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Kriminalität

Fahndungserfolg durch Missbrauchsfoto

Vera Kern
10. Oktober 2017

Nach dem Missbrauch einer Vierjährigen scheint klar: Der Täter stammt aus ihrem Umfeld. Gefunden wurde er über ein veröffentlichtes Foto des Mädchens. Eine ungewöhnliche und umstrittene Ermittlung.

Symbolbild Kindesmissbrauch (Foto: picture-alliance/dpa/P.Pleul)
Bild: picture-alliance/dpa/P.Pleul

In den dunklen Kammern des Internets, im Darknet, kursiert ein Video, das zeigt, wie ein kleines Mädchen sexuell missbraucht wird. Im Hintergrund ist deutsches Fernsehprogramm zu hören. Den Ermittlern gelingt es jedoch nicht, eine Fährte zum Täter zu finden. Weil sie aber befürchten, dass das kleine Mädchen weiterhin gequält wird, entscheiden sie sich dazu, mit einem Missbrauchsfoto öffentlich zu fahnden. Täter und Opfer wurden in diesem brutalen Missbrauchsfall in Niedersachsen Anfang der Woche auf diese Weise identifiziert.

Ein Bild, das eine Missbrauchsszene eines kleinen Kindes zeigt, zu veröffentlichen - diesen Schritt geht die Polizei erst, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und es gilt, ein Kind von massivem Missbrauch zu befreien. Öffentlichkeitsfahndung sei ein wichtiges Mittel zur Abwehr von Gefahren, sagt Christian Matzdorf, Kriminalistikprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Dabei müsse jedoch vorsichtig vorgegangen und abgewogen werden: Befindet sich das betroffene Mädchen oder der Junge akut in Gefahr? Wie ist mit dem Risiko umzugehen, dass das Foto weiter im Internet kursiert und die Betroffenen später im Kindergarten, in der Schule oder als Erwachsener stigmatisiert werden könnten?

In diesem Fall entschied das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die Öffentlichkeit einzuschalten. Familienangehörige meldeten sich daraufhin. Der 24-jährige Peiniger aus dem niedersächsischen Landkreis Wesermarsch wurde am Montagabend (9.10.) festgenommen. Er stamme aus dem persönlichen Umfeld des kleinen Kindes, heißt es.

Der Mann soll das kleine Kind zwischen Oktober 2016 und Juli 2017 mehrfach schwer sexuell missbraucht haben. Er soll Aufnahmen der Taten gemacht und diese anschließend auf einer Kinderpornografie-Plattform im sogenannten Darknet verbreitet haben.

Kinderpornografie wird vor allem im Darknet verbreitet - so auch im Missbrauchsfall des vierjährigen MädchensBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Wie kommt es zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen der Ermittler? Es sei nicht ungewöhnlich wenn Täter im Bereich des Kindesmissbrauches ein sorgfältiges "Risk-Management" betrieben, erläutert Thomas-Gabriel Rüdiger, Cyber-Kriminologe an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Häufig wird dabei versucht Spuren zu verwischen, so dass der Täter selbst nicht sichtbar in Erscheinung tritt. "Täter gehen mittlerweile sehr vorsichtig vor", erklärt der Kriminologe.

Eine Steckdose oder ein Tattoo als Indizien

Denn häufig enthalten kinderpornografische Videos im Internet auch Hinweise auf die Täter. In vielen Szenen filmen diese sich selbst beim sexuellen Kindesmissbrauch. Dann lässt sich eine Stimme wiedererkennen oder eine Tätowierung, eine Frisur. Auch die Wohnungseinrichtung kann Indizien liefern: Sind die Steckdosen europäisch oder amerikanisch, auf welche Zeitzone deutet die Wanduhr hin? So können Ermittler sich stückchenweise herantasten. Wird ein Täter überführt, hat er sich also meist selbst anhand von Gegenständen oder Details verraten. "Auch Täter, die im Darknet aktiv sind, werden nicht selten durch klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit ertappt", sagt Kriminologe Rüdiger. Verdeckte Ermittler schleichen sich ins Darknet hinein, analysieren Chatverläufe, nehmen Kontakt zu Tätern auf - und überführen diese aufgrund von Details.

Im Falle der missbrauchten Vierjährigen seien auf den Missbrauchsbildern jedoch keinerlei Hinweise wie Spielzeug, Kinderkleidung oder Möbel gewesen, so eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes. Deshalb sei eine öffentliche Fahndung der "wirklich allerletzte Weg".

Meist stammen die Täter aus dem engsten Umfeld

Doch was geschieht nun mit dem Foto? Das BKA hat sich in einem Tweet bei der Bevölkerung für die Mitarbeit bedankt - und gebeten, das Missbrauchsfoto zu löschen. Das sei zwar wichtig, findet auch Julia von Weiler von "Innocence in Danger", einem Verein, der sich weltweit gegen sexuellen Kindesmissbrauch im Internet einsetzt. Verschwunden seien die grausamen Missbrauchsszenen damit allerdings nicht. Schließlich wurden sie im Darknet in einschlägigen Foren gefunden - und längst zigfach verbreitet.

Die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer bei Kindesmissbrauch aus - auch weil die Täter meist keine Fremden sindBild: picture alliance/dpa

Dass die Fahndungsaktion die Polizei schließlich ins private Umfeld des missbrauchten Mädchens führte, ist für die Kinderschutzexpertin von Weiler wenig überraschend. "80 bis 90 Prozent der Missbrauchsfälle finden in der Familie, in der Schule, im Sportverein statt", sagt die Psychologin. Gerade bei kleinen Kindern stammten die Täter meist aus dem unmittelbaren sozialen Nahfeld.

Das Undenkbare denken

Es mag unvorstellbar klingen: Da wird ein Kindergartenkind schwer sexuell missbraucht - und keiner will es bemerkt haben. "Wir können uns nicht vorstellen, dass eine Person, die wir kennen oder sogar lieben, kleine Mädchen oder Jungen missbraucht", beobachtet die Psychologin Julia von Weiler. "Es ist daher wichtig, dass wir uns trauen, das Thema anzusprechen und mutiger werden". Oft hindere Fremdscham die Menschen jedoch, einen Verdacht zu äußern. "Wir müssen lernen, Verhaltensveränderungen wahrzunehmen, diese auch ernst nehmen und uns dann Hilfe holen", appelliert von Weiler. Wenn Eltern oder Bekannte vermuten, ein Kind könnte schwer sexuell misshandelt werden, könnten diese sich zum Beispiel beim "Hilfetelefon sexueller Missbrauch" beraten lassen. Das ist eine kostenlose, anonyme Hotline, an die sich alle wenden können, die sich um ein Kind sorgen und ein "komisches Gefühl" haben.

"Ein Missbrauch verändert das Leben eines Kindes für immer unwiederbringlich. Es wird nie wieder so sein, wie es hätte sein können", sagt die Kinderpsychologin von Weiler. Um Kinder zu schützen, sei es daher wichtig, den Gedanken zuzulassen: Kindesmissbrauch geschieht meist im engsten Umfeld. So war es offenbar auch im Fall der missbrauchten Vierjährigen. Der Täter soll, so berichten es mehrere Medien, der Lebensgefährte der Mutter gewesen sein.

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