer nicht-christlicher Religionsgemeinschaften zusteht".
Es sei aber besorgniserregend, dass manche Akteure und Medien immer wieder Gelegenheiten nutzten, um Vorurteile gegenüber muslimischen Mitbürgern zu verstärken. Stattdessen sei respektvolles Miteinander in einer vielfältigen Gesellschaft notwendig.
Übrigens hat auch die "Bild"-Zeitung das Thema wenige Tage später erneut aufgegriffen. Jetzt aber hieß es: "Wirbel um Regierungsmeldung: Extra-Feiertage für Muslime? Das steckt dahinter". Und einige Zeilen später: "Arbeitsrechtliche Vorteile für Muslime ergeben sich daraus nicht."