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Wie Bäume Städten im Klimawandel helfen

27. Juli 2020

Immer mehr Menschen leben in Städten. Deswegen brauchen wir dort immer mehr Platz - und zwar für Bäume, sagen Ökologen. Sie mindern nicht nur Abgase und Hitze, sondern fördern auch die psychische Gesundheit der Städter.

Luftaufnahme: Berlin von oben - die grüne Stadt
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Wohnhäuser, Bürogebäude, Autos, Häuser, Straßencafés, Bushaltestellen, Radwege: In Städten bleibt oft nur wenig Platz - auch für die Natur. So lebten Stadtbäume im beständigen Kampf um ausreichend Platz, sagt Sonja Dümpelmann, Landschaftshistorikerin an der University of Pennsylvania. Und das, obwohl ihnen in den Städten überall auf Welt eine entscheidende Rolle zukomme. 

Bereits jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2050 werden voraussichtlich weitere 2,5 Milliarden Menschen dazukommen -  der Wettbewerb um Raum in den Städten wird also steigen. Gerade vor diesem Hintergrund aber ist es laut Experten entscheidend, Bäume nicht mehr nur als eine rein ästhetische Bereicherung in Städten zu betrachten. 

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Die kühlende Kraft der Bäume

Denn Bäume sind wahre Kraftwerke, wenn es darum geht, das städtische Mikroklima zu regulieren: Sie filtern die Luft und absorbieren CO2, sie spenden Schatten und saugen über ihr starkes Wurzelwerk viel Wasser auf, was die Gefahr von Sturzfluten nach Starkregen mindern kann. Vor allem aber wirken sie abkühlend und mildern so den städtischen Hitze-Insel-Effekt. Weil Steine und Beton sich besonders stark aufheizen und die Hitze nur langsam wieder abgeben, ist es in Städten üblicherweise deutlich heißer als in den umliegenden ländlichen Gebieten.

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Wenig Grün in Nigerias Hafenstadt Lagos Bild: picture-alliance/dpa/EPA/A. Esiebo

"Bäume können die Temperatur einer Stadt enorm beeinflussen", sagt Tobi Morakinyo. Der Stadtklimatologe erforscht die kühlende Wirkung von Bäumen in Akure, im Südwesten Nigerias. Seine Studien zeigen: Werden Bäumen zur Beschattung von Gebäuden eingesetzt, kann man diese um bis zu fünf Grad Celsius abkühlen.

Gerade für afrikanische Städte, die wie Akure südlich der Sahara liegen und in denen die durchschnittlichen Höchsttemperaturen im Sommer selten unter 38 Grad liegen, sei dieser Kühleffekt von Bäumen ein wichtiges und vor allem preiswertes Instrument gegen den Hitzestress.

Bäume bieten Bodenhaftung in wachsenden Städten

Und Stadtbäume hätten noch weit mehr als diese "Ökodienstleistungen" zu bieten, fügt Cris Brack, Waldökologe an der Australian National University und Direktor des National Arboretum in Canberra, hinzu. "Sie bieten Biodiversität, Ästhetik und stillen unser tiefsitzendes Bedürfnis, Natur um uns zu haben", so Brack im Gespräch mit der DW. Er bezieht sich dabei auf den Begriff der "Biophilie" - den  angeborenen Wunsch des Menschen, sich mit der Natur zu verbinden. Tatsächlich zeigen immer mehr Untersuchungen, dass Menschen, die an Orten mit mehr Bäumen leben, weniger Stress empfinden und seltener an psychischen Erkrankungen leiden als Menschen, die in einer baumlosen Umgebung wohnen.

Die Blütenpracht der japanischen Zierkirsche in Tokio entspannt schon beim BetrachtenBild: Getty Images/T. Ohsumi

Unser Bedarf an Bäumen in den Städten steigt also. Doch Stadtbäume befinden sich "in einem beständigen Kampf" um Platz, sagt Brack. Wasserleitungen, Straßen und Tiefgaragen beeinträchtigen das Wachsen ihrer Wurzel, oberirdisch sind sie Staub und Abgasen ausgesetzt. Dazu kämen mechanische Erschütterungen durch den Verkehr, zunehmend extreme Witterungen und Schädigungen des Wurzelwerks durch Baustellen.

Massives Baumstreben durch Wassermangel

Die vielleicht größte Bedrohung für Stadtbäume, sagt Somidh Saha, städtischer Waldökologie am Institut für Technologie in Karlsruhe, sei die Dürre. Nach der beispiellosen Hitzewelle in Europa 2018, stellte eine Studie des örtlichen Gartenbauamtes fest, dass ein Drittel aller in den letzten vier Jahren in Karlsruhe gepflanzten Bäume wegen Wassermangels eingegangen sind.

Stadtbäumen macht vor allem Wassermangel zu schaffen, wie diesen Bäumen in BerlinBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

"Ohne genügend Wasser werden Bäume schwach, und das macht sie anfällig für Krankheiten", erläutert Saha im DW-Interview. Gleichzeitig führe der Rückgang von Vögeln und Fledermäusen dazu, dass sich Schädlinge ausbreiteten und die wiederum befielen dann die Bäume und schwächten diese.

In mehreren Megastädten rund um den Globus sind in den vergangenen Jahren ehrgeizige Begrünungsprojekte entstanden - New York City pflanzte zwischen 2007 und 2015 eine Million Bäume; Londons Bürgermeister Sadiq Khan möchte mehr als die Hälfte der britischen Hauptstadt bis zum Jahr 2050 begrünen, um als weltweit erste "National Park City" in die Bücher einzugehen und Paris will bis Ende 2020 vier innerstädtische Stadtwälder errichtet haben.

Vor allem im globalen Süden kämpfen Stadtbewohner mit zunehmendem Hitzestress und steigenden KühlkostenBild: picture-alliance

Außerhalb des globalen Nordens aber, etwa in Indien, der Heimat von Waldökologe Saha oder in Nigeria, wo Stadtklimatologe Tobi Morakinyo lebt, sieht man nur selten Bäume im Stadtbild. Hier fehlt den Gemeinden vielfach schlicht das Geld, um sich um mehr städtisches Grün kümmern zu können.

Plädoyer für fremde Baumarten

Auch verlangen steigende Temperaturen und Starkregenfälle als Folgen des Klimawandels eine immer größere Widerstandsfähigkeit der Stadtbäume. Nach Ansicht von Ökologen müssen Städte weltweit auf solche Baumarten setzen, die besser an Hitze und die künstliche Umgebung einer Stadt angepasst sind. Das aber sind häufig Arten, die in den jeweiligen Regionen gar nicht heimisch sind, wie etwa der dreizähnige Ahorn, der ursprünglich in China, Korea und Japan beheimatet ist.

Zwar sträuben sich viele Menschen gegen die Idee, nichteimische Arten zu pflanzen. Doch die Ökologen Brack und Saha sehen hierin eine große Chance. Zum einen bestehe ein wichtiger Unterschied zwischen "nicht heimischen" Bäumen und "invasiven" Bäumen, die für die heimische Flora schädlich seien, da sie sich mangels Fressfeinden schnell verbreiten und heimisch Arten verdrängen könnten.

Der Bois De Vincennes am Rande von Paris - in der französischen Hauptstadt sollen deutlich mehr solcher Grünflächen entstehenBild: picture-alliance/Photo12/G. Targat

Um zu sehen, wie die einheimische Tierwelt mit fremden Baumarten zurechtkommt, führt das Team von Waldökologe Sahas derzeit Studien in Deutschland durch. Sein australischer Kollege Brack berichtet, dass in seiner Heimatstadt Canberra fast alle Stadtbäume "Exoten" sind - dennoch würden ihre Früchte von heimischen Vögeln verspeist, auch Baumsäugetiere siedelten sich in ihnen an.

Bürger für Bäume

Eine Lösung zur Erhaltung von Stadtbäumen, die in den letzten Jahren an Popularität gewonnen haben, ist die Beteiligung der Bürger an der städtischen Baumpflege. In New York City etwa können Stadtbewohner Kurse belegen, um offizielle Stadtbaumpfleger zu werden. In Berlin, wo man die Bürger von der Pflege der städtischen Flora bislang immer ausgeschlossen hatte, rief die Stadtverwaltung die Anwohner auf, im Sommer die Bäume vor ihrer Haustür zu gießen. Außerdem können Bürger mittlerweile Genehmigungen für die Pflege von Baumbeeten beantragen.

In den Hitzesommern 2018 und 2019 riefen viele Städte in Deutschland ihr Bewohner auf, Straßenbäume zu gießenBild: picture-alliance/dpa/C. Völker

Eine solche Einbeziehung der Bürger habe Vor- und Nachteile, sagt Landschaftshistorikerin Dümpelmann. Wie wirksam sie sei, hänge vielfach von der Kultur der Stadt ab. Aber das Gießen von Bäumen "hat sich als wirklich relevante Pflegemaßnahme erwiesen". Zwar könne das Pflanzen und die Pflege von Stadtbäumen die Ursachen des Klimawandels nicht lösen, dennoch sei es eine effektive und relativ einfache Möglichkeit, Städte besser an den Klimawandel anzupassen. "Es ist etwas, woran wir arbeiten sollten, während wir gleichzeitig die Ursachen angehen sollten", so Dümpelmann. 

Jenseits der klimatischen Vorteile könne ein Mehr an Bäumen bei Stadtbewohnern ein größeres Verständnis für die Natur schaffen. "Das bedeutet, Bäume als lebende, wachsende Wesen zu sehen, die ebenso wenig immun gegen die Stressoren des Stadtlebens sind, wie die Menschen", hofft Waldökologe Brack.

Natur also als Teil des Stadtlebens statt "hier die Stadt" und "dort die Natur". 

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, dass Somidh Saha Co-Author der Studie zu toten Bäumen in Karlsruhe ist. Die ist nicht korrekt. Die Studie wurde vom Gartenbauamt erstellt.

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