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Für Märtyrer nur eine Metro-Station

Khalid El Kaoutit29. Dezember 2014

Der Freispruch von Hosni Mubarak hat Ägypten aufgewühlt wie kein anderes Ereignis 2014. Nach dem neuen Rückschlag für die Revolution macht sich im Volk Resignation breit, bilanziert DW-Korrespondent Khalid El Kaoutit.

Protest gegen die Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen Mubarak (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images/M. El Shahed

"Weißt Du, warum wir Ägypter die Revolution gemacht haben?" fragte mich Ahmed*, ein ägyptischer Aktivist. Ohne meine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: "Um die Metro-Station von 'Mubarak' in 'Die Märtyrer' umzubenennen...". Das war kurz nach dem Freispruch für Hosni Mubarak Ende November. Wir saßen in einem Café in der Nähe des Tahrir-Platzes, Ahmed wollte den Sieg des Ex-Diktators mit einem Witz kommentieren, doch darüber lachen konnten weder er noch ich. Denn dieses Urteil markiert einen neuen, bitteren Wendepunkt für Ägypten - fast vier Jahre nach der Revolution.

"Freispruch für Mubarak, eine Metro-Station für die Märtyrer"

Im Winter 2011, auf dem Höhepunkt der Revolution, ist auch Ahmed auf die Straße gegangen und hat für den Ruf nach Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit sein Leben riskiert. Der junge Mann hat gesehen, wie Menschen auf dem Tahrir-Platz gestorben sind. Er selbst wurde 2012 zwei Mal festgenommen. Zu seinem Schutz will ich hier seinen richtigen Namen nicht nennen, denn die Gefahr für ihn und die anderen Demokratie-Aktivisten ist unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi gewachsen. Mehrere von Ahmeds Freunden sitzen derzeit im Gefängnis. "Die Lage ist viel schlimmer geworden als unter Mubarak", sagt Ahmed. "Aber immerhin haben die Märtyrer eine Metro-Station bekommen." Es ist Galgenhumor, mit dem Ahmed die Enttäuschung, aber vor allem die Machtlosigkeit der Revolutionsjugend in Ägypten ausdrückt.

DW-Korrespondent Khalid El KaoutitBild: DW/K. El Kaoutit

Ahmed und seine Freunde sind die Hände gebunden. Sie haben ihre Macht, die sie auf der Straße immer wieder gezeigt haben, verloren. Es sind die staatlichen Sicherheitskräfte, die heute die Straßen beherrschen und jede größere Demonstration attackieren oder ganz verhindern. So wie am 29. November, als sich nach dem Freispruch für Mubarak ein paar tausend Menschen spontan in der Nähe des Tahrir-Platzes versammelt hatten, um gegen das Urteil zu protestieren.

Es war das erste Mal seit dem Sturz von Ex-Präsident Mohammad Mursi Ende Juni 2013, dass so viele Menschen auf einmal auf die Straße gegangen sind. Auch ich war dort, um mir ein Bild von der Lage zu machen. Die Antwort des Staates folgte prompt: Ohne Vorwarnung und ohne Fluchtwege zu sichern, schossen Polizisten Tränengas-Granaten in die Menge. An manchen Stellen wurde auch scharf geschossen. Auf der Flucht sah ich, wie einige Demonstranten durch das aggressive Tränengas bewusstlos zu Boden fielen. Nach Angaben der Behörden sind an diesem Abend zwei Menschen gestorben und mindestens 15 wurden verletzt.

El Kaoutit wird bei Dreharbeiten im November 2014 von der Polizei abgeführtBild: privat

Zivilgesellschaft erstickt

Diese Eskalation der Gewalt wurde, wie viele andere Gewaltexzesse auch, von den Behörden nicht untersucht, die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Der Staat, daran gibt es keine Zweifel, setzt auf Gewalt und Repression. Auch bei Ahmed ist diese Botschaft angekommen. Der Jurist hat bei einer NGO gearbeitet, die immer wieder Menschenrechtsverstöße in Ägypten aufgedeckt und viele Regime-Kritiker vor Gericht vertreten hat. Doch bald wird Ahmed seinen Job verlieren, weil seine Organisation schließen muss.

Zivilgesellschaftliche Arbeit war ein Ergebnis der Revolution von 2011, sagt Ahmed, da es fortan eine Plattform gab, um für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen und den Staat zu kontrollieren. Wie Ahmed haben nach der Revolution auch viele andere Demokratie-Aktivisten bei den NGOs Arbeit gefunden. "Aber damit ist es jetzt vorbei", glaubt er. "Der Staat will die absolute Kontrolle haben." Dass viele NGOs aus dem Ausland finanziert werden, sehen die Machthaber als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens, sagt der junge Anwalt.

Kritische Berichterstattung nicht erwünscht

Als Einmischung in die inneren Angelegenheiten sehen die Behörden auch die Arbeit von ausländischen Journalisten. So haben einige Kolleginnen und Kollegen Besuch von Sicherheitskräften bekommen, andere wurden ermahnt, nicht "negativ" über das Land zu berichten. Darunter fallen Interviews mit Regime-Kritikern, Kritik an der Justiz oder Berichte über Armut und soziale Ungleichheit. Filmen in der Öffentlichkeit ist nicht erwünscht. Neben der üblichen Akkreditierung benötigen Journalisten zusätzlich eine Drehgenehmigung des Innenministeriums. Doch auch das garantiert nicht, dass man ungestört arbeiten kann. Des Öfteren wurden wir von maskierten, bewaffneten Polizisten abgeholt und befragt.

Hat Ägypten autokratisch regiert: Ex-Staatspräsident Mubarak muss die Justiz nicht mehr fürchtenBild: picture-alliance/dpa/K. Elfiqi

"Das mit der Einmischung ist nur eine Ausrede", da ist sich Ahmed sicher. Denn auch bei den einheimischen Medien ist Kritik unerwünscht. "Regimenahe Medien dürfen hingegen ungestört für den Kurs Al-Sisis die Werbetrommel rühren." Ahmed hat jede Hoffnung verloren. Am liebsten würde er das Land verlassen. "Aber wohin? Mit dem ägyptischen Pass kannst Du nirgendwo hin", kommentiert er resigniert. Die Länder, die für ihn in Frage kommen, verlangen ein Visum. Außer in der Türkei und im Libanon sind die Bestimmungen sehr streng. Doch um in diese beiden Länder einreisen zu können, bedarf es seit kurzem einer Sondergenehmigung von den Ägyptischen Behörden. Doch gerade mit ihnen will Ahmed nichts zu tun haben.

*Name von der Redaktion geändert.

Khalid El Kaoutit arbeitet als Ägypten-Korrespondent für die Deutsche Welle. Aus Kairo berichtet er für Online und TV.