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PolitikEuropa

Explosion auf der Krim-Brücke: Kam der LKW aus Bulgarien?

Christopher Nehring
11. Oktober 2022

Kamen LKW und Sprengstoff, die die Explosion auf der Brücke über die Straße von Kertsch ausgelöst haben sollen, aus Bulgarien? Moskau erhebt schwere Vorwürfe, die in der bulgarischen Innenpolitik hohe Wellen schlagen.

Ukraine I Krim-Brücke I Crimean Bridge
Reparaturarbeiten an der Brücke über die Straße von Kertsch, die das russische Festland mit der besetzten ukrainischen Halbinsel Krim verbindet (09.10.2022)Bild: AFP/Getty Images

"Wir haben bereits die Fahrtroute des LKW herausgefunden, in dem es zur Explosion kam. Diese war: Bulgarien, Georgien, Armenien, Nord-Ossetien und das Gebiet Krasnodarsk." Mit dieser Verlautbarung im Gespräch mit Staatspräsident Wladimir Putin sorgte Aleksandr Bastrykin, Vorsitzender des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, für ein kleines Erdbeben in Bulgarien. Denn Bulgarien ist das einzige NATO- und EU-Mitglied in dieser Liste und zudem der angebliche Ausgangspunkt des als fahrende Bombe benutzten Transporters, der am 08.10.2022 auf der Brücke vom russischen Festland zur Hafenstadt Kertsch auf der von Moskaus Truppen besetzten ukrainischen Halbinsel Krim explodiert war.

Seitdem überschlagen sich die Debatten. Es heißt, es gebe eine völlig neue "bulgarische Spur". Sorgenvolle Blicke richten sich aus Sofia nach Moskau: Will der Kreml Bulgarien eines feindlichen Aktes beschuldigen? Könnte das Land direkt in den Krieg hineingezogen werden? Und gibt es eine Verbindung zwischen den neuen Anschuldigungen und den zwei Explosionen in bulgarischen Waffenfabriken im August und im September 2022? Fest steht bislang nur: es gibt kaum gesicherte Fakten und viel Propagandageheul.

Zunächst einmal: In kremltypischer Manier nannten weder Ermittlungskomitee-Vorsitzender Bastrykin noch Staatspräsident Putin irgendwelche Beweise oder Belege für den bulgarischen Ursprung des Bomben-LKW. Das gleiche gilt für die angeblichen "russischen und ausländischen" Drahtzieher des Anschlags. Peter Stano, Sprecher von EU-Außenkommissar Josep Borell, stellte deshalb am 10.10.2022 klar, dass seitens der EU keinerlei Vertrauen in die russischen Angaben zur Explosion auf der Brücke bestehen. Es sei keineswegs gesichert, dass der Laster tatsächlich in Bulgarien gestartet sei.

Reaktion aus Sofia

Mit zwei Tagen Verspätung wies auch Übergangspremier Galap Donev am 11.10.2022 eine bulgarische Verwicklung in die Explosion zurück. Gleichzeitig versprach er eine ausführliche Untersuchung über den angeblichen LKW, verwies jedoch auch darauf, dass "die Informationen, über die wir verfügen, nicht glaubwürdig" sei. "Bulgarien wird bislang nur als geografischer Punkt auf der Route des LKW genannt. Nichts weiter."

Der bulgarische Sicherheitsexperte Tihomir BezlovBild: Tihomir Bezlov

Bereits zuvor hatte die Übergangsregierung in Sofia den bulgarischen Inlandsgeheimdienst damit beauftragt, die russische Version der LKW-Route zu überprüfen. Dazu aber ist die Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) auf Informationen aus Moskau angewiesen. Ob sie diese bekommt und wie verlässlich sie sind, ist kaum abzuschätzen: "Alle Angaben aus Russland sind kaum zu überprüfen, weder für die Route, noch für den Lastwagen oder den Sprengstoff. Das geht nur durch eine Untersuchung der Überreste vor Ort", erklärt Tihomir Bezlov, Sicherheitsexperte des Think Tanks Center for the Study of Democracy in Sofia der DW.

Warum Bulgarien?

Sollten die Moskauer Angaben zur Route des LKW stimmen, drängen sich zwei Fragen auf: Warum sollte der Laster ausgerechnet aus Bulgarien losfahren? Und will Moskau andeuten, auch der Sprengstoff stamme aus Bulgarien und wurde bereits dort auf den Weg gebracht? "Das macht durchaus Sinn", erklärt Tihomir Bezlov, "Bulgarien hat mit die meisten Transportunternehmen, LKWs und Fahrer in ganz Europa. Wenn ukrainische Geheimdienste hier einen ausrangierten Wagen finden wollen, wäre es leicht einen bankrotten Spediteur zu finden."

Aus Bulgarien könnte der LKW mit der wöchentlichen Fähre vom Schwarzmeerhafen Burgas ins georgische Batumi gebracht worden sein. Und der Sprengstoff? "Es wäre ein viel zu großes Risiko, den bereits am Anfang der Reise zu laden. Viel wahrscheinlicher ist, dass er erst in Georgien oder sogar in Russland selbst zugeladen wurde", erklärt Sicherheitsexperte Bezlov. Auch daran, dass der Sprengstoff bulgarischen Ursprungs sei, will er nicht glauben: "Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass jemand in Bulgarien mehrere Hundert Kilo explosives Material kaufen, schmuggeln und exportieren könnte, ohne dass es die bulgarischen, westlichen und wahrscheinlich auch die russischen Sicherheitsdienste mitbekämen."

Innenpolitische Dauerkrise

Viel wichtiger als die Frage nach der Herkunft von LKW und Sprengstoff sind für Bezlov andere Fragen: "Will die Kreml-Propaganda Bulgarien beschuldigen? Und wenn ja, wie werden die Übergangsregierung und Präsident Rumen Radew darauf reagieren?" Tatsächlich erschienen bereits wenige Stunden nach dem Gespräch zwischen Bastrykin und Putin in kremltreuen Telegramkanälen Posts, die Sofia direkt beschuldigten: "Das wurde in Bulgarien gemacht", schreibt etwa der Kriegskorrespondent der Komsomolskaja Pravda, Aleksandr Kots. "Das bedeutet, dass in der Organisation dieses Terroraktes außer der Ukraine auch ausländische Geheimdienste teilgenommen haben können."

Berichte über derartige Einschätzungen aus Moskau in der bulgarische Presse führten zu ersten politischen Reaktionen. Wie schon das gesamte Jahr 2022 über ist die bulgarische Haltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine geprägt von einer komplizierten Vermischung von Außen- und Innenpolitik. Denn in Bulgarien herrscht seit zwei Jahren eine innenpolitische Dauerkrise: nur für den Zeitraum zwischen Dezember 2021 und Juni 2022 gab es eine - wenn auch instabile - gewählte Regierung. Dass von Präsident Radew eingesetzte Übergangsregierungen das Land verwalteten, droht zum Normalfall zu werden.

Schlingerkurs zwischen Moskau und der NATO

Seinen Schlingerkurs zwischen öffentlicher Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine und einer bulgarischen "Neutralität" machte der Präsident all diesen Regierungen zur Vorgabe. Seine Ablehnung von Waffenlieferungen oder einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine begründet Radew dabei mit der Sorge, Bulgarien könnte in den Krieg hineingezogen werden.

Bulgariens Präsident Rumen Radew (r.) mit Ex-Premier Kiril Petkow (l.) im Dezember 2021Bild: BGNES

Die aus Moskau nun gestreute "bulgarische Spur" der Explosion auf der Krim-Brücke heizt diese Debatten weiter an. Kristian Winegin, Abgeordneter und Vorstandsmitglied der wie Radew traditionell russlandfreundlichen, mit dem Präsidenten jedoch innenpolitisch schwer zerstrittenen Bulgarischen Sozialistischen Partei BSP, forderte Radew umgehend auf, "ein schnelles und klares Zeichen zu geben und nicht zuzulassen, dass Bulgarien auf irgendeine Weise in den Konflikt hineingezogen wird". Die offizielle Verlautbarung des Kremls zur Explosion über der Straße von Kertsch ist Wasser auf die Mühlen der pro-russischen Kräfte in Bulgarien.

Waffenlieferungen und Explosionen

Das neue Säbelrasseln gegen Bulgarien könnte noch einen anderen Hintergrund haben, wie Tihomir Bezlov erklärt: "Die untereinander verfeindeten pro-westlichen Parteien im Land haben seit den Wahlen am 02.10.2022 eine Mehrheit im Parlament und könnten sich gegen den Willen von Präsident Radew auf Waffenlieferungen an die Ukraine einigen." Ex-Premier Bojko Borissow, dessen Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) bei den Wahlen im Oktober 2021 die meisten Stimmen bekam, bekräftigte so kurz nach dem Urnengang seine Position, der Ukraine Waffen liefern zu wollen. Die Oppositionspartei Demokratisches Bulgarien (DB) hat ihrerseits angekündigt, einen entsprechenden Antrag ins Parlament einbringen zu wollen. Zusammen mit GERB und der Partei des im Juni 2022 gestürzten Premiers Kiril Petkow, "Wir setzen den Wandel fort" (PP), hätten die drei pro-westlichen und pro-ukrainischen Parteien eine klare Mehrheit im bulgarischen Parlament.

Bulgariens Ex-Premier Bojko Borissow bei den Wahlen am 02.10.2022, die seine Partei gewannBild: Visar Kryeziu/AP/dpa/picture alliance

Bislang lieferte Bulgarien keine schweren Waffen an die Ukraine, wobei es als offenes Geheimnis gilt, dass staatliche und private Waffenfirmen leichte Waffen und Munition über Polen, die Slowakei und Tschechien exportieren. Im August 2022 war es in einem Lager des Waffenhändlers Emilijan Gebrew zu einer Explosion gekommen, für die der Besitzer russische Geheimdienste verantwortlich machte.

Am 04.10.2022 kam es dann zu einer weiteren Explosion im staatlichen Rüstungsunternehmen "Arsenal". Über einen möglichen russischen Hintergrund machten die Ermittlungsbehörden keine Angaben. Die geostrategische Rolle Bulgariens als logistische Drehscheibe für kriegswichtige Güter im Ukraine-Konflikt wird jedoch immer offensichtlicher.

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