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Menschenrechte vor Profit?

Helle Jeppesen
24. Oktober 2017

Wie sozial und ökologisch sind multinationale Unternehmen? Freiwillig zu wenig, zeigen UN-Erfahrungen. In Genf soll ein verbindliches Staatenabkommen über Menschenrechte in globalen Lieferketten verhandelt werden.

Kinderarbeit Afrika Elfenbeinküste Kakao Plantage
Bild: AP

Wer ist verantwortlich, wenn Kinder in Ghana oder der Elfenbeinküste im Kakaoanbau arbeiten? Wer, wenn Arbeiter in Costa Rica und Ecuador krank werden, weil Pestizide, die in westlichen Ländern längst verboten sind, in den Ananas- und Bananen-Plantagen versprüht werden?  Wer, wenn Opfer einer Chemie-Katastrophe keine Entschädigungen bekommen?

Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf liegt ein erster Entwurf für ein UN-Abkommen auf dem Tisch. Eine Arbeitsgruppe soll vom 23. bis 27. Oktober den Prozess voranbringen.

"Aus unserer Sicht sollte das Abkommen regeln, dass Staaten Unternehmen gesetzlich verpflichten, die Menschenrechte auch in ihren Auslandsgeschäften zu achten. Das heißt auch in ihre Lieferketten", sagt Eva-Maria Reinwald, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte beim deutschen Südwind Institut. Südwind engagiert sich seit mehr als 25 Jahren für wirtschaftliche Gerechtigkeit und ist Mitglied der Treaty Alliance, ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das sich für ein verbindliches UN-Abkommen über Firmenhaftung in den globalen Produktionsketten einsetzt.

"Das Abkommen soll die Klagemöglichkeiten für Betroffene verbessern und die Zusammenarbeit der Staaten fördern, wenn sie Menschenrechtsverletzungen verfolgen wollen", fordert Reinwald.

Bis heute gibt es Proteste für eine angemessene Entschädigung der Bhopal-OpferBild: picture-alliance/EPA/Sanjeev Gupta

Opfer gehen leer aus

Bisher gibt es in der globalisierten Wirtschaft kaum Klagemöglichkeiten, wenn multinationale Konzerne für Menschenrechtsverletzungen in der Produktions- und Lieferkette mitverantwortlich sind. In den meisten Fällen gehen die Geschädigten leer aus, wie zum Beispiel im indischen Bhopal. Die Katastrophe ereignete sich vor über 33 Jahren. Bis heute fühlen sich weder das US-Unternehmen Union Carbide - später von Dow Chemical gekauft - noch der indische Staat für die Opfer zuständig. Die Zuständigkeiten sind 2017 mit der Fusion von Dow Chemical mit dem Konkurrenten Du Pont zu DowDuPont Inc. noch nebulöser geworden.

Nach den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen wären sowohl Staaten als auch Unternehmen für die Entschädigungen und für den Schutz der Arbeiter und Anwohner zuständig.

Diese Leitprinzipien sind jedoch ebenso wenig verbindlich für die Unternehmen wie die zehn Prinzipien des UN Global Compact, dem mittlerweile 9670 Unternehmen aus 163 Ländern freiwillig beigetreten sind. Die Unternehmen verpflichten sich lediglich zu einer jährlichen Berichterstattung über Fortschritte und Probleme bei Einhaltung der Menschenrechte und der Umweltstandards.

Verbindliches Abkommen gefordert

Seit Jahren fordern Menschenrechtsorganisationen deshalb ein verbindliches UN-Abkommen über Menschenrechte und Wirtschaft, das nicht von den Unternehmen als freiwilliges Engagement, sondern von den UN-Mitgliedstaaten als völkerrechtlich verbindliches Abkommen umgesetzt werden muss.

Eine Resolution über ein solches Abkommen wurde 2014 auf Initiative von Südafrika und Ecuador im UN-Menschenrechtsrat in Genf verabschiedet. Bisher war der Prozess zäh, doch das jetzt stattfindende Arbeitstreffen könnte eine Wende bringen.

"Jetzt im September haben sich die Außenminister der G77, der Gruppe der Entwicklungsländer, getroffen und sich in einer Ministererklärung auch für die Unterstützung dieses Prozesses hin zu einem verbindlichen Abkommen ausgesprochen", erzählt Karolin Seitz von der NGOGlobal Policy Forum, die als Expertin das Treffen in Genf begleitet.

Vor allem die G77-Staaten fordern ein UN-Abkommen über verbindliche Unternehmensverantwortung.

Die G77-Staaten sind vor allem Entwicklungsländer, die in den globalen Lieferketten als Billiglohnländer gelten und in der Wertschöpfungskette ganz unten stehen. Doch auch die aufstrebenden Wirtschaftsnationen stehen im Menschenrechtsrat hinter der Forderung nach einem verbindlichen UN-Abkommen:

"Unterstützung gibt es bislang auch von den sogenannten BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China, Russland und Südafrika. Sie haben 2014 auch für die Einsetzung dieser Arbeitsgruppe gestimmt", so Seitz im DW-Interview.

Widerstand der Industrieländer

Bei den Industrieländern im Norden ist die Initiative eher auf Ablehnung gestoßen. Auch die Bundesregierung stand bisher der Initiative für ein Staatenabkommen kritisch gegenüber und verwies stattdessen auf den nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien.  Außerdem bemängelt sie, dass das Abkommen über Firmenhaftung bei Menschenrechtsverstößen nur für international tätige Unternehmen gelten solle.

Und wie steht die Wirtschaft zu einem verbindlichen Staatenabkommen statt freiwillige Umsetzung von Leitlinien?

Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern, Nestlé, ist bereits 2001 der Global Compact-Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs, Kofi Annan, beigetreten. Der transnationale Konzern arbeite nach den OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen und berücksichtige die UN-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Von daher sei der Konzern schon gut aufgestellt, sagt Achim Drewes, Sprecher von Nestlé Deutschland.

"Für uns würde es wahrscheinlich gar nicht so viel ausmachen, ob diese Vorgaben, die in eine ähnliche Richtung gehen,  jetzt qua Gesetz oder UN-Verordnung verbindlich werden", meint er. Nach eigenen Angaben arbeitet Nestlé weltweit mit rund 690.000 Bauern und Landwirtschaftsbetrieben zusammen.

"Gerade wenn wir mit Landwirten direkt zusammenarbeiten, also nicht über Exporteure und Zwischenhändler, haben wir sehr gute Gestaltungsmöglichkeiten", so Drewes im DW-Interview. "Allerdings bin ich ein bisschen skeptisch, ob gerade kleine und mittelständische Unternehmen diese Anforderungen erfüllen können und wie die Unternehmen dabei unterstützt werden sollen, ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten wahrzunehmen."

Nestlé kauft in der Elfenbeinküste mittlerweile direkt bei Kooperativen, um Kinderarbeit zu unterbinden.Bild: Reuters/L. Gnago

Konzerne unter öffentlichem Druck

Nestlé machte in den Medien Schlagzeilen, als Kinderarbeit auf den Plantagen in der Elfenbeinküste und in Ghana publik wurde. Mittlerweile, so Drewes, werde der Kakao direkt bei Kooperativen und Bauern in der Elfenbeinküste eingekauft.

"Bei jeder der 75 Kooperativen, von denen wir Kakao beziehen, gibt es einen Child Labour Agent, also ein Ansprechpartner für das Thema Kinderarbeit, und in jeder der Dorfgemeinschaften, die diesen 75 Kooperativen angeschlossen sind, gibt es eine Vertrauensperson."

Insgesamt mehr als 1500 Menschen seien im Prozess eingebunden, in den Dörfern leiste der Konzern Hilfe zur Aufbau von Schulen und Wasser- und Sanitärversorgung.

"Es sind um die 250.000 Menschen in ländlichen Gemeinschaften in der Elfenbeinküste, die von diesen auf dem ersten Blick rein sozialen Aktivitäten profitiert haben. Es nutzt uns aber auch, weil es eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften ist."

Demnächst soll dass Programm auf Ghana ausgeweitet werden - und so auch helfen, ein besseres Image des Konzerns zu fördern.

Der Menschenrechtsrat muss zuerst ein UN-Abkommen zustimmen, danach der UN Generalversammlung.Bild: imago/Xinhua

Ein langer Weg zum  Abkommen

Was Nestlé macht, ist jedoch freiwillig und nicht verbindlich. Der Weltkonzern entscheidet, ob und wann er gegen Menschenrechtsverletzungen in der Liefer- und Produktionskette etwas unternimmt. Ebenso wo und wie zum Beispiel Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) durchgesetzt werden. Bisher, so Karolin Seitz vom Global Policy Forum, hat die Freiwilligkeit der Konzerne wenig gebracht:

"Der Prozess jetzt zu diesem Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechte ist ein Produkt aus der Unzufriedenheit mit den bisherigen UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechte."

Wie lange es dauern wird, bevor ein verbindliches Staatenabkommen in Kraft treten kann, ist ungewiss. Zunächst muss sich der UN-Menschenrechtsrat mit 47 Mitgliedsländern auf einen Vertragstext einigen. Dann muss die UN-Vollversammlung zustimmen. Erst, wenn danach eine Mindestzahl an UN-Staaten das Abkommen ratifiziert, kann es in Kraft treten. Das wird voraussichtlich Jahre dauern.

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