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PolitikAfrika

Das letzte Kapitel des Ruanda-Tribunals

Barbara Wesel
29. September 2022

In Den Haag beginnt das letzte große Verfahren vor dem Nachfolge-Gericht des Tribunals zum Völkermord an den Tutsi in Ruanda. Angeklagt ist Félicien Kabuga als mutmaßlicher Finanzier und Mitverursacher des Genozids.

Symbolbild Gedenken an den Genozid in Ruanda
Gedenken an den Genozid in Ruanda in der Hauptstadt KigaliBild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Der Angeklagte ist inzwischen 87 Jahre alt, sodass das Gericht in Den Haag nur dreimal in der Woche zwei Stunden lang gegen ihn verhandeln will. Das Strafgericht mit dem umständlichen Namen Internationaler Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (IRMCT, International Residual Mechanism for Criminal Tribunals) ist zuständig für die letzten Fälle aus dem UN-Tribunal zur Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda, das 2015 geschlossen wurde.

Und weil Félicien Kabuga sich mehr als 25 Jahre lang unter wechselnden Namen verstecken konnte und erst im Frühjahr 2020 von der französischen Polizei festgenommen wurde, kann sich das internationale Gericht erst jetzt mit ihm befassen. Er wird vermutlich der letzte maßgeblich Beschuldigte des Ruanda-Tribunals sein. 

Angeklagt als Finanzier und Antreiber des Genozids

Die Anklage wirft dem vormals reichsten Mann Ruandas in sieben Punkten unter anderem Völkermord, direkte und öffentliche Anstachelung zum Völkermord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Er soll sein Vermögen unter anderem zur Finanzierung des Senders RTLM (Radio-Télévision Libre des Mille Collines) eingesetzt haben, der als Sprachrohr der Hutu-Mehrheit systematisch zu Morden an Tutsi aufgerufen und auch ihre Verstecke veröffentlicht hatte. Dem Genozid in Ruanda fielen nach Schätzungen der Vereinten Nationen 1994 rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu zum Opfer. 

"Kabuga hat Ruanda, den Flüchtlingen und der Welt noch etwas zu erklären", sagte Marcel Kabanda, Historiker und früherer Vorsitzender des Opferverbands Ibuka, nach der Verhaftung des Beschuldigten. Seine Nachbarn hätten nicht gewusst, dass der alte Mann, den die Polizei in der Pariser Vorstadt aus einem Haus zerrte, einer der international meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher sei. Die USA hatten auf Kabuga ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar ausgesetzt.

Fahndungsfoto: Der Geschäftsmann Félicien KabugaBild: Simon Wohlfahrt/AFP

Kabuga habe bei dem Genozid eine "wesentliche Rolle" gespielt, fügte Historiker Kabanda im Gespräch mit dem französischen Radiosender Cause Commune hinzu. Unter anderem soll er die Interahamwe-Milizen der Hutu mit ins Leben gerufen haben, die entscheidend am Völkermord beteiligt waren. Außerdem wird Félicien Kabuga vorgeworfen, auf eigene Rechnung tonnenweise Macheten aus Kenia importiert zu haben, mit denen Hutu-Milizen Hunderttausende Tutsi abschlachteten.

Verzögerungstaktik oder späte Gerechtigkeit

Auch der amtierende Vorsitzende des Flüchtlingsverbands Ibuka begrüßt den Prozessbeginn gegen den Angeklagten, selbst wenn er spät komme: "Wir wollen, dass Gerechtigkeit geschieht", sagte Egide Nkuranga der Nachrichtenagentur AFP und beschuldigte Kabugas Anwälte der "Verzögerungstaktik". Sie hatten vergeblich versucht, den Prozess aus Altersgründen ganz niederzuschlagen.

Ein Überlebender betet an den Gebeinen von Opfern des Genozids in Ruanda 1994Bild: Sayyid Abdul Azim/AP/picture alliance

Ein französisches Berufungsgericht entschied jedoch, es gebe keine gesundheitlichen Hinderungsgründe. Seitdem wartet Kabuga in einem Haftkrankenhaus unter medizinischer Beobachtung auf sein Verfahren.

Allerdings sorgt das hohe Alter des Angeklagten, der jüngst in Frankreich im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben worden war, für den eher langsamen Verlauf. "Wenn er stirbt, bevor er vor Gericht erschienen ist, stürbe er unter der Unschuldsvermutung, und das wäre ein Desaster für die Gerechtigkeit. Das würde auch bedeuten, dass entscheidende Informationen zur Organisation und Durchführung des Genozids mit ihm untergingen", klagt Opfervertreter Egide Nkuranga.

Félicien Kabuga im Mai 2020 vor einem Pariser Gericht - mit COVID-19-GesichtsmaskeBild: Benoit Peyrucq/dpa/AFP/picture alliance

Aber ob Félicien Kabuga, der sich gegenüber der französischen Justiz im Vorfeld für unschuldig erklärt hatte, überhaupt aussagen wird, steht dahin. Auch ist nicht sicher, ob er persönlich im Gericht auftritt oder per Videolink zugeschaltet wird. 

Das Ruanda-Tribunal und seine Ausläufer

Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR, International Criminal Tribunal for Rwanda) war in der Hauptsache in Arusha, Tansania, angesiedelt und verurteilte zwischen 1995 und 2015 im Zusammenhang mit dem Genozid insgesamt 93 Angeklagte. "Der ICTR hinterlässt ein gemischtes Erbe", sagt Afrikaexperte Lewis Mudge von Human Rights Watch. "Das Tribunal hat ein gewisses Maß an Verantwortlichkeit und Rechenschaft gebracht, aber es hat die Verbrechen der regierenden Patriotischen Front Ruandas nicht berücksichtigt. Es wird vielfach als Siegerjustiz gesehen."

Das jetzige Verfahren gegen Félicien Kabuga aber begrüßt die Menschenrechtsorganisation. "Er gilt als einer der Anstifter des Völkermords, einer der großen Fische", sagt Lewis Mudge. Man solle demonstrieren, dass die Mühlen der Justiz zwar manchmal langsam, aber zuverlässig mahlen. "Es ist eine starke Botschaft an andere Täter, dass die Polizei nach Jahrzehnten einen Kriegsverbrecher aus seinem Versteck zerrt und er vor Gericht landet", so Mudge.

Internationale Aufmerksamkeit: US-Außenminister Antony Blinken in der Genozid-Gedenkstätte in Kigali im August 2022Bild: Andrew Harnik/AFP/Getty Images

Seine Empfehlung für Frankreich, wo der ruandische Flüchtling verhaftet wurde: Die Regierung solle dringend untersuchen, wie und mit wessen Hilfe Kabuga so lange unbehelligt unter der Nase der französischen Behörden leben konnte. Was den Ausgang des Verfahrens angeht, ist Lewis Mudge zuversichtlich. Es gebe eine große Menge sichererer Beweise und Zeugen, die für eine Verurteilung sprechen. Kein Völkermord der vergangenen Jahrzehnte ist mit so viel Aufwand verfolgt worden wie der Genozid in Ruanda. 

Allerdings bleibe das Resultat zwiespältig, meint der Menschenrechtsexperte: "Die Ironie ist, dass man keine Verbindung zieht zwischen der gerichtlichen Aufarbeitung und der gegenwärtigen Situation in Ruanda. Die jetzige Regierung wird für ihre Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen." 

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