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Politik

EU will "Infodemie" eindämmen

Clara Nack Brüssel
10. Juni 2020

Bislang ist das Löschen von falschen Posts für Online-Konzerne nur eine freiwillige Verpflichtung. Doch wegen der Flut von Falschmeldungen in der Corona-Krise erwägt die EU-Kommission nun eine gesetzliche Regelung.

Symbolbild Hate Speech
Informationen zur Pandemie aus dem Internet und "Sozialen Medien": Misstrauen ist angebrachtBild: DW/P. Böll

Josep Borrell fand drastische Worte: "Die Coronavirus-Pandemie ist von einer massiven Infodemie begleitet worden", sagte der EU-Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitik am Mittwoch in Brüssel. In Zeiten einer Gesundheitskrise sei das Zirkulieren von Falschnachrichten nicht nur gefährlich, sondern tödlich.

Drei Monate nach dem Ausbruch der Pandemie möchte die EU Fake News im Zusammenhang mit dem Coronavirus im Netz stärker bekämpfen. Die EU-Kommission fordert Online-Dienste wie Google, Twitter und Facebook deshalb auf, ihre Maßnahmen gegen Fehlinformationen auf ihren Plattformen zu verstärken.

Der EU-Außenbeauftragte Borrell spricht von einer "Infodemie" in Zeiten der PandemieBild: Reuters/O. Hoslet

Die Plattformen sollen künftig monatlich und nicht mehr jährlich Transparenzberichte erstellen. Nach EU-Mitgliedsstaaten aufgegliedert soll darin geschildert werden, wie sie die Verbreitung von Desinformation für User und im Umfeld von Werbung beschränken. Außerdem sollten die Netzwerke ihre Zusammenarbeit mit Faktenprüfern verstärken.

"Wir wissen nur so viel, wie uns die Plattformen sagen, und das ist nicht gut genug", erklärte Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourová. Google habe beispielsweise 80 Millionen Corona-bezogene Anzeigen entfernt, die offensichtlich falsche Informationen enthielten. Genaue Zahlen dazu, welche gesundheitliche Schäden die Verbreitung von Fehlinformationen mit verursacht hätte, gebe es jedoch nicht, gab die für Grundrechte zuständige Kommissarin Jouróva zu.

EU-Kommissarin Jourova: Notfalls mit Gesetzen Löschung von Fake News erzwingenBild: picture-alliance/W. Dabkowski

Verhandlungen mit WhatsApp

Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, hält die Maßnahmen für wenig effektiv: "In Deutschland existieren bereits schärfere Regeln", kommentiert er in einem öffentlichen Statement. "Mit der Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sowie dem Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet haben wir bereits deutlich schärfere Instrumente auf den Weg gebracht, um dem Treiben der Netz-Trolle Einhalt zu gebieten."

Die EU hatte bereits im Oktober 2018 in einem "Verhaltenskodex zur Desinformation" freiwillige Maßnahmen mit den Plattformen vereinbart. Jourová, damals EU-Kommissarin für Justiz und Verbraucherschutz, hatte sich gegen eine gesetzliche Regelung ausgesprochen und auf das Modell der Freiwilligkeit gepocht.

Mit Unterzeichnung des Kodex verpflichteten sich Google, Facebook, Twitter, Mozilla und im Mai 2019 auch Microsoft, stärker gegen Desinformationen auf ihren Plattformen vorzugehen. Mittlerweile hat auch TikTok den Kodex akzeptiert. Mit WhatsApp wird noch verhandelt.

Nationale Alleingänge

Aus den bisher seit Januar 2019 vorgelegten monatlichen Berichte geht hervor, dass die Plattformen 70 Prozent der gemeldeten Inhalte löschen. In dem Kodex ist auch festgehalten, dass die Kommission bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen die Möglichkeit hat, "Maßnahmen rechtlicher Natur" vorzuschlagen. Die EU zeigt nun über das freiwillige Modell hinaus, erste Anzeichen einer Regulierungsbereitschaft, um nationale Alleingänge unter ein gesamteuropäisches Dach zu bringen.

Tweets können gemeldet werden, aber was passiert dann? Die EU setzt bislang auf FreiwilligkeitBild: picture-alliance/dpa/A. Warnecke

In einer Online-Umfrage zu einem "möglichen Gesetzgebungsverfahren für digitale Dienste und Online-Plattformen" bittet die EU-Kommission nun Bürger, Unternehmen und Online-Plattformen, bis Anfang September 2020 Beiträge einzureichen. Denn der bereits 20 Jahre alte Rechtsrahmen der EU für digitale Dienste entspräche nicht mehr der heutigen Lebensrealität.

Nach Einschätzung der Plattform netzpolitik.org bevorzugt die Kommission beim Thema Factchecking den Zugang, Falschinformationen zu kontextualisieren statt zu entfernen. EU-Kommissarin Jourová hob vor Journalisten positiv die Schritte von Twitter gegen US-Präsident Donald Trump hervor.

Der Kurznachrichtendienst hatte einen Tweet des US-Präsidenten, der einen Gewaltaufruf enthielt, mit einen Warnhinweis versehen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat sich beim Umgang mit Falschmeldungen noch nicht eindeutig festgelegt.

Unbeeindruckt: Facebook-Chef Zuckerberg (re.) zur Standpauke bei Frankreichs Präsident Macron 2019 im Elysee. Bild: Getty Images/AFP/C. Petit Tesson

"Lieber zuviel als zu wenig löschen"

Die Frage, wie die Meinungsfreiheit trotz Sperren und Löschen von online geäußerten Meinungen dennoch gewährleistet werden kann, ist umstritten. Nach der Verabschiedung des NetzDG 2017 bezweifelte der UN-Beauftragte für Meinungsfreiheit, David Kaye, ob die Regelung der internationalen Menschenrechtskonvention entspricht. Unter der Konvention sind Persönlichkeitsrechte wie die Meinungsfreiheit, das Recht auf Information und die Privatsphäre von Personen geschützt.

Die Strafandrohung von bis zu 50 Millionen Euro bei wiederholtem Verstoß gegen das NetzDG sehen Experten mit Sorge. Es könne zu willkürlichen Löschungen und Unterdrückung von Meinungsäußerungen kommen. "Es ist also verständlich, dass bei diesen Bußgeldern, aus Sicht der Netzwerke ein Anreiz besteht, sofort zu löschen und lieber zu viel als zu wenig zu löschen", erklärt Nadine Strossen, Professorin für Verfassungsrecht und bürgerliche Freiheiten an der New York Law School und ehemalige Präsidentin der Amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung (ACLU).

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