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"Für den Welthandel essentiell"

Klaus Ulrich
6. September 2019

Private Schiedsgerichte wurden als Bestandteil umstrittener Freihandelsabkommen wie TTIP massiv kritisiert. Doch für Unternehmen sind sie im Tagesgeschäft unersetzlich, sagt Experte Reinmar Wolff im DW-Gespräch.

Schiffsverkehr mit Containerschiffen
Bild: picture-alliance/imagebroker/M. Dietrich

Deutsche Welle: Die Schiedsgerichtsbarkeit ist im Zusammenhang mit Handelsabkommen wie TTIP oder CETA teils heftig diskutiert worden. Welche Folgen hatte das?

Reinmar Wolff: Lassen Sie mich zunächst kurz sagen, was Schiedsgerichte überhaupt ausmacht. Schiedsgerichte können Streitigkeiten nur dann entscheiden, wenn sich die Parteien ihnen unterworfen haben. Die Parteien bestimmen, wie sich das Schiedsgericht zusammensetzt - meist benennt jede Partei einen Schiedsrichter und diese beiden einigen sich auf einen Dritten, der als Vorsitzender tätig wird. Die Parteien können zudem in weitem Umfang vereinbaren, welchen Regeln das Schiedsverfahren folgt. Sie können beispielsweise die Verfahrenssprache bestimmen oder Vertraulichkeit vereinbaren. Trotz dieser Freiheiten hat die Entscheidung des Schiedsgerichts, also der Schiedsspruch, fast dieselben Wirkungen wie ein Urteil eines letztinstanzlichen staatlichen Gerichts.

Um Ihre Frage zu beantworten: Die Diskussion um TTIP und CETA hat dazu geführt, dass Schiedsgerichtsbarkeit heute in der öffentlichen Wahrnehmung negativ besetzt ist. Schiedsgerichte werden häufig mit einer Hinterzimmerjustiz gleichgesetzt, die internationalen Konzernen Sonderrechte gegen Staaten gibt und ihre demokratisch legitimierten Gesetze zum Umwelt- und Verbraucherschutz oder zu Sozialstandards unterläuft. Vor zehn Jahren wusste eigentlich niemand, was Schiedsgerichtsbarkeit ist. Heute hat diese Diskussion die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt dämonisiert.

Aber in der Wirtschaft sind Schiedsgerichtsverfahren doch ein probates Mittel im Zusammenhang mit internationalen Verträgen?

Ja, das stimmt. Schiedsgerichtsbarkeit ist heute der Standardmechanismus, um Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Verträgen beizulegen. Die meisten solcher Verträge enthalten eine Schiedsvereinbarung, also eine Klausel, wonach ein Schiedsgericht Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien entscheidet. Die Kritik, die an Investitionsschiedsverfahren gegen Staaten geübt wurde und die heute die öffentliche Wahrnehmung der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt prägt, verfängt bei Wirtschaftsschiedsgerichten nicht. Das öffentliche Interesse an Transparenz beispielsweise ist ungleich geringer, wenn zwei private Unternehmen miteinander streiten und der Staat gar nicht beteiligt ist.

Welche Bedeutung hat die internationale Schiedsgerichtsbarkeit für den Welthandel überhaupt?

Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist für den Welthandel ganz essentiell. Das liegt zum einen daran, dass sie eine flexible und neutrale Streitbeilegung ermöglicht. Niemand muss vor die Gerichte im Land seines Vertragspartners, deren Sprache er nicht spricht, deren Regeln er nicht kennt und von deren Neutralität er vielleicht nicht überzeugt ist. Vielmehr wählen die Parteien die Schiedsrichter selbst aus. So hat das Schiedsgericht das Vertrauen beider Parteien und kann das Schiedsverfahren so gestalten, dass es allen gleichermaßen gerecht wird. Zum anderen kann der Schiedsspruch in fast allen Ländern der Welt gegen die Partei, die verloren hat, unkompliziert durchgesetzt werden.

Auf welcher Grundlage?

Das sogenannte "New Yorker Übereinkommen" von 1958 spielt eine Schlüsselrolle für den Erfolg der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Es ermöglicht die Durchsetzung von Schiedssprüchen im Ausland und adressiert damit ein zentrales Problem: Es hilft ja nicht, vor einem Gericht oder einem Schiedsgericht Recht zu bekommen, wenn man diese Entscheidung dann nicht durchsetzen kann. Kommt der Gegner der Entscheidung nicht freiwillig nach, braucht man für ihre zwangsweise Durchsetzung die staatliche Gewalt, beispielsweise einen Gerichtsvollzieher. Der wird aber nur tätig, wenn ihm sein nationales Recht das erlaubt.

Reinmar Wolff, Rechtsanwalt und Experte für SchiedsgerichtsbarkeitBild: Privat

Ein Urteil eines staatlichen Gerichts lässt sich innerhalb der EU relativ einfach vollstrecken. Aber sobald Sie die Grenzen der EU verlassen, wird die Vollstreckung eines Urteils im Ausland ziemlich schwierig. Denn darüber entscheidet das Recht des Landes, in dem vollstreckt werden soll, und diese Rechte sind nicht vereinheitlicht. Häufig spielt es eine Rolle, ob umgekehrt eine Entscheidung aus diesem Land auch in Deutschland vollstreckt werden würde, und das kann schwierig festzustellen sein. Wenn es nicht gelingt, dort zu vollstrecken, wo der Gegner Vermögen hat, ist das Urteil des staatlichen Gerichts wirtschaftlich wertlos.

Für Schiedssprüche ist das alles viel einfacher - und zwar dank des New Yorker Übereinkommens, das es ermöglicht, einen Schiedsspruch in jedem seiner 160 Mitgliedsstaaten nach einfachen und einheitlichen Regeln zu vollstrecken. Zum Vergleich: Die Vereinten Nationen haben insgesamt 193 Mitgliedsstaaten. Das New Yorker Übereinkommen gilt also fast überall auf der Welt.

Gibt es denn Ihrer Erfahrung nach Länder, in denen die Vollstreckbarkeit von Schiedsurteilen besonders schwierig ist?

Ja, die gibt es leider, obwohl das ein erfreulich kleines Problem ist. Das New Yorker Übereinkommen hat tatsächlich dazu geführt, dass Schiedssprüche weltweit nach denselben Regeln durchgesetzt werden können. Das ist der große Vorteil, den dieses Übereinkommen bietet. Es gibt aber auch ein paar Länder, in denen die Durchsetzung von Schiedssprüchen tendenziell schwierig ist. Genannt werden in diesem Kontext häufig die Türkei oder Russland.

Wie steht es mit China?

Auch China, wobei China Maßnahmen ergriffen hat, um das Problem in den Griff zu bekommen. So muss ein Gericht, das einen ausländischen Schiedsspruch nicht durchsetzen will, die Sache vorab dem obersten Gericht vorlegen.

Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, wie solche Verträge, die Schiedsverfahren beinhalten, gestaltet sind?

Das können alle grenzüberschreitenden Verträge sein, beispielsweise ein Liefervertrag oder ein Handelsvertretervertrag zwischen einem deutschen Unternehmen und seinem chinesischen Handelsvertreter. Wenn es zum Streit zwischen den Vertragsparteien kommt und der Vertrag keine Regelung dazu vorsieht, muss die Klage entweder bei einem deutschen oder bei einem chinesischen Gericht erhoben werden. Und eben das wollen die Parteien nicht: Die deutsche Partei will nicht vor ein chinesisches Gericht und die chinesische Partei umgekehrt auch nicht vor ein deutsches Gericht. Da bietet es sich um der Neutralität willen an, ein Schiedsgericht zu vereinbaren und dieses neutrale Schiedsgericht dann entscheiden zu lassen. So eine Schiedsvereinbarung regelt typischerweise, dass ein Schiedsgericht entscheiden soll, wie viele Schiedsrichter im Schiedsgericht sind und wie sie bestellt werden, außerdem welche Sprache und welches Recht im Schiedsverfahren anzuwenden sind.

"Neutral" heißt in diesem Sinne auch in einem Drittland beheimatet?

Das kann sein, muss aber nicht sein. Neutral heißt vor allem, dass diejenigen, die den Streit wirklich entscheiden - also in dem Fall die Schiedsrichter - tatsächlich unabhängig und unparteilich sind.

Wie steht es denn um den Schiedsstandort Deutschland im internationalen Vergleich? Wird Deutschland häufig als Schiedsstandort gewählt?

Deutschland wird zunehmend als Standort gewählt, schöpft aber gegenwärtig seine Möglichkeiten leider noch nicht so ganz aus. Es gibt allerdings Bestrebungen, das zu verbessern, beispielsweise durch eine Anpassung des Schiedsverfahrensrechts oder eine bessere Vermarktung der Vorteile, die das deutsche Rechtssystem und die deutschen Gerichte tatsächlich heute schon bieten.

Welche Standorte sind denn besonders beliebt?

In Europa wären das beispielsweise die Schweiz, Frankreich und Großbritannien. International spielen Hongkong und Singapur eine große Rolle.

Gibt es Unterschiede, welche Branchen solche Schiedsklauseln in Verträge aufnehmen?

Im internationalen Bereich finden sich in fast allen Verträgen Schiedsklauseln. Auch da gibt es natürlich gewisse Schwerpunkte. In manchen Branchen wird kein Vertrag ohne Schiedsklausel abgeschlossen, beispielsweise im Anlagenbau. Deutlichere Unterschiede gibt es im rein nationalen Bereich, wo beispielsweise Bausachen (wegen der Expertise der Schiedsrichter) oder gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (wegen der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren) häufig vor Schiedsgerichte gebracht werden.

Welche Vorteile haben eigentlich diese Schiedsverfahren gegenüber staatlichen Gerichten?

Die Vorteile liegen im Wesentlichen in der Kombination aus den Freiheiten bei der Gestaltung des Schiedsverfahrens und der einfachen Durchsetzbarkeit des Schiedsspruchs. Weil sich die Parteien ihre Schiedsrichter aussuchen, können sie ausgewiesene Fachleute auf dem jeweiligen Gebiet wählen. Vor dem staatlichen Gericht haben sie solche Wahlmöglichkeiten nicht - dort weisen Geschäftsverteilungspläne die Richter zu.

Das Gerichtsverfahren ist außerdem in aller Regel öffentlich, während Schiedsverfahren meist vertraulich geführt werden. Die Parteien können Schiedsverfahren so gestalten, wie es für ihren Streit am besten passt, ohne an starre Regeln gebunden zu sein. Schiedsverfahren kennen keine zweite Instanz, was Zeit und Kosten spart. Dazu kommen die schon beschriebenen Vorteile bei Neutralität und bei der Durchsetzung des Schiedsspruchs.

Die Zahl der Vertragspartner bei solchen Verträgen ist quasi unbegrenzt?

Richtig. Auch Verträge mit mehr als zwei Parteien können natürlich eine Schiedsvereinbarung vorsehen.

Kennen Sie große internationale Projekte, bei denen das eine Rolle gespielt hat?

Ein prominentes Beispiel ist das Schiedsverfahren der Bundesrepublik Deutschland gegen das Autobahnmaut-Konsortium Toll Collect, an dem auch ein französisches Unternehmen beteiligt war.

Wir haben jetzt so über die Vorteile gesprochen. Gibt es da auch irgendwelche Nachteile?

Natürlich gibt es auch Nachteile. Die Flexibilität ist einerseits ein Segen, aber andererseits aber auch ein Fluch. Wer ungünstige Vereinbarungen trifft, ist daran grundsätzlich gebunden. Das ist wie immer bei Verträgen: Da ist man auch an schlechte Verträge gebunden, wenn man sie einmal abgeschlossen hat. Ein weiteres Problem ist typischerweise die Einbindung Dritter. Ein Beispiel: Ein Generalunternehmer am Bau hat Subunternehmer. Wird er von seinem Auftraggeber verklagt, sind vielleicht letztlich die Subunternehmer schuld, die aber nicht mitverklagt sind. Dann besteht die Herausforderung darin, diese Subunternehmer mit an Bord zu bekommen. Das ist vor einem staatlichen Gericht relativ einfach und vor einem Schiedsgericht ziemlich schwierig.

Das Gespräch führte Klaus Ulrich.

Der Rechtsanwalt Dr. Reinmar Wolff, Lehrbeauftragter u.a. an der Philipps-Universität Marburg, ist Mitglied des Beirats der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, Herausgeber eines Kommentars zum New Yorker Übereinkommen und Mitglied der Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Überprüfung des deutschen Schiedsverfahrensrechts.

Schiedsgerichte - Schutz für Unternehmen auf Kosten des Staates?

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