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Öl-Industrie: Aufstand der Aktionäre

Tim Schauenberg
5. Juli 2021

Investoren fordern mehr Nachhaltigkeit von Öl-Giganten. Nicht nur der Umwelt zuliebe, denn ihnen drohen Verluste in Billionen-Höhe, wenn die Öl-Industrie die Energiewende verschläft.

Logos der Ölkonzerne Shell Exxon Chevron mit rauchenden Schornsteinen
Aktionäre machen ihre Einfluss geltend um Ölgiganten zum Umsteuern zu bewegenBild: STRF/STAR MAX/IPx/picture alliance

Es kam einem Beben in der Öl- und Finanzindustrie gleich. Aktionäre von ExxonMobil, dem zweitgrößten Öl-Unternehmen der Welt, wählten in einer Kampfabstimmung Ende Mai drei Kandidaten des Hedgefonds Engine No. 1 in das zwölfköpfige Vorstandsgremium.

Der Fond hält gerade einmal 0,02 % der Anteile an ExxonMobil und hatte damit geworben, die Energiewende des Konzerns zu beschleunigen und damit die Profitabilität von Exxon auch langfristig zu sichern.

"Die Aktionäre haben gesprochen und die Botschaft ist klar. Es ist Zeit für die Rechenschaftspflicht der Vorstände. Wir brauchen klimakompetente Vorstände, die bereit und in der Lage sind, die Energiewende voranzutreiben", so Anne Simpson vom kalifornischen Pensionsfond CalPERS gegenüber der DW.

Die drei größten Pensionsfonds der USA: CalPERs, der Pensionsfond kalifornischer Lehrer CalSTR und der New York State Common hatten die Initiative ebenso unterstützt wie Black Rock, der größte Vermögensverwalter der Welt und zweitgrößter Aktionär bei Exxon. "Die Abstimmung bei Exxon markiert eine neue Ära an den Finanzmärkten, in der sich Investoren wie Eigentümer verhalten", so Simpson weiter.

Unternehmen ohne Klimastrategie müssten sich verändern, heißt es in einem Statement von CalSTR an die DW. "Aktionäre haben die Macht, selbst bei den widerspenstigen Unternehmen Veränderungen herbeizuführen, […] und zur nachhaltigen Entwicklung ihrer Investitionen beizutragen."

Die Macht der Aktionäre in Großkonzernen

Auch andere Konzerne spüren den Druck von sogenannten "Impact-Investoren", die sich für eine nachhaltige Unternehmensstrategie einsetzen. Auch beim US-Ölriesen Chevron sprachen sich Ende Mai 61 Prozent der Anteilseigner dafür aus, die Emissionen des Unternehmens drastisch zu senken. Das Votum ist zwar nicht bindend, aber ein deutliches Zeichen an die Konzernführung: Immer mehr Aktionäre wollen mehr Klimaschutz.

Auch die Aktionäre des Öl-Riesen Chevron wollen, dass er nachhaltiger wirdBild: H. Blossey/blickwinkel/picture alliance

Bereits im vergangenen Jahr hatte sich der französische Öl-Konzern Total ein Null-Emissionsziel bis 2050 gesetzt. Dem waren Verhandlungen mit Investoren vorausgegangen, die einen deutlichen Kursschwenk forderten – mit Erfolg. Die Initiatoren sind Teil der ClimateAction100+, einem Netzwerk von über 500 Investoren, verantwortlich für 54 Billionen Dollar Vermögenswerten. Sie drängen darauf, die Emissionen in Großunternehmen auf Linie mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu bringen.

Auch BASF, Shell, General Electric, Eni, BP und Occidental Petroleum haben auf Druck der Lobbygruppe Schritte in Richtung Emissionssenkungen angekündigt.

Es geht nicht nur ums Klima. Wer sich nicht anpasst, läut in Zukunft Gefahr Verluste mit Öl, Gas und Kohle zu machenBild: Richard Drew/AP/dpa/picture alliance

"Jedes große Öl- und Gasunternehmen wird sich an die globale Energiewende anpassen müssen - das ist harte Realität, auch wenn nicht alle Managements diese Tatsache erkennen. Das bedeutet, weniger in die Öl- und Gasproduktion und mehr in kohlenstoffarme Energie zu investieren", erklärt Pavel Molchanov, Finanzanalyst der Beratungsfirma Raymond James.

Noch im Oktober hatte Exxon-CEO Daren Woods die Behauptung zurückgewiesen, dass der Klimawandel eine langfristiges Risiko für die Branche darstellt. In einem kürzlich erschienen Greenpeace-Video mit versteckter Kamera gibt ein Exxon-Lobbyist sogar zu, wie der Konzern mit "Schattengruppen" gegen mehr Klimaschutz vorgeht und einer CO2-Steuer nur zustimmt, weil man diese für politisch nicht durchführbar hält. Exxon entschuldigte sich vergangene Woche dafür. 

Öl, Gas und Kohle könnten bald Geld verbrennen

Aktionäre und Analysten schätzen die Geschäftsrisiken durch den Klimawandel anders ein. Denn es geht nicht nur ums Klima, sondern auch um viel Geld. Wenn Anleger per Dividende an den Profiten beteiligt werden sollen, muss ein Unternehmen vorher Gewinne erwirtschaften. Exxon etwa machte im vergangenen Jahr 22 Milliarden US-Dollar Verluste. Die Kampagne von Engine No. 1 konzentrierte sich vor allem darauf, wie das Unternehmen in Zukunft noch profitabel sein kann. Die Energiewende des Konzerns könnte dafür entscheidend sein.

"Das ist keine Klimaorganisation, das ist ein Hedgefond, der von Renditen lebt", stellt Mike Coffin Finanzanalyst der NGO Carbon Tracker klar. Doch obwohl das finanzielle Risiko von Investitionen in Öl, Gas und Kohle stetig wächst, werden weiter hunderte Milliarden Dollar jährlich in Projekte fossiler Energieträger gesteckt.

Die Umwälzungen der vergangenen Jahre seien erst der Anfang, sagt Coffin. "Die Energiewende wird sich beschleunigen. Es ist sehr schwer vorherzusagen, was in den nächsten Jahren passieren wird. Und genau hier liegt das Risiko."

Und das ist beträchtlich. Berechnungen zeigen: selbst wenn heute drastische Maßnahmen ergriffen werden, drohen Investitionen von 10 Billionen Dollar im Öl-, Gas- und im Gebäudesektor zu "strandet assets” zu werden, zu Investitionen, die Verluste statt Profite generieren. Etwa zwei Prozent des weltweiten Wohlstands (Stand 2015) würden so durch schlechte Risikoplanung im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt.

Seit 2016 wird auch in der Arktis nach Öl gebohrt. Hier die russische Prirazlomnaya offshore PlattformBild: picture-alliance/AA/S. Anisimov

Exxon-Coup auch in Europa möglich?

Eine Abstimmung wie bei Exxon in den USA wäre in Europa derzeit kaum vorstellbar, erklärt Guillaume Prach, Geschäftsführer von Better Finance, der Interessenvertretung europäischer Aktionäre.

Das liege zum einen daran, dass viele Investoren Kapital aus klimakritischen Firmen abziehen, statt sich dort für einen Wandel einzusetzen. Die Folge: Investoren ohne Nachhaltigkeits-Ziele kaufen sich billig bei diesen Unternehmen ein, damit gehe der Einfluss kritischer Investoren verloren, so Prache. "Was wird passieren, wenn sie mehrheitlich im Besitz von chinesischen oder nahöstlichen Geldgebern sind? Glauben Sie, dass gewaltiges Kapital eingesetzt wird, um die Energiewende zu beschleunigen? Da bin ich mir nicht so sicher."

Die Protest-Bewegung Extinction Rebellion fordert das Abziehen von Kapital, damit das Öl im Boden bleibtBild: Vuk Valcic/SOPA Images/Zuma Wire/picture alliance

Außerdem sei es für Privatanleger in der EU deutlich schwieriger sich zu engagieren, Beschlüsse zu verfassen und mitzubestimmen. Diese Verfahren müssten gerade mit Blick auf die junge Generation einfacher und digitaler werden. "Gebt den Kleinanlegern die Macht, ihre Rechte auszuüben. [...] diese Leute werden, wie bei Exxon, auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der Unternehmen setzen, und nicht auf das alte Wirtschaftssystem", sagt Prache. "Was bei Exxon passiert ist, wird auch hier passieren".

Erstmal keine Windräder statt Öl

Trotz des wegweisenden Votums bei ExxonMobil: Der Umbau von Weltkonzernen dauert Jahre oder gar Jahrzehnte. Gerade mit Blick auf die neu gewählten Engine No. 1 Vorstände zweifeln manche Beobachter daran, wie ernst es dem Hedgefond in Sachen Nachhaltigkeit ist und ob sie dem Titel "Activist Investors" tatsächlich gerecht werden.

Einer der neuen Vorstände, Alexander Karsner, ist beispielsweise Top-Manager im Google-Konzern, sein Vorstandskollege Gregory Goff verdient seit Jahrzehnten sein Geld in der Öl und Gasindustrie. Börsenanalyst Paul Sankey schreibt dazu in einem Blogeintrag: "Wer glaubt, dass Greg Goff in die Vorstandsetage von ExxonMobil stürmen und laut nach Windparks rufen wird, kennt Greg Goff nicht […] wir kennen Greg Goff, hier wird alles seine Ordnung haben." Goff würde sich eher darum kümmern den Konzern auf Vordermann zu bringen, statt Netto-Null zu erreichen, so Sankey. Dabei schließt das eine das andere nicht mehr aus.

Norweger investieren ethischer

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Anmerkung der Redaktion:

In einer vorherigen Fassung hieß es an mehreren Stelle "Trillionen Dollar", dabei handelt es sich aber im deutschen um Billionen Dollar. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.