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Fair statt billig

Helle Jeppesen3. Mai 2013

Die Textilindustrie tut sich noch immer schwer mit internationalen Sozialstandards. Undurchsichtige Lieferketten und verheerende Arbeitsbedingungen machen dem Image der Branche zu schaffen.

Streikende Arbeiter in Bangladesch (Foto: AP)
Bild: AP

Der Einsturz eines Fabrikgebäudes in der Nähe von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka sorgte international für Schlagzeilen. Mehr als 500 Tote sind inzwischen bestätigt, viele weitere werden noch unter den Trümmern vermutet. Arbeiter der Textilfabriken in dem achtstöckigen Hochhaus hatten angeblich vor dem Unglück Risse in den Wänden entdeckt. Die Leiter der illegalen Fabriken ignorierten die Warnungen. Das Ausmaß der Katastrophe sorgt für weltweite Empörung über die Arbeitsbedingungen in den dortigen Fabriken.

Nachrichten dieser Art sind keine Seltenheit: die Textilfabriken in Bangladesch sind berüchtigt für miserable Sicherheitsvorkehrungen. Im November 2012 starben 112 Menschen bei einem Brand in einer Fabrik. Bereits einige Monate zuvor waren auch in Pakistan über 250 Menschen ums Leben gekommen - ebenfalls bei einem Brand in einer Textilfabrik.

In Textilfabriken in beiden Ländern lassen Firmen aus aller Welt billig ihre Ware produzieren – darunter auch deutsche Unternehmen. In Bangladesch ließ die deutsche Bekleidungskette C&A Sweatshirts für Brasilien herstellen, in Pakistan gehörte die Discountkette KIK, die europaweit 3200 Filialen hat, zu den Auftraggebern. Nach den Bränden teilten beide Unternehmen mit, dass sie sich an Fonds für die Opfer beteiligen wollten.

Ein Minimum an Fairness

Für das internationale Aktionsnetzwerk Clean Clothes Campaign ist das zwar eine nette Geste - doch nicht genug. Die "Kampagne für saubere Kleidung", wie die Initiative in Deutschland heißt, fordert schon im Vorfeld bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat Mindestforderungen an Sozialstandards formuliert. Diese umfassen acht Punkte: Keine Zwangsarbeit, keine Diskriminierung, keine Kinderarbeit, Vereinigungsfreiheit der Arbeiter, gerechte Löhne, geregelte Arbeitszeiten, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein geregeltes Beschäftigungsverhältnis.

Auch in Europa werden die Mindestanforderungen oft nicht eingehalten, betont Bettina Musiolek von der "Kampagne für saubere Kleidung" im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie hat sich vor allem auf Osteuropa und die Türkei spezialisiert und sieht dort weit verbreitete unfaire Produktionsbedingungen:

Saubere Löhne für saubere Arbeit, fordert die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)Bild: Fotolia/W. Wang

"Die größten Probleme in Osteuropa sind der Lohn, die Arbeitszeiten und der Arbeits- und Gesundheitsschutz. In der Türkei kommt ganz gravierend die Organisationsfreiheit hinzu", so Musiolek. Sie betont, dass auch in Deutschland oder innerhalb der Europäischen Union (EU) ein fairer Mindestlohn nicht immer gegeben ist.

Sozialstaat stockt Lohn auf

Dass eine Textilarbeiterin auch in Deutschland nicht unbedingt von ihrem Gehalt leben kann, räumt auch Christoph Schäfer vom Gesamtverband der Deutschen Textil- und Modeindustrie ein. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern werden die Arbeitnehmerinnen jedoch vom Sozialstaat aufgefangen.

"Notfalls muss der Staat etwas dazu geben, so wie das in Deutschland zum Beispiel funktioniert mit der Aufstockung oder zusätzlichen Sozialleistungen, wenn der Lohn nicht reicht", sagt der Leiter der Abteilung Recht und Steuern beim Mittelständischen Gesamtverband.

Sprungbrett in die Globalisierung

Der Preis- und Konkurrenzdruck sei für die Unternehmen enorm, so Schäfer im Interview mit der Deutschen Welle. "Der Textilindustrie wird oft vorgeworfen, dass sie immer dort produziert, wo es am billigsten ist. Das ist richtig, da ein hoher Kostendruck da ist. Aber wenn die Karawane der Textilindustrie weiter zieht, hinterlässt sie keine verbrannte Erde. Normalerweise ist die Textilindustrie diejenige Industrie, auf deren Grundlage dann Wohlstand und andere Industrien in ein Land kommen."

Unbestritten ist, dass die Billigproduktion in den ärmsten Ländern stattfindet. Wer Sonderangebote für die Wühltische der Industrieländer herstellt, benötigt keine gut ausgebildeten Textilarbeiter und teuren Maschinen. Doch die Konsequenzen der westlichen Schnäppchen-Jagd reichen noch weiter: Ihnen fallen auch menschenwürdige Produktionsbedingungen in den Fabriken zum Opfer. Gespart wird nicht nur bei Löhnen, sondern auch bei Brand- und Gesundheitsschutz sowie fairen Arbeitsverträgen.

Schnäppchen-Jagd am Wühltisch: Den Preis zahlen die Arbeiter in den Billigstlohn-LändernBild: picture-alliance/dpa

Billig nur durch Ausbeutung

Ein fair produziertes T-Shirt könne man nicht für drei Euro anbieten, betont auch Rolf Heimann von der deutschen Modefirma Hess Natur. "Von der Baumwollpflanze vom Feld über das Spinnen, Stricken, Färben, Konfektionieren, dann in den Handel bringen und noch 19 Prozent Mehrwertsteuer zahlen, ist das nicht möglich", erklärt Heimann, der bei Hess Natur den Bereich Corporate Responsibility leitet.

Der deutsche Naturtextilhersteller produziert seit 1976 ökologisch nachhaltige Mode und bemüht sich seit mehr als zehn Jahren auch um soziale Nachhaltigkeit in der Lieferkette. 2005 wurde die Firma erstes deutsches Mitglied in der internationalen "Fair Wear Foundation", einem Netzwerk, das zur Hälfte aus Textilherstellern und zur Hälfte aus Gewerkschaften, beteiligten Akteuren und Interessengruppen besteht. Die "Fair Wear Foundation" finanziert sich durch die Mitgliedsbeiträge der Firmen und versteht sich vor allem als Berater für die Umsetzung der fairen Sozialstandards.

Das Image von Fairness

"Die Textilindustrie hat sehr komplizierte Lieferketten. Es gibt so viele Lieferanten und Unterlieferanten und es ist sehr, sehr schwierig, all diese Herstellungswege zu kontrollieren", sagt Martin Curley von der Fair Wear Foundation, die ihr Sitz in Amsterdam hat. Das Netzwerk vergibt deswegen auch kein Siegel, der den Konsumenten faire Arbeitsbedingungen garantiert.

"Es ist einfach nicht möglich, jeden einzelnen Zulieferbetrieb als hundertprozentig fair zu zertifizieren", so Curley. Oft hätten die einzelnen Markenfirmen mehrere hundert Lieferanten und Unterlieferanten. In vielen Fällen kennen die Firmen nicht einmal alle Unterlieferanten. Fair Wear Foundation sieht deshalb seine Aufgabe eher als Begleitung der Mitgliedsfirmen in einem kontinuierlichen Prozess zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

"Mode soll Spaß machen", schreibt Kleidungsgigant H&M auf der HomepageBild: picture alliance / Xie zhengyi - Imaginechina

"Es ist ehrlicher zu sagen, dass die Mitgliedsfirmen an der Verbesserung der Standards arbeiten. Wir veröffentlichen jedes Jahr einen Sozialbericht über die Mitgliedsfirmen, den die Konsumenten dann auf unserer Homepage einsehen können. Ein Siegel könnten wir nicht garantieren".

Fair motiviert

Damit ist der finanzielle Nutzen für die Mitgliedsunternehmen begrenzt. Sie können ihre Produkte nicht mit einem Siegel als Verkaufsargument schmücken. Die Mitglieder haben darum andere Motive. Bei manchen Firmen war die Einstellung des Vorstands oder der Direktion ausschlaggebend für die Mitgliedschaft, so Curley. Doch vielen Firmen gehe es bei der Mitgliedschaft auch um die Motivation der eigenen Mitarbeiter:

"Wir möchten alle ein gutes Gefühl bei unserer Arbeit haben. Wir möchten nach Feierabend mit dem Gefühl nach Hause gehen, wir haben etwas Konstruktives gemacht. Und das hören wir als Argument von vielen Markenfirmen".

Die Fair Wear Foundation hat 80 Mitgliedsfirmen, die mehr als 120 Marken in über 80 Ländern verkaufen. Das Netzwerk kontrolliert aktiv die Arbeitsbedingungen in 15 Produktionsländern in Asien, Europa und Afrika. Keine der Mitglieder hatten aktuelle Aufträge an die 2012 abgebrannten Fabriken in Bangladesch und Pakistan vergeben.

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