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Zu wenig Fachkräfte für Notre-Dame

17. April 2019

An Geld für den Wiederaufbau der abgebrannten Kathedrale Notre-Dame de Paris mangelt es nicht. Doch es fehlen Steinmetze, sagt Wolfgang Zehetner, Vorsitzender der Europäischen Dombaumeister, im DW-Gespräch.

Frankreich Paris | Zerstörung nach Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris
Bild: Reuters/C. Petit Tesson

Deutsche Welle: Die Spendenzusagen für den Wiederaufbau von Notre-Dame de Paris erreichten schon zwei Tage nach dem Brand die Milliarden-Grenze. Sie sagen, nicht das Geld sei das Problem, sondern die Fachkräfte. Warum?

Wolfgang Zehetner: Fachkräfte, die mit Gefühl und Erfahrung an solch alten Steinskulpturen und Bauzier arbeiten können, die sind in Europa nicht mehr in großem Maß verfügbar. Es wird eine Herausforderung sein, in kurzer Zeit entsprechende Qualifikationen zu schaffen.

Bild: Archiv der Dombauhütte St. Stephan

Die vorhandenen Spezialisten arbeiten alle an anderen Kirchen?

Ja. Fachkräfte gibt es an den großen Dombauhütten in Deutschland und anderen Ländern, die bekannteste ist in Köln. In Wien am Stephansdom haben wir 20 Festangestellte, die in der Restaurierung arbeiten. Aber diese Bauhütten sind wie die letzten gallischen Dörfer. Im Alltag der heutigen Bauwirtschaft ist dieses Handwerk nicht mehr vorhanden. Man ist dort nicht mehr vertraut mit der Kunst, mit dem Meißel Details aus dem Stein herauszuarbeiten, weil heutzutage hauptsächlich industriell gefertigte Steine versetzt werden.

Wo könnten die Fachkräfte herkommen, die nun in Paris benötigt werden?

Wir haben uns im Vorstand der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister abgesprochen: Wenn es in Frankreich gewünscht ist, können wir von einzelnen Bauhütten Fachleute entsenden. Natürlich können wir bestehende Bauhütten, die mit Arbeit ausgelastet sind, nicht völlig entblößen. Auch gibt es in Frankreich sicher ebenfalls qualifizierte Leute. Wenn man die aber alle nach Paris holen will, dann besteht die Gefahr, dass anderen Bauwerken die nötige Pflege und Betreuung fehlt. Insgesamt besteht ein Engpass an qualifizierten Fachleuten im Stein- und Restaurierungsbereich.

Wird der Nachwuchs für diese Berufen direkt an den Dombauhütten ausgebildet?

Ja, im wesentlichen. Es gibt auch Lehrlinge, die das von der Pike auf lernen. Aber in der Regel werden gelernte Steinmetze an den Dombauhütten weiter ausgebildet für die speziellen Arbeiten an mittelalterlichen Bauten.

Die Europäische Vereinigung der Dombaumeister hat Mitglieder aus 17 Ländern. Ihre Webseite, dombaumeisterev.de, zeigt auf einer Europakarte alle Kathedralen, die der Vereinigung angehören. Aus Frankreich ist aber nur der Dom in Straßburg dabei. Was ist mit Notre-Dame de Paris und all den anderen französischen Kathedralen?

Der Dom in Straßburg ist eine Ausnahme. In Frankreich sind die großen Kathedralen verstaatlicht und werden von einem Ministerium verwaltet. Anders als in Mitteleuropa und in England gibt es dort nicht diese Struktur aus lokalen Dombauhütten.

Ein Steinmetz restauriert eine Skulptur in der Dombauhütte des Kölner DomsBild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den Wiederaufbau von Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren versprochen. Dagegen hält Frédéric Letoffé, Verbandspräsident der französischen Bauunternehmer für historische Gebäude, zehn bis 15 Jahre für realistisch. Was glauben Sie?

Ich halte Macrons Ziel für sehr ambitioniert. Es wird schwierig, diese Frist einzuhalten. Gleichzeitig bin ich froh über diese Vorgabe. Sie nimmt den Präsidenten selbst, also den obersten Vertreter des Eigentümers, in die Pflicht, entsprechende Mittel zu mobilisieren. Wenn die starke Empathie für Notre-Dame anhält und der entsprechende Wille da ist, kann ich mir durchaus vorstellen, dass wesentliche Arbeiten in fünf Jahren soweit abgeschlossen sind, dass Notre-Dame als Kirche und als Monument wieder genutzt werden kann.

Erwarten Sie in den nächsten Tagen noch Hiobsbotschaften, dass etwa die Steine der Kathedrale doch stärker beschädigt sind als befürchtet?

Ich hoffe nicht. Stein selbst brennt ja nicht, kann aber durch Hitzeeinwirkung seine Tragfähigkeit verlieren. Besonders betroffen sind hier die Stellen an den Türmen, die an den Dachstuhl anschließen. Wir kennen das auch vom Brand des Wiener Doms 1945. Der Stein ist dann nicht ansatzweise so tragfähig wie vorher. Um diese Analyse geht es jetzt: Wo kann man die Konstruktion belasten? Wo muss sie verstärkt oder gar ausgewechselt werden, um langfristig Standsicherheit zu gewährleisten?

Beim Brand von Notre-Dame wurden auch viele Fenster zerstörtBild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten

Der Dachstuhl von Notre-Dame wurde auch 'der Wald' genannt, weil er aus alten, langen Baumstämmen bestand. Einige sagen nun, es gebe nicht genügend Bäume in dieser Größe, um den Dachstuhl originalgetreu nachzubauen.

Ich befürchte, diese Aussage ist richtig, zumindest für Mitteleuropa. Und wenn man in der Denkmalpflege die Maxime hat, so originalgetreu wie möglich zu bleiben, dann stellt sich natürlich die Frage, ob aus brasilianischen Regenwäldern herbeigeschafftes Holz als Ersatz in Frage kommt.

"Das machen wir mit dem 3D-Drucker" ist dann wahrscheinlich keine Option für Denkmalpfleger?

Technisch kann man heute sicherlich viel machen. Aber Sie würden mir doch recht geben: Auch wenn das Cinderella-Schloss in Disneyland so aussieht wie Schloss Neuschwansteing in Bayern, so ist es doch kein Neuschwanstein.
 

Wolfgang Zehetner ist Dombaumeister des Wiener Doms St. Stephan und Vorsitzernder der Vereinigung der Europäischen Dombaumeister. Der Verein wurde 1975 gegründet und hat heute 150 Mitglieder in 17 europäischen Ländern.

Das Gespräch führte Andreas Becker.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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