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Politik

Facebook "ist nicht ganz raus"

7. März 2017

Auch wenn der syrische Flüchtling Anas M. gegen Facebook unterlag - das letzte Urteil ist noch nicht gesprochen, meint Medienrechtler Karl-Nikolaus Peifer. Der Gesetzgeber müsse Providern Pflichten auferlegen.

Deutschland Merkel Selfie mit Anas Modamani
Bild: Getty Images/S. Gallup

Sein Bild mit Angela Merkel vom Herbst 2015 ging um die Welt. Doch seitdem taucht das Foto im Netz auch immer wieder im Zusammenhang mit Anschlägen auf. Anas M. stand als Terrorist da. Schließlich wollte der 19-Jährige vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den US-Konzern Facebook erwirken - und verlor. Er muss nun weiterhin selbst nach verleumderischen Inhalten gegen ihn suchen und sie Facebook zur Löschung melden. Fragen dazu an den Kölner Medienrechtler Karl-Nikolaus Peifer.

 

Deutsche Welle: Herr Prof. Peifer, können Sie das Urteil nachvollziehen?

Karl-Nikolaus Peifer: Ich kann es insoweit nachvollziehen, als der Antrag letztlich darauf gerichtet war, ein Foto verbieten zu lassen, das in bestimmten Konstellationen, so, wie es aufgenommen wurde, eine falsche, Ruf schädigende Tatsachenbehauptung darstellt. Die Schwierigkeit ist allerdings, dass der Umstand der Reputationsverletzung immer kontextabhängig ist. Das heißt, sobald das Foto in einen neuen Zusammenhang gestellt wird, etwa die Presse darüber berichtet, ist es nicht mehr verletzend. Wenn man nun von einem Internet-Service-Provider verlangt, dass er das Foto als Rechtsverletzung von seinen Servern generell tilgt, mutet man ihm auch zu, diese Unterscheidung zwischen mal rechtsverletzend, mal nicht rechtsverletzend trennscharf, eventuell auch schnell und mit technischen Mitteln treffen zu können, und das ist in der Tat sehr schwierig.

Ist das nicht ein Freibrief für soziale Netzwerke?

Nein, das ist es nicht. Es ist auch keineswegs so, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, dass niemals eine Verletzung vorliegt. Das konkrete Foto, das ich konkret auf einem Profil rüge und das auf diesem Profil eine falsche Tatsachenbehauptung darstellt, das muss gelöscht werden. Aber wenn dieses Profilbild weitergegeben wird, dann wäre es keine Verletzung. Dies geschieht in den sozialen Netzwerken ja sehr häufig. Gerade in der Berichterstattung über diesen Prozess wurden diese Fotos zum Teil weitergegeben, zum Teil auch auf die Seiten von Presseunternehmen, um den Fall zu erläutern. Von daher sind die sozialen Netzwerke nicht ganz raus. 

Offenbar geht es hier um zwei Fragen: Einmal, ob Facebook das Bild des syrischen Flüchtlings ohne dessen Einwilligung verbreiten darf, und zweitens, ob Facebook das Bild löschen muss, wenn es in verleumderischer Weise verwendet wird.

Peifer: Eine schnelle Unterscheidung zwischen rechtsverletzend und nicht rechtsverletzend ist schwierigBild: Universität zu Köln

Richtig. Die Frage, ob das Originalfoto mit dem syrischen Flüchtling und Merkel überhaupt verwendet werden darf, ist leicht zu bejahen, denn es handelt sich um ein Bildnis der Zeitgeschichte. Das veränderte Foto, also in der Montage, ist als Bildnis auch noch zeitgeschichtlich. Nur die Veränderung des Kontextes ist Rechtsverletzung. Es kommt also, wie immer im Medienrecht, auf den Kontext an. Wenn ich das Originalfoto ohne Kontext verbreite, darf das jeder tun, weil es ein Bildnis der Zeitgeschichte ist. Wenn ich den Kontext verändere, zum Beispiel Merkel und den Syrer vor dem LKW zeige, der in den Berliner Weihnachtsmarkt gerast ist, dann ist es eine Montage. Dieses Foto ist eine Rechtsverletzung, weil es eine falsche, ehrverletzende Tatsachenbehauptung darstellt. Die Ehrverletzung folgt allerdings vor allen Dingen daraus, dass es auch noch einen Text dazu gibt, etwa den Text "Es sind Merkels Tote", und dann wird der Syrer so abgebildet, als ob er sich gewissermaßen nach vollendeter Tat mit Frau Merkel vor dem Chaos, das er nach dem Foto angerichtet zu haben scheint, abbildet.

Es ist unbefriedigend, wenn allein die Frage, welches Gericht zuständig ist, offenbar schwierig zu klären ist. Könnte das vorgeschoben sein, um sich nicht mit der Materie befassen zu müssen?

Die Anwälte, die Facebook verteidigen, verteidigen natürlich auch das Geschäftsmodell von Facebook. Und sie tun das, was Anwälte eben tun: sie versuchen, die rechtliche Verantwortung auf möglichst vielen Feldern anzugreifen, um möglichst früh solche Prozesse zu verhindern. Es ist klar, wenn deutsche Gerichte gar nicht zuständig wären, müsste man sich inhaltlich mit der Frage, ob das Unternehmen hier einen Fehler gemacht hat und ob das Unternehmen Pflichten unterliegt, gar nicht befassen. Aber es gibt schon die Tendenz einer weltweiten Zuständigkeit der Gerichte, weil Internetangebote ja auch weltweit abrufbar sind. Die gerichtliche Zuständigkeit ist deshalb meines Erachtens ein Problem von gestern. 

Der Anwalt des syrischen Flüchtlings sieht den Gesetzgeber gefordert. Ist der Rechtsweg tatsächlich ausgeschöpft?

Ja und nein. Die Gerichte haben durchaus auch soziale Medien und deren Inhalte schon kontrolliert, und wenn es eindeutige Rechtsverletzungen gab, haben sie auch die Betreiber in Pflicht genommen. Das gilt etwa bei den File- sharing-Fällen, also das unzulässige Hochladen von Inhalten im Internet, die demjenigen, der sie hochlädt, nicht gehören. Diese Fälle sind urheberrechtlich relativ einfach zu lösen, und da haften die Provider in dem Moment, in dem man ihnen mitgeteilt hat, dass es einen rechtsverletzenden Inhalt in ihrem Bereich gibt. Da sind sie also schon verantwortlich. Bei Inhalten, die das Persönlichkeitsrecht verletzen, also Texte und Bilder, ist der Fall auch klar: Wenn ein konkretes Bild in einem konkreten Zusammenhang eine falsche Tatsachenbehauptung ist, haftet der Provider, er muss dieses Bild herunternehmen.

Aus Sicht derjenigen, die verletzt werden, muss aber mehr getan werden, weil die Inhalte blitzschnell viral verbreitet werden, also auf sehr, sehr vielen unterschiedlichen Orten stehen. Für die verletzte Person ist es nicht mehr möglich ist, alle diese Orte noch nach zu verfolgen. Hier wird der Gesetzgeber wohl über Möglichkeiten nachdenken, den Unternehmen Pflichten aufzuerlegen, wie sie diesen Gefahrenbereich, den sie durch ihre Dienste auch erzeugen, absichern können. Das haben wir schon bei urheberrechtsverletzenden Inhalten, da gibt es mittlerweile technische Mittel, um identische Musikdateien zu löschen, wenn eine mal als rechtsverletzend festgestellt ist. Bei Bildern funktioniert das prinzipiell auch, wenn es nur um das gewöhnliche Bild geht. Das Problem ist auch hier wiederum der Kontext, der um das Bild gestrickt ist. Da wird man den Providern Pflichten auferlegen. Wie genau die auszusehen haben, das weiß aber der Gesetzgeber hundertprozentig auch noch nicht.

Der Jurist Prof. Karl-Nikolaus Peifer ist Direktor des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln.

Die Fragen stellte Christoph Hasselbach.