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EZB im Teufelskreis ihrer Geldpolitik

Danhong Zhang
2. Dezember 2016

Seit vier Jahren tut die Europäische Zentralbank alles, um die Inflation anzuheizen und das Wachstum anzukurbeln. Während sich der Effekt in Grenzen hält, werden die Risiken und Nebenwirkungen immer deutlicher.

EZB Gebäude Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Im Sommer 2012 gab EZB-Chef Mario Draghi auf dem Höhepunkt der Eurokrise den Investoren sein Wort: Er werde alles tun, um den Euro zu retten - koste, was es wolle. Diese "Whatever it takes"-Rede beruhigte die Finanzmärkte schlagartig. Danach drehte die EZB kräftig an der Zinsschraube, bis der Leitzins in diesem Frühjahr auf Null Prozent fiel; Banken müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken; die Notenbank unterstützt Banken mit Notkrediten und versorgt sie mit langjährigen Krediten zum Nulltarif. Schließlich startete sie im Frühjahr 2015 ihr eigenes sogenanntes QE (Quantitative Easing)-Programm. Die EZB druckt sich quasi selbst Geld und kauft damit in großem Stil Staats- und Unternehmensanleihen.

Mit dem Ergebnis dieser ultralockeren Geldpolitik zeigt sich Mario Draghi naturgemäß zufrieden. Schließlich sind Inflation, Kreditvolumen und Wirtschaftswachstum in der Eurozone allesamt gestiegen, wenn auch in bescheidenem Umfang. Schaut man aber genauer hin, kann man seinen Optimismus schwer teilen. So ist die Rückkehr der Inflation auf sehr niedrigem Niveau (zuletzt 0,5 Prozent) in erster Linie auf gestiegene Preise für Erdöl und Lebensmittel zurückzuführen, auf die die Geldpolitik wenig Einfluss hat; mit frischen Krediten werden oft sogenannte Zombiebanken oder -unternehmen künstlich am Leben erhalten; und wachstumsmäßig bilden die Euro-Länder das Schlusslicht unter den Industrienationen.

Stefan Schneider von Deutsche Bank ResearchBild: Deutsche Bank Research

EZB nimmt Ländern den Reformdruck

Man könnte also mutmaßen, dass die EZB-Geldpolitik nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. So habe der Reformwille "gerade in den Peripherieländern nach Draghis Whatever-it-takes-Ankündigung deutlich nachgelassen, was auch die OECD in ihren Analysen nachgewiesen hat", sagt Stefan Schneider, Ökonom bei der Deutschen Bank, im Gespräch mit der DW. Die OECD hat festgestellt, dass die Regierungen in den Krisenländern vor 2012 aufgrund hoher Zinsen mehr als die Hälfte der von ihr empfohlenen Wachstumsinitiativen umgesetzt haben. Im vergangenen Jahr fiel dieser Anteil unter 20 Prozent. Kein Wunder: Das Draghi-Versprechen und das Anleihekaufprogramm haben den Zinsunterschied zwischen den deutschen und südeuropäischen Staatspapieren minimiert. Welcher Politiker will unliebsame Reformen durchführen, wenn der Leidensdruck verschwunden ist?

Diese Entkoppelung der Anleiherenditen von den politischen und fiskalischen Risiken eines Euro-Landes sei die Folge der EZB-Anleihekäufe, heißt es aus einer Studie von Deutsche Bank-Research. "Anleihekurse haben ihre Signalfunktion verloren", schreiben die Experten. Stabilitätsgefährdende Maßnahmen der Politik würden nicht mehr durch die Märkte abgestraft.

Unter der anhaltenden Niedrig- und Negativzinspolitik der EZB leiden auch Sparer. Vor allem deutsche Sparer trifft es hart, da sie wenig in Aktien investiert sind und die Inflation hierzulande höher liegt als im Rest der Eurozone. Einige deutsche Ökonomen sprechen deshalb auch von einer schleichenden Enteignung.

Blasenbildung statt schöpferische Zerstörung

Um der Zinsfalle zu entkommen, begeben sich die Sparer auf die Suche nach anderen Anlagemöglichkeiten. Da sie in einem schwachen Wachstumsumfeld begrenzt sind, suchen viele ihr Heil im Betongold. Das hat bereits zu einer Immobilienblase in manchen Regionen geführt. Indem die EZB weiterhin fleißig Zombiekredite verteilt, verhindert sie die schöpferische Zerstörung in kränkelnden Branchen. Ohne die schöpferische Zerstörung würden Anleger die Preise solider Vermögenswerte weiter in die Höhe treiben, meinen die Ökonomen von Deutsche-Bank-Research.

EZB-Chef Mario DraghiBild: Reuters

Die schwerwiegendste Negativauswirkung der EZB-Geldpolitik sehen die Experten in der "zunehmenden Belastung für die Bilanz des Eurosystems". "Angesichts der potenziellen Verluste, die ein Kernland durch die mit den Rettungsfonds, dem Quantitative Easing-Programm und Target 2 (das System der grenzüberschreitenden Zahlungen im Eurosystem) verbundenen Kosten theoretisch tragen muss, ist es nahezu unvorstellbar, dass ein Mitgliedsland fallen gelassen würde", heißt es in der Studie. Während die Rettungsschirme von den nationalen Parlamenten gebilligt werden müssen, kann die EZB das QE-Programm nach Belieben verlängern und aufblähen. Bis März 2017 wird sie Anleihen im Wert von 1,74 Billionen Euro angehäuft haben. Diese Summe übersteigt das Volumen der beiden Rettungsfonds bei weitem. Mit welcher demokratischen Legitimation bürdet die Zentralbank ein solches Risiko den Steuerzahlern der soliden Euroländer auf?

Es sieht so aus, also ob die EZB es nicht bei der Summe belassen wird. Das Wachstum im Euroraum ist immer noch schwach, die Inflation immer noch niedrig. Stefan Schneider von der Deutschen Bank rechnet damit, dass die EZB auf der Ratssitzung am 8. Dezember eine Verlängerung des QE-Programms bis Ende 2017 beschließen wird. Auch die Commerzbank geht von einer QE-Verlängerung aus, auch wenn sie Zweifel an der Effektivität der Maßnahme hegt. "Es stellt sich grundsätzlich die Frage, welchen Effekt noch mehr Liquidität angesichts einer bereits enormen Überschussliquidität noch haben kann", schreiben die Analysten der Bank.

 

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