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Extreme E - Rennen am Abgrund der Welt

Gerhard Sonnleitner
1. April 2021

Dort, wo die Natur unseres Planeten schon besonders stark zerstört ist, geht eine neue Rennserie mit vollelektrischen Offroad-Autos an den Start - um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Automobil-Rennserie Extreme E
Bild: Charly Lopez/Spacesuit Media/picture alliance

Von Jahr zu Jahr wird die Dürre in Saudi-Arabien extremer. Das ist der Grund, warum die Macher der Rennserie "Extreme E" für den Startschuss des neuen Motorsport-Formats am 3. und 4. April die Wüste Al Ula in dem Golfstaat ausgewählt haben. In der ersten Extreme-E-Saison wird der Renntross anschließend zu vier weiteren Orten ziehen, an denen der Klimawandel schon jetzt verheerende Folgen hinterlassen hat: überflutete Strände im Senegal, schmelzende Gletscher in Grönland, Argentinien und im Himalaya sowie verdorrte oder abgebrannte Regenwälder am Amazonas.

Orte, an denen die Natur längst den Kampf gegen die Folgen der Zivilisation verloren hat, werden in Rennpisten verwandelt. 550 PS starke Offroader mit batterieelektrischem Antrieb liefern sich harte Duelle, um ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen. Doch Alejandro Agag, der Organisator von Extreme E, will nicht nur die Welt retten - er will auch die Welt des Sports verändern: "Motorsport muss reflektieren, was in der Gesellschaft passiert", sagt der Spanier, der auch schon die elektrische Formel-E-Rennserie erfunden hat. "In unserer Gesellschaft gibt es 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen. Im Motorsport haben wir 99 Prozent Männer. Ich finde, es müssen einfach mehr Frauen im Motorsport mitmachen."                              

                                                                                         

Gleichberechtigung hinter dem Steuer

Jedes der neun Teams muss abwechselnd einen Mann und eine Frau hinter das Steuer setzen. Bei den Rennen eines Events, das sich über zwei Tage zieht und bei dem sich die Teams über mehrere Qualifikationsrennen bis ins Finale kämpfen können, sind 50 Prozent der Cockpits mit Frauen besetzt. Sarah Price, die für das US-Team Chip Ganassi an den Start geht, ist begeistert: "Wir schreiben Geschichte, das ist eine Revolution. Denn zum ersten Mal können sich Frauen mit Männern im Motorsport wirklich unter den völlig gleichen Bedingungen messen." Und Alejandro Agag ist überzeugt: "Das ist auch phantastisch für die Show bei einem Autorennen."

Spektakuläre Kulissen

Der Organisator will mit einem Riesenspektakel möglichst viele Menschen erreichen. Deshalb hat er die ganze Welt bereist, auf der Suche nach dramatischen Hintergründen für seine Offroad-Rennen. Orte wie Kangerlussuaq auf Grönland, wo riesige Gletscher sich immer mehr in Schotterfelder verwandeln. "Vor einem schmelzenden Gletscher, der aussieht wie die 'Wall of North' in „Game of Thrones" fahren elektrische Autos ein Rennen", sagt Agag. "Das ist die spektakulärste Umgebung, in der Motorsport je über die Bühne ging."

Inlandeis bei Kangerlussuaq auf GrönlandBild: Reinhard Kungel/picture-alliance

Und um die Show perfekt in Szene zu setzen, hat er ein hochkarätiges Team um sich geschart: Hollywoodstar und Oscar-Preisträger Fisher Stevens entwickelt für Extreme E völlig neue TV Formate, bei denen Motorsport mit Geschichten der Region und ihrer Menschen verwoben wird. Der Abenteurer und Ökologe David Mayer de Rothschild ist für die nachhaltige Umsetzung des Mega-Events zuständig. Mit einer Gruppe von Wissenschaftlern erarbeitet der Brite Konzepte für die Wiederherstellung beschädigter Ökosysteme an den Orten, an denen die Rennen stattfinden. Jeder Motorsportfan kann dann etwa für Aufforstungsprojekte im Amazonas-Regenwald.

Schwimmendes Fahrerlager

Mayer de Rohtschild ist auch für die Logistik von Extreme E verantwortlich: Ein 7000 Tonnen schweres ehemaliges britisches Postschiff transportiert Autos, Equipment und Personal zu den Rennorten und wird dort als "schwimmendes Fahrerlager" eingesetzt. Auch wenn das Schiff mit grünen Technologien modernisiert wurde, wird der Koloss nicht ganz ohne fossile Energieträger an seine Ziele kommen.

Das frühere Postschiff "St. Helena" wird zum Fahrerlager der Rennserie Extreme EBild: Tom Hunwicke/extreme-e/dpa/picture alliance

Ohnehin häufen sich kritische Stimmen zu dem Motorsportprojekt: Muss man wirklich am Ende der Welt Autorennen veranstalten - ein Abenteuer, das letzten Endes doch nicht ohne CO2-Emissionen auskommt? "Für alles gibt es immer irgendeine Kritik", sagt Nico Rosberg. "Wenn wir wirklich komplett mit null Emissionen leben wollen, dann müssen wir uns in Höhlen verkriechen. Wir müssen aber auch mal mutige, große Schritte nach vorne wagen, die langfristig viel mehr Positives bewirken, als sie Schaden anrichten."

Mehrere Weltmeister am Start

Der Formel-1-Weltmeister von 2016 hat ein Team für Extreme E gegründet. Rosberg findet sich in illustrer Gesellschaft, Prominenz aus allen Bereichen des Motorsports gibt sich bei der elektrischen Serie ein Stelldichein. Jenson Button, Formel-1-Weltmeister von 2009, sitzt selbst hinterm Steuer, ebenso der neunmalige Rallye-Weltmeister Sebastien Loeb. Und Nico Rosberg trifft wieder einmal auf seinen Erzrivalen Lewis Hamilton. Der siebenfache Formel-1-Weltmeister erfüllt sich als Chef eines eigenen Teams bei Extreme E einen ganz persönlichen Traum: "Dieses Engagement kommt wirklich ganz tief aus meinem Herzen, da steckt wirklich Leidenschaft dahinter. Es ist eine einmalige Gelegenheit, die beiden Sachen, die ich am meisten liebe, zusammenzubringen: Rennfahren und die Natur auf unserer Erde!"

Rosberg (l.) und Hamilton 2016 während ihrer gemeinsamen Formel-1-Zeit bei MercedesBild: DW/Mercedes

Nico Rosberg ist überzeugt, dass die Neuauflage seines Duells mit Lewis Hamilton wieder ziemlich spannend wird. "Keiner von uns will Zweiter werden", sagt der 35-Jährige. "Aber das Tolle ist ja: Je härter und intensiver wir gegeneinander kämpfen, desto spannender werden die Rennen. Und durch spannende Rennen erzeugen wir Aufmerksamkeit - Aufmerksamkeit auch für die Umweltprobleme an diesen Orten." 

Die Show muss weitergehen, auch am Abgrund der Welt. Und mittlerweile diskutieren Motorsportfans schon fast genauso aufgeregt über Pro und Contra von Extreme E wie über den neuen Unterboden am Formel-1-Auto von Lewis Hamilton.

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