Fachkräftemangel treibt seltsame Blüten
14. April 2022Deutschland verzeichnet einen Rekord bei hochqualifizierten Fachkräften von außerhalb der EU. Die Zahl der ausländischen Experten mit der sogenannten Blauen Karte stieg Ende 2021 um sechs Prozent auf rund 70.000, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. So viele dieser Menschen waren seit Beginn der Initiative 2012 noch nie im Ausländerzentralregister erfasst.
Die Blue Card ist ein befristeter Aufenthaltstitel speziell für akademische Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten. Sie wurde EU-weit eingeführt mit dem Ziel, den Mangel an hochqualifiziertem Personal zu beheben. Voraussetzung dafür ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie ein konkretes Jobangebot mit mindestens 56.400 Euro Bruttogehalt.
Ungünstige demografische Perspektive
In sogenannten Mangelberufen, in denen es in Deutschland viele unbesetzte Stellen gibt, gilt eine geringere Gehaltsgrenze von 43.992 Euro. Ende 2021 arbeitete knapp die Hälfte der Personen mit Blue Card in einem Mangelberuf. Hierzu zählen etwa Ärztinnen und Ärzte, Ingenieurinnen und Ingenieure oder IT-Fachkräfte.
Neben Belastungen durch die Corona-Krise, Lieferengpässen und steigenden Preisen für Energie sowie Rohstoffe klagt die deutsche Wirtschaft zunehmend über den Mangel an gut ausgebildetem Nachwuchs. Grund ist auch die alternde Gesellschaft.
Der Nachwuchs fehlt
In deutschen Betrieben und Verwaltungen werden gleichzeitig immer weniger Menschen ausgebildet, hatte das Statistische Bundesamt am Mittwoch auf der Grundlage vorläufiger Zahlen berichtet. Auch im zweiten Corona-Jahr 2021 lag die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich unter dem Vorkrisen-Niveau
467.100 neue Verträge bedeuteten im vergangenen Jahr zwar einen leichten Zuwachs nach dem historischen Tiefstand von 2020 (465 .700), aber eben auch weiterhin eine große Lücke zum Niveau aus dem Jahr 2019, als noch 513.300 junge Menschen einen Ausbildungsvertrag unterzeichneten.
Bereits spürbare Auswirkungen
Dabei erscheint der Fachkräftebedarf in einigen Bereichen nahezu unermesslich, etwa wenn es um die konkrete Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen an Gebäuden oder den Ausbau der Erneuerbaren Energien geht. Bereits im Jahr 2025 werden allein für diese Regierungspläne rund 400.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, heißt es in einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Gefragt seien diverse Bau- und Ausbauberufe, Maschinenbauer und Elektrotechniker, aber auch Fachkräfte für die personalintensivere ökologische Landwirtschaft.
Insgesamt fällt es den Unternehmen in Deutschland aber immer schwerer, Ausbildungsplätze zu besetzen, wie eine weitere aktuelle Studie zeigt. Bei einer repräsentativen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg gab fast die Hälfte der Betriebe an, dass die Zahl der Bewerbungen zurückgegangen sei. Etwa 40 Prozent berichteten außerdem, dass die Qualität der Bewerbungen abgenommen habe.
Allein im Handwerk sind nach Angaben des zuständigen Zentralverbands 20.000 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben, wie Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer dem Handelsblatt sagte. "Die Auswirkungen spüren viele von uns bereits im Alltag: Die Wartezeiten auf einen Handwerkstermin sind lang." Man müsse kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass die vielen zusätzlichen Vorhaben, besonders im Klima- und Umweltschutz, mit dem jetzigen Stamm an Beschäftigten kaum zu schaffen seien.
Helfen höhere Löhne?
Der Fachkräftemangel wird in diesem Jahr nach einer Umfrage unter Managern in vielen Unternehmen höhere Gehälter nach sich ziehen. Fast die Hälfte der befragten 539 Führungskräfte mit Personalverantwortung erwartet demnach steigende Gehälter in der eigenen Firma. Das hat das Umfrageinstitut Yougov in einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage ermittelt, Auftraggeber war das Stellenportal Indeed.
Größere Unternehmen mit höheren Umsätzen gehen demnach eher von Gehaltssteigerungen aus als kleinere. Zwei Drittel der befragten Manager sagten, dass sie von Bewerberinnen und Bewerbern derzeit höhere Gehaltsforderungen erhalten als in den Vorjahren.
Abgesehen von der Suche nach neuen Fachkräften kämpfen offenbar viele Unternehmen auch mit der Herausforderung, die bestehende Belegschaft bei der Stange zu halten: Sechzig Prozent sagten, dass sie zu Gehaltserhöhungen bereit seien, um der Abwanderung von Mitarbeitern vorzubeugen.
dk/hb (rtr, dpa)