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EZB hat Angst vor Kreditklemme

16. Dezember 2011

Die Europäische Zentralbank will die Eurozone vor einer Kreditklemme bewahren. Vor allem kleinere Firmen hat EZB-Chef Mario Draghi dabei im Blick. Sie seien schließlich das Rückgrat der Wirtschaft in Europa.

Mario Draghi (Foto: AP)
Mario Draghi gilt wegen seiner Stabilitätspolitik als der "deutscheste Italiener"Bild: AP

Es war die erste öffentliche Grundsatzrede des neuen EZB-Chefs, der gut sechs Wochen im Amt ist. Nach Berlin geladen hatte die "Initiative Neue soziale Marktwirtschaft", eine von den deutschen Arbeitgeberverbänden finanzierte Lobbyorganisation. Über dem Rednerpult erinnerte ein Zitat von Ludwig Erhard – der Vater der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland – an die Hauptaufgabe der Europäischen Zentralbank, nämlich für Preisstabilität zu sorgen. Denn nach dem Zitat von Erhard ist "Inflation eine entschädigungslose Enteignung zu Gunsten der öffentlichen Hand."

Inflationsrate wird sinken

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hörte sich Draghis Pläne anBild: dapd

Draghi betonte am Donnerstag (15.12.2011) gleich zu Anfang die geistige Verwandtschaft zu Ludwig Erhard, der in den 1950er-Jahren die Grundlage für eine unabhängige Zentralbank legte. "Die Regierung hat der Zentralbank keine Anweisungen zu geben, das hat die EZB übernommen." Und auch den zweiten für Deutschland wichtigen Punkt der Finanzpolitik beantwortete Draghi. Wichtig für ein gutes Investitionsklima sei eine hohe Preisstabilität. Für den Euroraum rechnet er mit einer baldigen Entspannung: "Die Inflationsrate wird bis Ende 2012 auf zwei Prozent und danach, im Jahr 2013 auf unter zwei Prozent sinken."

Vertrauensbildende Maßnahmen

Das waren aber auch schon die einzig wirklich positiven Nachrichten. Draghi zeichnete ansonsten ein relativ düsteres Bild der derzeitigen Lage in Europa und sprach von "massiven Abwärtsrisiken". Große Sorgen bereite ihm die sich abzeichnende Kreditklemme. Weil die Banken Risiken scheuten, sehe er eine geringere Bereitschaft zum Geldverleih an die reale Wirtschaft. Dadurch könne Europa Schaden nehmen. Denn anders als beispielweise in den USA fließe der Großteil der Kredite an Unternehmen und Privatpersonen in Europa über Banken. Zum Vergleich: In den USA 30 bis 35 Prozent, in Europa hingegen 80 Prozent.

Deshalb habe die EZB jüngst mit einigen Maßnahmen versucht, wieder mehr Vertrauen zu schaffen. In der vergangenen Woche wurde zum Beispiel der Leitzins auf das historisch niedrige Niveau von 1,0 Prozent gesenkt. Zudem beschloss die EZB, Banken Kredite zu diesem günstigen Zinssatz erstmals über einen Zeitraum von drei Jahren anzubieten. Vor allem sollten die Bedingungen für kleine und mittlere Unternehmen verbessert werden. Denn diese seien ein signifikanter Teil der Volkswirtschaften, hier seien 70 Prozent der Mitarbeiter in der Euro-Zone beschäftigt, die 60 Prozent der Unternehmensumsätze erwirtschafteten. Draghi kündigte weitere Maßnahmen an, die Liquidität zu verbessern.

"Wir müssen uns selber retten"

Draghis erste Pressekonferenz als EZB-ChefBild: dapd

Im zweiten Teil der Rede ging der EZB-Präsident auf die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels und der Pläne zur Schaffung einer Fiskalunion ein. Hier sei ein wirklicher Durchbruch erzielt worden. Die fiskalische Disziplin sei in der EU von Anfang an eher schwach gewesen. Deshalb müsse es jetzt Kontrollmechanismen geben. "Wir müssen uns selber retten", betonte Draghi. Robuste Regeln und eine bindende Gesetzgebung seien deshalb notwendig.

Kurzfristig müssten die EU-Länder nun vor allem die Haushalte konsolidieren. "Dazu gibt es keine Alternative, sonst hätten wir sie schon umgesetzt", sagte Draghi. Allerdings sei infolgedessen mit kurzfristigen Kontraktionen im Wirtschaftswachstum zu rechnen. Die möglichen Folgen müssten abgefedert werden.

Mittelfristig gebe es nur einen Weg, nämlich nachhaltiges Wirtschaftswachstum durch umfassende Strukturreformen zu schaffen, die viel zu lange aufgeschoben wurden. In der anschließenden Diskussion antworte Draghi auf die Frage, ob Inflation ein Ausweg sein könnte. "Ich sehe keine Rechtfertigung für die Strategie, Geld zu drucken." Abschließend gab Draghi den Zuhörern mit auf den Weg: "Der Anfang ist gemacht, Europa darf jetzt aber nicht den Schwung verlieren."

Autor: Kay-Alexander Scholz

Redaktion: Henrik Böhme

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