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Politik

Fake News zur Bundestagswahl - überschätzt?

17. September 2017

Die Angst vor gezielten Falschmeldungen in der heißen Phase des Wahlkampfes war riesengroß. Dabei genügt ein nüchterner Blick auf das Phänomen, um festzustellen: Alter Wein in neuen Schläuchen.

10 Jahre Hashtag
Bild: picture-alliance/picturedesk.com/H. Fohringer

Der ganz große Skandal ist - bislang - ausgeblieben. Und es spricht vieles dafür, dass es bis zum 24. September so bleibt, wenn die Deutschen ihren nächsten Bundestag wählen. Spätestens dann sollten sich auch die größten Skeptiker entspannt zurücklehnen und sagen können: Die Wahl wurde nicht durch Fake News, also absichtlich lancierte Unwahrheiten entschieden. Und jene, die solchen Unsinn in Umlauf gebracht haben, müssen enttäuscht zur Kenntnis nehmen: Lügen haben kurze Beine.

Das gilt auch für das gefälschte Wahl-Plakat, mit dem - natürlich anonyme - Urheber Stimmung gegen Angela Merkel machten. Der vermeintlich von der DDR-Staatspartei SED geklaute CDU-Slogan ("Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben") sollte die in Ostdeutschland groß gewordene Kanzlerin als ewige Kommunistin entlarven. In einer Satire-Zeitschrift wäre das ein guter Gag gewesen, um den programmatischen Linksruck der CDU zu illustrieren.

Wie Parteien mit Falschmeldungen umgehen

Als Manipulation in sozialen Netzwerken ist und bleibt es eine absichtlich lancierte Manipulation, um Merkel und ihre Partei in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes 2017 zu diskreditieren. Dass solche oder ähnliche Fake News die Wahl entscheidend beeinflussen könnten, glauben wahrscheinlich nicht einmal ihre Urheber. Trotzdem grassierte in Deutschland lange die Angst, es könnte es etwas Schlimmes passieren.      

Ganz grundlos war und ist die Sorge freilich nicht, dass Falschmeldungen in den weit verzweigten Kanälen des Internets Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen könnten. Unter dem Eindruck des primitiven Wahlkampfes in den USA 2016 konnte einem schon angst und bange werden. Aber kurz vor der Bundestagswahl hat sich die Lage spürbar beruhigt. Quer durch die Parteien dominiert Gelassenheit.         

CDU sorgt sich um die demokratische Debattenkultur

Aus der CDU-Zentrale heißt es auf Anfrage der Deutschen Welle, man  beobachte genau, wie und wo im Internet gefälschte Inhalte verbreitet würden. "Da viele dieser Fälschungen aber innerhalb relativ geschlossener sozialer Gruppierungen auftauchen, darf man deren Einfluss nicht überbewerten." Von Verharmlosung soll aber auch keine Rede sein. Fake News würden der demokratischen Debattenkultur schaden, gerade in einem Wahlkampf. "Sie schüren Misstrauen und sorgen vor allem für eine Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger."

Fake News-Opfer Renate KünastBild: picture-alliance/Eventpress

Im Unterschied zu anderen Parteien kommentiert die CDU einzelne Fälle von Fake News und Gegenmaßnahmen grundsätzlich nicht. Das gilt auch für mögliche juristische Schritte. Für eine andere Strategie entschied sich Renate Künast von den Grünen. 

Sie ging in die Offensive und erstattete Strafanzeige, als sie 2016 Opfer einer Fake News-Attacke geworden war. Darin wurde ihr ein erfundenes Zitat im Zusammenhang mit dem Mord an einer Freiburger Studentin in den Mund gelegt: "Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber trotzdem helfen."

Die Grünen vertrauen auf ihre "Netzfeuerwehr"

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den mutmaßlichen Urheber aus dem rechten Milieu eingestellt. Begründung: Es handele sich "lediglich um ein Äußerungsdelikt". Ob man damit der Relevanz einer klassischen Fake News gerecht wird, sei dahingestellt. Dass Renate Künast eine andere Auffassung hat, ist nachvollziehbar. Wie Betroffene mit dem Phänomen umgehen, entscheidet bei den Grünen letztlich jeder selbst. 

Für den Abwehrkampf von Falschmeldungen ist die sogenannte "Netzfeuerwehr" zuständig. Dabei handelt es sich um eine geschlossene "Facebook"-Gruppe mit rund 3000 Leuten, die Alarm schlägt, wenn aus Sicht der Partei gefährliche Fake News verbreitet werden. Zehn, zwanzig Mal sei das im Wahlkampf bislang passiert, sagt Wahlkampf-Manager Robert Heinrich. Aber die Netzfeuerwehr sei auch für andere Dinge als Falschmeldungen gegründet worden, betont er im DW-Gespräch. Sie sei eine "schlagkräftige Kampagnentruppe" - gegen Shitstorms und Angriffe im Netz, aber auch um eigene Botschaften im Wahlkampf "zu verbreiten".

Fake News über die Linke

Dass viel über Fake News berichtet wird, findet der Wahlkampf-Manager zunächst einmal gut. Das könne zu mehr Sensibilität und Medienkompetenz führen - in der Bevölkerung, bei Journalisten, in den Parteien. Heinrich hätte sich aber auch gewünscht, dass in diesem Wahlkampf "nicht nur über die Risiken des Internets geredet wird". Er sehe den Wahlkampf im Netz nach wie vor als Chance, das eigene Programm "anders an die Wähler zu bringen". Anders, als mit dem klassischen Plakat, "das seine Grenzen hat".

In sozialen Netzwerken wie "Facebook" können User Fake News melden; die Grünen habe ihre eigene "Netzfeuerwehr" Bild: picture-alliance/dpa/F. Gabbert

Auch die Linke gerät beim Stichwort Fake News nicht in Panik - im Gegenteil. Fake News kämen, "was uns betrifft, so gut wie gar nicht vor", sagt Thomas Lohmeier, der die Öffentlichkeitsarbeit in der Berliner Partei-Zentrale leitet.  Über die Gründe könne er nur spekulieren. Fake News als solche seien ja ohnehin kein neues Phänomen. Lohmeier erinnert an die berühmteste des Jahres 2003. Iraks Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, behauptete US-Außenminister Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Damit rechtfertigte er letztlich den Irak-Krieg.

Colin Powells Falschaussage vor dem UN-Sicherheitsrat

Später stellte sich heraus, dass Powell falschen Informationen seiner eigenen Geheimdienste aufgesessen war. Ausgangspunkt waren Lügen eines irakischen Agenten, dessen Behauptungen ungeprüft für bare Münze genommen wurden. Der Fall eignet sich ideal, um die unterschiedlichen Verbreitungswege von Fake News zu illustrieren. Denn immer wieder entfalten "gefälschte Nachrichten" ihre Wirkung, weil am Anfang jemand bewusst etwas Unwahres über Kanäle wie "Facebook" oder "Twitter" streut und andere den vermeintlichen Skandal glauben. Die einen aus Naivität, die anderen aus Kalkül, um etwa einem politischen Konkurrenten zu schaden.

Colin Powell behauptete 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat, der Irak verfüge über MassenvernichtungswaffenBild: picture-alliance/dpa/T. A. Clary

Welche Relevanz vorsätzlich im Netz platzierte Falschmeldungen generell haben und auf welchen Wegen sie sich ausbreiten, erforscht Alexander Sängerlaub von der Berliner "Stiftung Neue Verantwortung". Er beschäftigt sich im Rahmen eines Projekts mit sämtlichen Spielarten von Fake News im Netz. Dabei unterscheiden er und sein Team zwischen drei Formen:

·   frei erfundener Inhalt

·   manipulierter Inhalt

·   absichtlich falsch interpretierte Tatsachen

Angela Merkel und die Folgen eines Selfies

Als geradezu klassisches Beispiel für eine halb wahre und halb falsche Nachricht gilt Angela Merkels Selfie mit einem syrischen Flüchtling. Zu einer Fake News wurde das Bild in Kombination mit der nachweislichen Lüge, der junge Mann sei einer der Attentäter auf den Brüsseler Flughafen 2016. Wenn solche Manipulationen erst einmal in der Welt sind, kann es brenzlig für die Betroffenen werden. Kommunikationswissenschaftler Sängerlaub rät den Betroffenen, gelassen zu reagieren. "Man erzählt am besten eine neue Geschichte", sagt er im DW-Interview. Es helfe nicht, über eine falsche Nachricht nur zu sagen, "Achtung, die ist nicht richtig!".

Der syrische Flüchtling Anas Modamani (r.) und Kanzlerin Merkel wurden Opfer eines manipulierten SelfiesBild: Getty Images/S. Gallup

Für ein gutes Beispiel erfolgreicher Fake News-Abwehr hält Sängerlaub die Reaktion des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Als der mitten im Wahlkampf mit der Behauptung konfrontiert wurde, er sei homosexuell, blieb er gelassen und drehte den Spieß gewissermaßen um. "Schaut mal, was wir hier für komische Desinformationen aus russischen Nachrichtsendern sehen", sei seine Reaktion gewesen, sagt Experte Sängerlaub.

Die SPD hält das Thema klein

Selbst das Heft des Handelns in die Hand nehmen - auf diese Methode setzen auch die Grünen. "Oft genügt es schon, wenn man öffentlich Druck macht", sagt Wahlkampf-Manager Heinrich. Unter "Druck" versteht er beispielsweise Fake News bei "Twitter" oder "Facebook" zu kommentieren. Seine Erfahrung sei, dass die meist anonymen Verursacher "oft kalte Füße bekommen und das Zeug dann schnell löschen". Weil sie mit dieser Art von Gegenwehr nicht gerechnet hätten.

So wie die Grünen scheint es auch die SPD zu halten, die sich aber wie die CDU beim sensiblen Thema Fake News nicht genauer in die Karten schauen lässt. Ein Sprecher aus der Partei-Zentrale teilt auf DW-Anfrage mit, dass man alle Veröffentlichungen im Netz "sehr genau" beobachte und verfolge "was über die SPD und unseren Kanzlerkandidaten verbreitet wird". Wenn etwas auftrete, werde jeweils auf Grundlage des Sachstands entschieden, "wie und ob wir reagieren".

Was den Menschen in Erinnerung bleibt

Ganz neu ist die Beschäftigung mit Fake News auch für die SPD nicht. "Aber im Wahljahr verstärken sich die Versuche der unwahren Beeinflussung." Das habe man etwa rund um die Nominierung von Martin Schulz zum Spitzenkandidaten oder rund um den G 20-Gipfel in Hamburg sehen können.

Alexander Sängerlaub über sein Fake News-Projekt

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Exakte Zahlen über das Ausmaß von Fake News gibt es nicht. Allerdings können Untersuchungen wie die der Stiftung Neue Verantwortung womöglich schon bald andere aussagekräftige Hinweise liefern. Für die Zeit nach der Bundestagswahl ist eine Inhaltsanalyse geplant. Das Team um Projektleiter Alexander Sängerlaub will herausfinden, in welcher Form sich die Menschen an Fake News erinnern.  "Erinnern sie sich an die Fake News oder an das erfolgreiche Debunking?" Damit ist die geglückte Aufdeckung von Falschmeldungen gemeint, worüber dann auch oft in klassischen Medien wie Zeitungen und Fernsehen berichtet wird.

Gegendarstellungen auf "Facebook"-Seiten

Vielleicht würden sie sich auch überhaupt nicht daran erinnern, "weil die Fake News zu klein waren", spekuliert Sängerlaub über ein mögliches Teilergebnis seiner bis Februar 2018 dauernden Studie. Am Ende soll es Handlungs- und Regulierungsempfehlungen geben - für Politik, Medien und Gesellschaft. Thomas Lohmeier von der Linken hat schon jetzt einen Vorschlag: die klassische Gegendarstellung, wie sie im Presserecht bei wahrheitswidriger Berichterstattung möglich ist. Soziale Medien müssten dann verpflichtet werden können, "dass eine Gegendarstellung an denselben Userkreis ausgespielt wird, der auch die falsche Information bekommen hat". 

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