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PolitikSlowakei

Gegen Ungarns Orban - Tschechien bemüht sich um die Slowakei

Lubos Palata (aus Prag)
20. November 2023

Die Tschechische Republik versucht, ihre guten Beziehungen zur Slowakei zu nutzen, um Bratislava im pro-ukrainischen Lager zu halten. Doch der neue slowakische Regierungschef Robert Fico steht Viktor Orban nah.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und sein neuer slowakischer Amtskollege Robert Fico sprechen miteinander am Rand des Europäischen Rats in Brüssel am 26.10.2023
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban (li.) und sein neuer slowakischer Amtskollege Robert Fico treffen sich beim Europäischen Rat in Brüssel am 26.10.2023Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Die Tschechische Republik und die Slowakei bildeten bis 1993 mehr als siebzig Jahre lang einen gemeinsamen Staat in der Mitte Europas - mit Ausnahme der Jahre des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1992 zerbrach die Tschechoslowakei. Doch nach der Trennung schlossen die beiden Länder im Jahr 2000, vier Jahre vor dem EU-Beitritt, umfangreiche zwischenstaatliche Abkommen. Diese schufen insbesondere im sprachlichen und sozialen Bereich Beziehungen, die über die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU hinausgehen: Slowakisch und Tschechisch werden in beiden Ländern als "allgemein verständliche Sprachen" anerkannt, die Studenten im jeweils anderen Land zum Studium oder Bürger zur Kommunikation mit den Behörden nutzen können. Die slowakische und die tschechische Regierung treffen zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, und die ersten Auslandsreisen von neuen Präsidenten, Premierministern und Ministern führen immer nach Prag und Bratislava. 

Auch auf internationaler Bühne gingen beide Länder bisher meistens im Gleichschritt oder lagen wenigstens sehr nahe beieinander. Mit Ausnahme der Zeit unmittelbar nach dem Zerfall der Tschechoslowakei, als die Slowakei aufgrund des nationalistisch-autoritären Regimes des damaligen Ministerpräsidenten Vladimir Meciar (1993-1998) zum "schwarzen Loch Europas" wurde und von der ersten Welle der NATO-Erweiterung sowie von der Integration in die Europäische Union ausgeschlossen wurde, weil sie die demokratischen Kriterien nicht erfüllte.

Fico: "Nicht einmal eine Kugel für die Ukraine"

Mit dem Antritt des neuen slowakischen Kabinetts unter Führung der nationalkonservativen Smer-Partei von Robert Fico, die die Wahlen Ende September gewonnen hat, schwebt über den tschechisch-slowakischen Beziehungen die Frage, ob Prag und Bratislava eine Wiederholung der Meciar-Zeit bevorsteht. Und ob es, wie ein Prager Diplomat sagte, "der Slowakei gelingen wird, sich in der tschechischen Umlaufbahn zu halten". Oder ob Ungarns autoritär regierender Viktor Orban, der Fico vor den Wahlen wiederholt und unmissverständlich unterstützt hatte, die neue slowakischen Regierung an seine Seite ziehen wird.

Robert Fico und Parteifreunde freuen sich über den Sieg bei der Parlamentswahl am 01.10.2023Bild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Hauptkonfliktpunkt ist die Hilfe für die Ukraine gegen die russische Aggression. Die Tschechische Republik war und ist einer der führenden Unterstützer der Ukraine, sowohl in puncto Waffenlieferungen als auch in Bezug auf finanzielle und humanitäre Hilfe. Der tschechische Premierminister Petr Fiala gehörte zu den ersten drei europäischen Staatsmännern, die schon am 15.03.2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, nach Kiew gereist waren. Der neue slowakische Premierminister Fico dagegen will die Hilfe für die Ukraine einstellen. Einer der Wahlslogans seiner Smer-Partei war "Keine Kugel mehr für die Ukraine". Auch nach der Wahl machte er ähnliche Aussagen und erklärte Anfang Oktober, dass "die Wurzeln des Kriegs in der Ukraine im Jahr 2014 liegen, als ukrainische Faschisten Zivilisten russischer Nationalität ermordeten."

Prag urteilt nach Taten

Diesen scharfen Äußerungen allerdings folgten bisher nur wenige Taten - nicht zuletzt wegen des diplomatischen Drucks aus Tschechien. Schon auf den ersten Reisen slowakischer Politiker, die, wie üblich, nach Prag führten, wurde klar, dass die Verweigerung von Hilfen für die Ukraine nicht so eindeutig ist. 

Die Regierung in Bratislava wird keinen der Verträge kündigen, die über Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine abgeschlossen wurden, auch nicht die der staatlichen Waffenfabriken. "Alles, was auf kommerzieller Basis abläuft, bleibt unverändert und wird wie bisher fortgesetzt", sagte der neue slowakische Außenminister, Juraj Blanar, am 06.11.2023 in Prag nach einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Jan Lipavsky. "Die Slowakei hat der Ukraine umfangreiche humanitäre Hilfe zukommen lassen, und wir wollen diese Hilfe fortsetzen." Zu dieser Hilfe zählt die neue slowakische Regierung auch die Minenräumung, für die Bratislava Kiew die Hilfe von slowakischen Spezialisten anbietet. 

Der neue slowakische Außenminister Juraj Blanar (li.) trifft seinen tschechischen Amtskollegen Jan Lipavsky in PragBild: Luboš Palata/DW

Anfang November hatte die neue Regierung Militärhilfe in Form von Munition im Wert von 40 Millionen Euro aus slowakischen Armeebeständen demonstrativ abgelehnt, die ihre Vorgängerregierung geplant hatte. 

Doch in Prag lässt man sich dadurch nicht beeindrucken. "Ich urteile nicht nach Worten, sondern nach Taten", sagte der tschechische Außenministers Jan Lipavsky der DW. "Die nicht unbedeutenden slowakischen Munitionslieferungen an die Ukraine gehen weiter."

Fico möchte nach Prag kommen

Auch der tschechische Premierminister Petr Fiala bemüht sich um Nähe zur neuen Regierung in Bratislava. Er traf am Rande des EU-Gipfels im Oktober 2023 mit Fico zusammen. "Wir werden in einer Reihe von außenpolitischen Fragen unterschiedliche Ansichten haben, das ist wahr", sagte Fiala nach dem Treffen. "Wir mögen in dieser oder jener Angelegenheit unterschiedliche Vorstellungen haben, aber wir müssen nach einer gemeinsamen Sprache suchen, das ist unsere Pflicht, und so gehe ich auch an die Sache heran." Die beiden Regierungschefs vereinbarten, dass Fico so bald wie möglich zu seiner traditionellen ersten Auslandsreise nach Prag kommen wird. Im Gespräch ist der 24. November.

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala im Dezember 2022 beim Gipfel der EU in PragBild: Luboš Palata/DW

Diplomatischen Quellen zufolge ist das größte Hindernis die Forderung Ficos, von Präsident Petr Pavel empfangen zu werden. General Pavel, bis 2018 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, ist klar pro-ukrainisch eingestellt. Nach Angaben diplomatischer Kreise in Prag verhandeln beide Regierungen derzeit über eine öffentliche Erklärung Ficos zur Unterstützung Kiews.

Tschechen wollen Visegrad erst mit Tusk

Auch in anderen Bereichen versucht Prag, die Slowakei diplomatisch von Viktor Orban wegzudrängen. So lehnte die tschechische Regierung, die derzeit den Vorsitz in der Gruppe der Visegrad-Staaten innehat, die Bitte Ficos ab, ein Gipfeltreffen der V4-Ministerpräsidenten und -Außenminister einzuberufen. Fico wollte dort durchsetzen, dass die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn gemeinsam den EU-Migrationspakt ablehnen. Sowohl Ungarn als auch die scheidende PiS-Regierung in Warschau sind gegen den Migrationspakt. Die Tschechische Republik dagegen unterstützt ihn. 

Prag wies das slowakische Ansinnen zurück und erklärte, es werde auf eine neue polnische Regierung unter dem pro-europäischen Chef der derzeitigen polnischen Opposition, Donald Tusk, warten. "Wir wollen uns nicht nur um des Treffens willen treffen, sondern um uns mit der realen Politik in Mitteleuropa zu befassen", sagte Lipavsky. Experten gehen davon aus, dass Polen unter Tusk und Tschechien gemeinsam versuchen werden, Fico unter Druck zu setzen und Orban innerhalb der Visegrad-Gruppe zu isolieren.

Ungarn bemüht sich auch

Ungarn ist sich dessen wohl bewusst. Deshalb eilte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am 07.11.2023, unmittelbar nach Blanars Besuch in Prag, zu einem Treffen mit seinem slowakischen Amtskollegen nach Bratislava: "Wir vergessen nicht den Wert einer guten Nachbarschaft mit Ungarn", sagte Blanar nach dem Treffen. Vorerst aber, auch nach den ersten Wochen der Regierung Fico, setzt die Slowakei immer noch zuerst auf die Tschechische Republik. Und damit entscheidet sich die Regierung Fico auch für die derzeitige tschechische pro-europäische und bis zu einem gewissen Grad pro-ukrainische Richtung.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag