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Politik

G20: "Das Gewaltpotenzial ist da"

Wolfgang Dick
3. Juli 2017

Für den G20-Gipfel in Hamburg erwarten Sicherheitsexperten heftige Gegendemonstrationen. Wie weit es gehen könnte und was das für linke Parteien bedeutet, erklärt Politikwissenschaftler Klaus Schroeder im DW-Interview.

Hamburg G20 Protest-Camp in Entenwerder
Bild: picture-alliance/dpa/B. Marks

DW: Herr Professor Schroeder, es heißt, der G20-Gipfel könnte vor allem von "linken Gruppierungen" gestört werden. Von welchem Teil der sogenannten Linken geht Ihrer Meinung nach die größte Gefahr aus? 

Klaus Schroeder: Man darf auf keinen Fall "die Linken" alle in einen Topf werfen. Sie fühlen sich zwar alle als links, unterscheiden sich aber in ihren Motiven und Zielen. Es geht nicht um die gemäßigte Linke, wie sie etwa die Grünen darstellen. Es geht auch weniger um die Linksradikalen. Sie wollen zwar einen Schritt weiter gehen und möchten den Kapitalismus überwinden, abschaffen oder zumindest eindämmen, wie zum Beispiel Sahra Wagenknecht, die sich eine Art DDR-light wünscht, eine reformierte DDR, wo die großen Unternehmen verstaatlicht sind, aber kleine und mittlere agieren können.  

Es geht wohl eher um die Linksextremisten. Sie wollen nicht nur den Kapitalismus abschaffen, sondern das politische System insgesamt. Sie sind nämlich der Meinung, dass die parlamentarische Demokratie nur ein Ausdruck des Kapitalismus ist - und das kann umschlagen in Faschismus. Sie wollen die Herrschaftsform verändern, das System grundsätzlich umkrempeln. Sie wollen den Pluralismus abschaffen. Das ist extremistisch. Es ist gegen die Verfassung gerichtet. Es ist gegen das System insgesamt gerichtet und plädiert für eine Revolution. Das geben diese Gruppen ja auch offen zu. 

Wie groß ist diese Gruppe der Linksextremisten? 

Sie ist nicht sehr groß. Es sind vielleicht 20.000 bis 30.000 Leute. Sie haben noch Sympathien in Teilen der Bevölkerung, vor allem in der älteren Bevölkerung Ostdeutschlands. Darunter sind dann auch gewaltbereite Linksextremisten, vielleicht 8.000 bis 10.000. Die können die soziale und politische Stabilität der Bundesrepublik nicht erschüttern. Sie können aber Angst und Schrecken durch ihre Aktionen verbreiten. Durch Psychoterror. Durch Meinungsterror. Aber auch durch gewalttätige Angriffe auf Personen. Sie sind ein Ärgernis. Sie stören auch die Zivilgesellschaft, aber sie sind keine Bedrohung. 

Warum entzündet sich der Protest der Linksextremen ausgerechnet am G20-Gipfel?

Der G20-Gipfel ist für Linke aller Schattierungen symbolisch: der Weltkapitalismus, die Globalisierung. Da man die Weltrevolution, die Weltveränderung will, greift man diese Zusammenkunft an, das hat ja Tradition. 2007 in Heiligendamm hat die linke Szene mobilisiert und die gewalttätigen Linksextremisten sind offensiv gegen die Polizisten vorgegangen. Das hat zu einer erneuten Militanz-Debatte innerhalb der Linken geführt und die gewalttätige Szene ermuntert, weiterzumachen. Jetzt mobilisiert man seit Monaten schon gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Fast täglich kann man Kommandoerklärungen auf der Internetseite "Linksunten Indymedia" lesen, in denen gesagt wird, dass Auto X von X angezündet wurde - als Vorbereitung auf den Gipfel.  

Klaus Schroeder: "Wenn sich linke Parteien nicht distanzieren, wird es ihnen schaden"Bild: FU Berlin

Inwieweit könnte sich die Gewalt nicht nur gegen Sachen, sondern gegen Menschen richten?

Sie richtet sich ja jetzt schon gegen Menschen. AfD-ler und Burschenschaftler werden zusammengeschlagen. Leute, die man für rechts hält oder die wirklich rechtsextrem sind, werden zusammengeschlagen. Der Feind, der geoutet und ins Visier genommen wird - da nimmt man jetzt schon keine Rücksicht. Man hat noch die Schwelle, dass man Leute nicht umbringt, wie es linksterroristische Gruppen in den 70er und 80er Jahren getan haben, aber die Feinderklärung ist da - und man erklärt bestimmte Leute für vogelfrei.

In anderen Ländern, zum Beispiel in Italien, hat es eine andere Tradition. Die Roten Brigaden haben viel intensiver und schneller Menschen und Systemträger angegriffen, Knie zertrümmert oder angeschossen. Davon sind wir jetzt weit entfernt, aber das Potenzial ist da, und vieles ist situativ bedingt. Wenn Dinge geschehen, die die linke Szene und vor allem die Linksextremisten in Wallung bringen, kann es sehr wohl sein, dass es auch zu Gewalt gegen Personen kommt. Zum G20-Gipfel werden die Sicherheitsvorkehrungen so hoch sein, dass da nicht viel geschehen kann nach menschlichem Ermessen. Aber es wird dann im Umfeld etwas geschehen, da wo die Sicherheitskräfte nicht damit rechnen, da werden sich die Linksextremen sicherlich so vorbereiten, dass sie nicht in die Falle der Polizeistrategie laufen.

Wie gut vernetzt sind die Linksextremen?

Sie sind punktuell und europaweit vernetzt. Bei der Eröffnung der EZB in Frankfurt haben ja Militante aus Italien gezeigt, welches Aggressionspotenzial sie haben, als sie morgens unerwartet randalierend durch die Innenstadt zogen. Linksextremisten dürften sogar besser vernetzt sein als die Rechtsextremisten - oder mindestens genauso gut. 

Aber gerade hier gibt es sehr viele Vorbehalte gegen Gewalt. Es gibt sicherlich interne Diskussionen, in denen viele Linksradikale sagen, wir schaden uns durch solche Aktionen eigentlich nur. Gewalt, die sich erkennbar gegen das System richtet, wird sicherlich breit akzeptiert. Aber Gewalt, bei der die "normale Bevölkerung" betroffen ist, wird von den besonnenen Linksradikalen und Linksextremisten abgelehnt. Aber ob diese Kräfte das unter Kontrolle halten können, was kleine Gruppen machen, wage ich zu bezweifeln.

Wir sind im Bundestagswahlkampf. Inwieweit schaden Gewaltakte von Linksextremen auch Parteien wie der SPD, den Grünen oder der Linken?

Die Bevölkerung kann sehr wohl differenzieren zwischen diesen Gewalttätigen, die sie für Chaoten und Randalierer hält, und linken Politikern, die zivilisiert auftreten und nach Reformen streben. Da denke ich schon, das wird den Parteien nicht schaden. Wenn es jetzt zu größeren Ausschreitungen kommt beim G20-Gipfel und die Grünen und die Linke sich nicht entschieden und vehement davon distanzieren, dann könnte es ihnen schaden. Solche Anschläge - wie jüngst gegen die Bundesbahn - sind natürlich schädlich für die Stimmung, weil die Leute persönlich betroffen sind. Sie haben Verspätungen, kommen nicht zur Arbeit oder können gegebenenfalls die Kinder nicht von der Kindertagesstätte abholen. Das sind Aktionen, die sicherlich Unwillen hervorrufen. Da muss eine Distanzierung erfolgen, wenn es nicht für die beiden Parteien, die Grünen gleichermaßen wie die Linke, zu Verärgerung und zu einem Abstrafen bei der Bundestagswahl kommt. Nun darf man aber auch nicht vergessen, dass die Jugendorganisationen, die Grüne Jugend und die Jusos, ja in sehr vielen Bündnissen mit Linksextremisten gemeinsame Sachen machen. Die Distanzierung von Gewalt fällt da spärlich aus - oder ist nicht vorhanden.

Klaus Schroeder ist Politikwissenschaftler und Zeithistoriker. An der Freien Universität Berlin leitet er den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und lehrt als Professor am Otto-Suhr-Institut.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.

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