1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Facebook verbannt professionellen Journalismus"

Fernando Caulyt
10. Februar 2018

Brasiliens größte Zeitung "Folha de S.Paulo" zieht sich aus Facebook zurück. Im Interview erklärt Chefredakteur Sérgio Dávila die Gründe für die Entscheidung und warum Soziale Netzwerke auch Konkurrenten sind.

Folha hört auf, Inhalte auf Facebook zu publizieren
Bild: DW/J. D. Walter

DW: Warum veröffentlicht "Folha de S.Paulo" ihre Inhalte nicht mehr auf Facebook?

Sérgio Dávila: Über diese Entscheidung hatten wir schon seit einigen Monaten gesprochen, und der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Änderung des Algorithmus, die Facebook im Januar angekündigt hat. Obwohl diese Änderung sehr beschönigend verkauft wurde, bedeutet letztendlich, dass der professionelle Journalismus von Facebook verbannt wird. Deswegen sind wir der Meinung, dass es sich unter diesen Bedingungen für die "Folha" nicht mehr lohnt, ihre Inhalte auf der offiziellen Facebookseite der Zeitung zu posten.

Aber fürchten Sie nicht, Klicks zu verlieren?

Zum Glück sind die Nutzerzahlen der "Folha" sehr stabil: Und auch wenn die sozialen Medien eine wichtige Rolle spielen, sind sie nicht alles entscheiden. Und auch Facebook ist unter den Sozialen Medien nicht mehr so wichtig wie früher, die Bedeutung nimmt seit letztem Jahr ab. Wir fürchten einen Rückgang der Klicks, aber nicht so extrem, dass es unserem Geschäft schadet. Und parallel zum Ausstieg bei Facebook haben wir eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, um die Klicks, die wir bei Facebook eventuell verlieren, über andere Kanäle zu bekommen.

Also wird die "Folha" ihre Inhalte auf anderen Plattformen wie Twitter, Instagram, LinkedIn, Whatsapp und so weiter veröffentlichen?

Ja. Solange diese Sozialen Medien ihren Algorithmus in der Weise wie Facebook ändern, glauben wir, dass es sich weiter lohnt, bei Twitter, Instagram und LinkedIn zu sein, und das Teilen von Inhalten in Apps wie WhatsApp zu unterstützen. Vor allem aber, glauben wir, lohnt sich ein direkter Kanal mit dem User: unsere Newsletter. Viele haben den Tod von E-Mail und Newsletter vorhergesagt, aber wir sehen heute - ganz im Gegenteil - eine Neubewertung dieser beiden Kanäle. Wir haben sehr viel in Newsletter investiert: Derzeit haben wir fast ein Dutzend, und wir werden die Zahl weiter erhöhen.
Als Sie Ihre Entscheidung bekannt gaben, sprachen sie von "problematischen Aspekten der Sozialen Medien". Was meinen Sie damit?

Sérgio Dávila: Journalismus kann seine Aufgabe bei Facebook derzeit nicht gut wahrnehmen.Bild: Eduardo Knapp/Folhapress

Die Sozialen Medien neigen dazu, Blasen zu kreieren, sozusagen "Überzeugungsgemeinschaften". Wenn Sie linke Parteien wählen, eine bestimmte Mannschaft unterstützen, einen Politiker mögen oder ein bestimmtes Verhalten haben, neigen Sie dazu, mit anderen Menschen in Sozialen Netzwerken zu kommunizieren, die genau so sind oder denken, die die gleiche Mannschaft unterstützen, die die gleichen politischen Positionen haben. Und wir sehen den professionellen Journalismus - im Gegensatz zu dieser geschlossenen Gemeinschaft der Sozialen Medien - als einen öffentlichen Raum. Es ist sogar ein gesellschaftlicher Auftrag des professionellen Journalismus, diesen öffentlichen Raum abzubilden, in dem man auf Menschen, Gedanken und Ideen trifft, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gab. Diese ständige Konfrontation mit dem Andersdenkenden macht den ganzen Unterschied in der Bildung eines Bürgers. Wir glauben, dass Journalismus diese Aufgabe hat, und in einem Sozialen Netzwerk wie Facebook kann er sie nicht gut wahrnehmen.

Sieht die "Folha" Facebook und andere Soziale Medien als Konkurrenten im Kampf um die Aufmerksamkeit des Lesers?

Die "Folha" sah und sieht Facebook als "Frienemy", wie man auf Englisch sagt. "Friend", weil der Inhalt, den man auf diesem Sozialen Netzwerk teilt, Klicks für die Zeitung erzeugt. Es ist mir wichtig zu sagen, dass unsere Leser den Inhalt der "Folha" weiter teilen können - nur wir werden das nicht mehr tun. Facebook ist aber auch "Feind", oder mindestens Konkurrent, im Kampf um die Aufmerksamkeit des Lesers, dessen Tag nach wie vor nur 24 Stunden hat - und es gibt immer mehr Akteure, die sich um diese Stunden der Aufmerksamkeit schlagen, und vor allem um Werbeeinnahmen. Facebook kann so lange behaupten wie es will, dass es kein Medienunternehmen sei, aber es ist ein Medienunternehmen, das von Werbung lebt. Es erfüllt die klassische Definition eines Medienunternehmens: publiziert Inhalt und lebt von Werbung. Also, wenn sie einen Markt haben wie den amerikanischen, wo Facebook und Google 90 Prozent der Marktanteile für digitale Werbung halten, sind sie eine zerstörerische Kraft.

Die "Folha" hat fast sechs Millionen Fans bei Facebook. Dafür hat die Zeitung auch viel investiert. Bereuen Sie das?

Nein. Es war eine richtige Strategie, solange der Algorithmus uns begünstigt hat. Außerdem sind unsere meisten Leser dort, also wollten wir auch dabei sein. Wenn Facebook, früher oder später, in einigen Monaten, seine Entscheidung wieder überdenkt, wird auch die "Folha" ihre Entscheidung überdenken und sicherlich wieder in diesem Sozialen Netzwerk posten. Aber derzeit lohnt es sich nicht.

Sérgio Dávila ist Chefredakteur der "Folha de S.Paulo", der größten Tageszeitung Brasiliens.

Das Interview führte Fernando Caulyt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen