Für Israel wird es zunehmend ungemütlicher
16. September 2011Aus dem angekündigten "Marsch der Millionen" in Jordanien wurde nichts. Nur einige hundert Menschen protestierten am Donnerstag Abend (15.09.2011) in Amman für die Schließung der israelischen Botschaft und die Annulierung des Friedensvertrags zwischen beiden Ländern. Die Regierungen in Israel und Jordanien dürften dies mit Erleichterung registriert haben, hatten sie doch die Sorge, dass sich in Amman die chaotischen Szenen aus Kairo wiederholen könnten, wo eine Woche zuvor tausende Ägypter die israelische Botschaft angegriffen und den Botschafter aus dem Land vertrieben hatten. Drei Demonstranten waren bei der Aktion getötet, etwa 1000 verletzt worden. Die israelischen Diplomaten wurden in einer dramatischen Rettungsaktion außer Landes geflogen.
Der israelische Botschafter in Jordanien war aufgrund der angekündigten Demonstrationen vorsichtshalber schon am Donnerstag nach Israel zurückgekehrt. Mittlerweile ist er aber wieder zurück in Amman.
Anti-israelische Stimmung nimmt zu
Für Entwarnung besteht jedoch zumindest mittelfristig kein Anlass. Die geringe Beteiligung an der von Linken, Gewerkschaftlern und Muslimbrüdern organisierten Demonstration unter dem Motto "Keine zionistische Botschaft auf jordanischem Territorium" dürfte auch dadurch zu erklären sein, dass die Sicherheitskräfte massiv Präsenz zeigten. Zudem vermuten Beobachter, dass maßgebliche Oppositionskräfte zum derzeitigen Zeitpunkt nicht an einer Eskalation interessiert sind, die die Herrschaft des jordanischen Königshauses ins Wanken bringen und das Land in ein unübersehbares Chaos stürzen könnte. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist palästinensischer Herkunft, das Zusammenleben mit der beduinisch geprägten jordanischen Ursprungsbevölkerung ist keineswegs spannungsfrei. Der König versucht, die fragile Balance zu wahren und durch vorsichtige Reformen Volksaufstände oder Revolutionen wie in anderen arabischen Ländern zu verhindern. Zugleich jedoch sind anti-israelische Ressentiments trotz des 1994 geschlossenen Friedensvertrags in Jordanien genauso verbreitet wie in den meisten arabischen Ländern. Und sie nehmen in diesen Tagen eher noch zu.
Muslimbrüder verschärfen den Ton
Die hasserfüllten Worte eines führenden Mitglieds der jordanischen Muslimbrüder bringen die zunehmende Isolation und Gefährdungslage des jüdischen Staates auf den Punkt: "Der zionistische Feind erlebt derzeit eine weitere Isolation in Folge des Arabischen Frühlings", erklärt Hamzeh Mansour, Generalsekretär der Islamischen Aktionsfront, gegenüber der deutschen Nachrichtenagenutur dpa. Israels Existenz sei "nicht länger sicher", frohlockt der Muslimbruder. Israelische Kommentatoren kommen zu ähnlichen Einschätzungen und warnen davor, dass Israel das Opfer der arabischen Revolutionen werden könnte: "Die erste Welle von Wut und Hass richtete sich gegen Hosni Mubarak, Muammar Gaddafi und Bashar Assad", schreibt Ari Shavit in der israelischen Tageszeitung "Haaretz". Er prophezeit: "Die zweite Welle wird sich gegen Israel richten." Sein Kollege Moshe Arens ergänzt im selben Blatt, dass der "kalte Friede" mit Ägypten mit einem diktatorischen Regime geschlossen worde sei, und nicht mit dem Volk. "Jetzt ist das Regime weg, und wer weiß, was aus diesem Agreement wird?!"
"Israel ist isoliert", konstatiert auch Ralf Hexel, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv. Der deutsche Nahost-Experte sieht darin vor allem ein Versäumnis der israelischen Rechts-Regierung unter Benjamin Netanjahu, die nicht einmal den Willen habe, eine Antwort auf die neuen geopolitischen Herausforderungen zu finden und auch nichts dafür tue, den Friedensprozess mit den Palästinensern voranzubringen. "Diese Regierung ist ganz offensichtlich daran interessiert, den Status Quo zu bewahren", so Hexel im Interview mit der Deutschen Welle. "Innenpolitisch bedeutet das, an der Macht zu bleiben. Und bezogen auf die Region bedeutet es, die Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels nicht zuzulassen."
Unberechenbare Lage in arabischen Staaten
Fakt ist, dass die regionale Konstellation für Israel zunehmend unbequem wird. Die Beziehungen zur Türkei sind auf einem Tiefpunkt, das Verhältnis zu Jordanien und vor allem zu Ägypten verschlechtert sich zunehmend. In Syrien ist nicht auszuschließen, dass eine breite Volksbewegung mit dem Präsidenten Bashar Assad einen Herrscher vom Thron stürzt, der aus israelischer Sicht zumindest immer ein berechenbarer Feind gewesen ist. Was nach ihm kommen könnte, ist derzeit völlig ungewiss. Hinzu kommt die jüngste Initiative der Palästinenser, die in einem einseitigen Schritt vor den Vereinten Nationen eine internationale Anerkennung ihrer Staatlichkeit erreichen wollen. Das absehbare Scheitern dieser Initiative am israelischen, amerikanischen und auch deutschen Widerstand könnte die anti-israelische Grundstimmung in der Region noch weiter hochkochen lassen.
"Wenn wir weiter neue Siedlungen bauen und wenn wir zu echten, ehrlichen Verhandlungen nicht bereit sind, dann tragen natürlich auch wir eine Verantwortung", meint dazu Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland und heute einer der schärfsten Kritiker der Netanjahu-Regierung. "Aber die andere Seite ist auch nicht viel besser", erklärte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. "Dass der Mob in Ägypten unsere Botschaft so stürmen kann, ohne dass die Streitkräfte intervenieren, ist ja auch etwas nicht ganz Normales."
Normal nicht. Aber aus Sicht sowohl neuer wie alter arabischer Machthaber dürfte der Volkszorn gegen Israel, der während der ersten arabischen Revolutionen praktisch keine Rolle gespielt hatte, eine willkommene Ablenkung von fortbestehenden, teils auch verschärften wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Problemen sein. Auch dies ist ein Faktor, der sich für Israels Sicherheit noch gefährlich auswirken könnte.
Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Katrin Ogunsade