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Politik

Für Schwulenrechte in den Wahlkampf

Kersten Knipp | Dina El Basnaly
7. Juli 2019

Homosexuellen-Aktivist Mounir Baatour will Präsident in Tunesien werden - und stellt den Kampf um LGBTI-Rechte ins Zentrum seines Wahlkampfs. Seine Chancen sind minimal, die Widerstände riesig. Baatour aber will kämpfen.

Tunesien Mounir Baatour
Bild: AFP/Getty Images/F. Belaid

Es ist noch etwas hin bis zu den tunesischen Präsidentschaftswahlen im November, doch die Kandidaten für das höchste Staatsamt des Landes haben sich bereits aufgestellt. Zu ihnen zählt auch Mounir Baatour, der Vorsitzende von "Shams", der tunesischen Organisation für die Rechte von Homosexuellen und Transgender. Jahrelang hatte er für die Anliegen der Gruppe gestritten, jetzt will er das auch auf höchster Ebene tun. "Nach so vielen Jahren Kampf für die Rechte von Minderheiten habe ich realisiert, dass keiner den Job besser machen kann als man selbst", begründete er in der vergangenen Woche seine Entscheidung zur Kandidatur. Die dazu erforderlichen 10.000 Unterstützer habe er bereits zusammen, sagte der im Hauptberuf als Anwalt arbeitende Baatour.

Nach derzeitigem Stand sind die Chancen, die Präsidentenwahlen zu gewinnen, für Baatour minimal. Nur sieben Prozent der Tunesier halten einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Arab Barometer zufolge Homosexualität für akzeptabel.

Gegen Kriminalisierung der Homosexualität

Für Homosexuellenrechte: Aktivisten von "Shams", hier im Gespräch mit einem GeistlichenBild: Getty Images/AFP/F. Belaid

Gegen diese Mentalität wolle er durch seine Kandidatur angehen, sagt Baatour im Gespräch mit der DW. Die Forderungen, mit denen er in den Wahlkampf ziehe, habe sich kein anderer Kandidat zu eigen gemacht. Individual- und Bürgerrechte spielten bei den anderen Kandidaten nur eine geringe Rolle, so Baatour. Er selbst hingegen stelle sie in den Mittelpunkt seines Wahlprogramms: "Ich fordere die Aufhebung von Artikel 230 des tunesischen Strafgesetzbuches, der Homosexualität kriminalisiert. Das tunesische Volk soll selbst entscheiden, ob es Homosexuelle anklagen und ins Gefängnis stecken oder aber den entsprechenden Artikel abschaffen will."

Die Folgen dieses Gesetzesartikels haben tunesische Homosexuelle auch in der jüngeren Vergangenheit zu spüren bekommen. So war ein junger Mann im vergangenen Dezember nahe der Stadt Monastir im Westen des Landes von mehreren Männern brutal zusammengeschlagen worden. Das Opfer brachte die Angreifer daraufhin vor Gericht. Als der Richter während des Prozess von der Homosexualität des Anklägers erfuhr, ließ er einen der Angeklagten ganz frei, den anderen auf Bewährung. Ihr Opfer hingegen musste eine lange Ermahnung durch den Richter über sich ergehen lassen. 

Noch härter hatte es kurz zuvor einen Krankenpfleger getroffen. Der hatte sich über das Internet mit einem anderen, angeblich ebenfalls homosexuellen Mann getroffen. Am Treffpunkt wurde er dann aber von zwei Männern attackiert und vergewaltigt. Während des darauf folgenden Prozesses musste das Opfer einen Anal-Test über sich ergehen lassen. Der sollte klären, ob der junge Man bereits zuvor homosexuelle Handlungen praktiziert hatte. Der Befund war nach Auffassung des Gerichts positiv. Der junge Mann wurde zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Die beiden Angreifer sprach der Richter hingegen frei. Homosexualität kann in Tunesien mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden.

Geächtete Liebe: ein lesbisches Paar in TunesienBild: AFP/Getty Images/F. Belaid

Streben nach Gleichberechtigung

Es sind Gerichtsfälle wie diese, die Baatour zur Kandidatur trieben. Allein der Umstand, dass er sich aufstellen lasse, werfe ein Licht auf die Probleme der Homosexuellen, sagt er im Gespräch mit der DW. Darüber hinaus will er für umfassende Gleichberechtigung eintreten. Sein Land hinke in dieser Hinsicht den rechtlichen Standards der westlichen Staaten hinterher. "In Tunesien erben die Frauen die Hälfte dessen, was den Männern zusteht. Das möchte ich ändern. Ich fordere absolute Gleichheit, wie sie die tunesische Verfassung dem Text nach auch vorschreibt. Die geschlechtsspezifische Diskriminierung widerspricht der Verfassung."

Zudem fordere er die Abschaffung der Todesstrafe. "All dies ist in den entwickelten Ländern bereits Standard. Wenn Tunesien sich diesen entwickelten Ländern zurechnen will, muss das Land die entsprechenden Hindernisse aus dem Weg räumen."

Nach der arabischen Revolution wurde die Lage für Homosexuelle in Tunesien schwieriger. Unter dem im Januar 2011 geflohenen, autoritär regierenden Zine el-Abbidine Ben Ali hatte der Staat die Homosexuellen kaum ins Visier genommen. Stattdessen hatte er sich auf die Bekämpfung des Sextourismus konzentriert. Nach der Revolution und dem Erstarken islamistischer und gemäßigt islamischer Parteien - auch der von 2014 an mitregierenden Ennahda - wuchs dann aber der Druck. Homosexualität gilt konservativen Muslimen als unvereinbar mit den Werten des Islam. Die Folge war eine strengere Gesetzgebung gegen Homosexuelle.

Zugleich gründeten sich unter diesem Druck die ersten Homosexuellenvereinigungen. Ihnen ging es nicht allein darum, die gegen sie gerichteten Gesetze zu entschärfen oder im besten Fall sogar aufzuheben. Sie wollten auch die Mentalität der Bevölkerung verändern.

Mounir Baatour will mit seiner Kandidatur noch etwas erreichen: Er will eine grundsätzliche Debatte über die Idee der Demokratie entfachen. Viele Menschen hätten falsche Vorstellungen von dem, wofür diese stehe. "Demokratie bedeutet nicht, dass die Mehrheit der Minderheit die Regeln diktiert. Vielmehr verpflichtet sie dazu, auch die Rechte der Minderheit zu achten." Darum wolle er sich auch für religiöse Gleichberechtigung einsetzen - was auch heißt, dass sich etwa auch Nicht-Muslime als Präsidentschaftskandidaten bewerben können. Auch solle Vertretern anderer Religionen die Missionierung erlaubt werden.

Engagement für Gleichberechtigung: Demonstration von "Shams" in Tunis, 2015Bild: Shams

Den wirtschaftlichen Druck lockern

Die rechtlichen Freiheiten sind das eine. Viele Tunesier haben jedoch darüber hinaus ganz andere Probleme: Sie leiden unter hohem ökonomischem Druck. Arbeitslosigkeit, hohe öffentliche Schulden und eine stagnierende Wirtschaft setzten Staat und Gesellschaft gleichermaßen zu. Auch dieser Herausforderung will Baatour sich stellen.

Er sei zwar überzeugt, dass die Sorge für Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Verteidigung ausschließliche Aufgabe des Staates sei. "Alles Übrige aber fällt in den Bereich des Privatsektors." Darum wolle seine Partei der Privatwirtschaft nur die allernötigsten Beschränkungen auferlegen. "Das könnte eine wirtschaftliche Dynamik in der tunesischen Wirtschaft erhöhen, Arbeitsplätze schaffen und so Druck von den Bürgern nehmen."

Mounir Baatour ist ein umstrittener Kandidat. So wurde er im Juni 2013 wegen Verführung eines Minderjährigen zu drei Monaten Haft verurteilt. Auch wurde ihm vorgeworfen, seine Organisation Shams habe Homosexuelle gegen deren Willen geoutet - ein Umstand, der für sie juristischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu erheblichen Problemen führen kann. Andere Organisationen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, wollen darum nicht mehr mit Shams zusammenarbeiten. 

Das alles hindert Baatour nicht an einer Kandidatur. Und er räumt ein, dass er nur einen kleinen Teil der Tunesier von seinen Ideen wird überzeugen können. "Aber ich bleibe bei meiner Kandidatur. Und ich werde bis zum Ende des Wahlkampfs für meine Werte einstehen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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