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EZB: Kommt heute die Zinswende ?

Mischa Ehrhardt Frankfurt am Main
9. Juni 2022

Heute könnte die EZB den Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik beginnen. Der Zeitplan sieht zunächst das Ende der Anleihekäufe vor. Erste Zinsschritte dürften dann im Juli folgen.

Deutschland Frankfurt | Europäischen Zentralbank | Christine Lagarde
Muss schwierige Entscheidungen treffen: EZB-Chefin Christine Lagarde Bild: Michael Probst/dpa/AP/picture alliance

Auch wenn der Fahrplan der Europäischen Zentralbank eigentlich feststeht: Am heutigen Donnerstag könnte es zu einer Überraschung kommen. Denn allein der Blick auf die jüngsten Inflationsdaten würde eine erste Zinserhöhung nach elf Jahren rechtfertigen.

Im Mai ist die Inflation im Euroraum auf über acht Prozent geklettert. In Deutschland lag sie auf Grundlage der europäisch harmonisierten Maßstäbe sogar bei 8,7 Prozent. Dabei waren die obersten Währungshüter in Frankfurt lange davon ausgegangen, dass die seit Monaten anziehenden Inflationsraten nur vorübergehender Natur seien; eine Fehleinschätzung, wie sich herausgestellt hat.

"Die EZB war ein schlechter Indikator für die zukünftige Inflation", sagt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski gegenüber DW. "Nun wird der Preis für die dauerhafte Unterschätzung der Inflationsdynamik eine rasche Normalisierung der Geldpolitik sein."

Fahrplan liegt auf dem Tisch

Den Fahrplan dafür haben führende Vertreterinnen und Vertreter der EZB in vielen Statements und Reden in den vergangenen Wochen skizziert. Zunächst will die Notenbank ihr Corona-Krisen-Anleihekaufprogramm namens APP beenden. Ab Ende Juni würden dann keine neuen Anleihen mehr aufgekauft - so der von EZB-Präsidentin Christine Lagarde erläuterte Zeitplan.

Hier treffen sich die Euro-Währungshüter: Sitz der EZB in Frankfurt am MainBild: picture-alliance/AP Photo/M. Probst

"Ob es nun genau der 30. Juni oder einige Tage später sein wird, ist letztlich irrelevant. Relevant ist nur, dass die Anleihekäufe beendet werden und der Weg für eine Zinserhöhung auf der Juli-Sitzung frei ist", so Commerzbank-Experte Michael Schubert. Denn die von der EZB selbst auferlegte Reihenfolge der Normalisierung ihrer Geldpolitik lautet: Erst das Ende des Anleihekaufprogramms, dann erste mögliche Zinserhöhungen. Da die nach diesem Donnerstag nächste Sitzung des EZB-Rates am 23. Juli stattfindet, gilt spätestens dann eine erste Anhebung des Leitzinses als gesetzt.

So unterstrich kürzlich auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel, dass an diesem Donnerstag ein deutliches Signal kommen müsse, wohin die weitere Reise gehe. Ein deutliches Signal in dieser Richtung gab indes bereits EZB-Chefin Christine Lagarde. Sie erwarte "sehr früh im dritten Quartal" ein Ende der Netto-Wertpapierkäufe. "Dies würde uns eine Anhebung der Zinssätze auf unserer Sitzung im Juli ermöglichen, im Einklang mit unseren Prognosen."

Banken hassen Nullzinsen

Der Bankenverband BdB fordert schon seit längerem einen entschiedeneren Kampf gegen die hohe Inflation. Nach Analyse des Lobbyverbandes der privaten Finanzinstitute würden zunehmend strukturelle Änderungen die Inflationsentwicklung in den kommenden Jahren prägen - etwa Arbeitskräftemangel, der Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit oder die Neuausrichtung der globalen Produktions- und Lieferketten. Es spräche daher vieles dafür, heißt es beim Verband, "dass sich die Inflationsraten in Deutschland und in der Eurozone in den kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als in den vergangenen zwei Dekaden."

Banken sind die Nullzinsen aber auch deswegen ein Dorn im Auge, weil sie generell deren Margen schmälern. Im Gegensatz dazu profitieren Konkurrenten etwa in den USA davon, dass die dortige Notenbank FED die Zinswende bereits entschieden eingeleitet hat. Im März hatte die FED bereits ihre erste Zinserhöhung vorgenommen, es folgte ein weiterer Schritt in ungewöhnlicher Höhe von 0,5 Prozent im Mai. Weitere Zinsschritte in diesem Jahr sind wahrscheinlich. Auch andere Notenbanken rund um den Globus reagieren auf die hohe Inflation. So hat etwa die australische Notenbank am Montag überraschend angekündigt, ihren Leitzins um 0,5 Prozent in die Höhe zu schrauben.

Hohe Inflation lastet auf Industrie und Verbrauchern

"Die hohe Inflation belastet die Verbraucher und verunsichert die Wirtschaft. Auch die Inflationserwartungen steigen deutlich. Zu dieser Lage passt ein negativer Zins schon lange nicht mehr", sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig. Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Auch die dürften bald Geschichte sein, ein Ende dieser Negativzinsen erwarten Beobachter im Zuge der Normalisierung der Geldpolitik bis spätestens September.

Das wiederum dürfte sich auch positiv für Bankkunden auswirken. Denn den negativen Zinssatz hatten mehr und mehr Banken in den vergangenen Jahren vor allem an vermögende Kunden weitergegeben. Doch auch Sparerinnen und Sparer werden profitieren, wenn die Zinsen wieder steigen. Denn dann wird es auch wieder mehr Zinsen auf erspartes Geld geben. Eine Kehrseite allerdings ist damit auch verbunden: So wird die Finanzierung für Kreditnehmer teurer - etwa die Finanzierung eines Eigenheims, aber auch die Finanzierung von Investitionen in den Unternehmen.

Nach allem, was bislang bekannt ist, wird die Zinswende aber noch bis zur Sitzung im Juli auf sich warten lassen. Es sei denn, die Währungshüter überraschen angesichts der extremen Inflation mit einer Zinsanhebung bereits an diesem Donnerstag. Das würde zwar ihren eigenen Plänen widersprechen. Es könnte aber das Vertrauen in die EZB als Kämpferin gegen die Inflation stärken.

Der Artikel wurde am 9.6.2022 aktualisiert. 

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