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KonflikteDeutschland

Faktencheck: Deutsche Waffen in Krisengebieten

7. Februar 2022

Die Bundesregierung lehnt Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen ab. Begründung: Deutschland schicke aus Prinzip keine Kriegswaffen in Krisengebiete. Unser Faktencheck: Dieses Prinzip wurde mehrfach ignoriert.

Sturmgewehr Typ G36 von Heckler und Koch
Sturmgewehre vom Typ G36 hat Deutschland etwa an kurdische Peschmerga im Nordirak geliefertBild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

Rund 100.000 Soldaten hat Russland an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, berichten westliche Geheimdienste. Aus Sicht der Ukraine und des Westens also eine konkrete militärische Bedrohung, deretwegen bereits zahlreiche Staaten das Land mit Waffen und Ausrüstung unterstützen. Deutschland lieferte bislang 5000 Helme.

Der ukrainischen Regierung reicht das nicht, sie bat die Bundesregierung am Freitag offiziell um Waffen. Die jedoch lehnt die Forderung nach Defensivwaffen bisher konsequent ab. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) verweisen dabei auf den politischen Grundsatz der Bundesregierung, keine Waffen in Krisengebiete zu exportieren. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hält fest: "Nur im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben."

Ein "klarer Kurs" bei deutschen Waffenlieferungen?

Solche Ausnahmen gäbe es durchaus, widersprechen erboste User in den sozialen Netzwerken. "Fragt die Deutschen nach den Waffenlieferungen für Saudi-Arabien, Ägypten, Türkei, UAE", so ein DW-Nutzer aus der Ukraine auf Facebook. Ein weiterer Kommentar dazu: "Deutsche Waffen werden in Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt eingesetzt - übrigens auch vom IS..." Stimmt das? 

Behauptung: "Die Bundesregierung hat seit vielen Jahren einen klaren Kurs, dass wir nicht in Krisengebiete liefern und dass wir auch keine letalen Waffen in die Ukraine liefern", unterstrich Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag in der ARD erneut die deutsche Position in der Frage, ob man die Ukraine mit Waffen unterstützen wird. Er bekräftigte damit frühere Aussagen

DW-Faktencheck: Falsch.

"Wir haben in der Vergangenheit sehr wohl geliefert, aber immer situationsbezogen", erklärt Christian Mölling, Verteidigungs- und Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im DW-Gespräch. "Das heißt, es gibt in Deutschland das Prinzip der Einzelfallprüfung. Wir gucken uns jeden einzelnen Fall an."

Auch Pieter Wezeman vom Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) bestätigt der DW, dass Deutschland in jüngerer Vergangenheit Waffen in Krisengebiete geschickt hat. "Ganz offensichtlich ist es nicht wahr, dass Deutschland keine Waffen an Länder oder Akteure im Konfliktzustand liefert. Es gibt jede Menge Beispiele, bei denen deutsche Waffen mit Einverständnis der deutschen Regierung, mit ihrer besonderen Unterstützung oder sogar von der Regierung selbst exportiert wurden."

Deutsche Waffen im Jemen-Krieg

Ein Beispiel ist Ägypten, das laut SIPRIs Exportkennzahl Trend Indicator Value (TIV) der fünftgrößte Abnehmer deutscher Waffenexporte seit 2010 ist. Allein im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 14. Dezember 2021 wurden für Ägypten Ausfuhrgenehmigungen im Wert von rund 4,34 Milliarden Euro erteilt, so die Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Den Großteil davon genehmigte die vorherige Bundesregierung noch in den letzten Tagen der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel - obgleich Ägypten militärisch an den Konflikten im Jemen und in Libyen beteiligt ist und wegen massiver Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. 

Trotz Ägyptens Beteiligung am Jemen-Krieg liefert Deutschland dem Land Kriegsschiffe wie diesesBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Bedeutet das, dass Ägypten deutsche Waffen in den Kriegen im Jemen und in Libyen einsetzt? Pieter Wezeman schließt das nicht aus: "Die Lieferungen von Deutschland nach Ägypten kann man in zwei Gruppen aufteilen. Zu der ersten zählen die Luftabwehrsysteme. Diese haben kaum etwas mit dem Jemen-Krieg zu tun, soweit ich erkennen kann." Problematisch hingegen könnte die andere Gütergruppe sein: Kriegsschiffe. "Die Fregatten könnten sicher eine Rolle bei der Auseinandersetzung im Jemen spielen, wo ein wichtiger Teil die Seeblockade war", befürchtet der SIPRI-Experte. Außerdem, so Wezeman, trügen solch umfangreiche Waffenlieferungen zur Legitimierung und Stärkung der Militärregierung in Ägypten bei.

Eine Reihe weiterer Länder, die seit 2015 militärisch in den Jemen-Krieg eingreifen, hat ebenfalls Waffenlieferungen aus Deutschland bekommen. Darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar. Laut Rüstungsexportbericht 2020 der Bundesregierung wurden für Katar sowohl Munition für Kanonen, Gewehre, Flinten als auch Teile für Haubitzenmunition genehmigt, die auf der Kriegswaffenliste stehen, einer Anlage des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Außerdem erteilte die Bundesregierung Ende 2020 die Genehmigung zur Lieferung von 15 Flugabwehrpanzern des Typs Gepard an Katar. 

Dass deutsche Waffen im Jemen-Krieg eine große Rolle spielen, belegten 2019 die Recherchen des investigativen Projekts #GermanArms. Die Bundesregierung musste quasi eingestehen, dass die Genehmigungen für einige Waffenlieferungen ein Fehler waren, sagt Pieter Wezeman. "Oder zumindest wurde zunehmend klar, dass die damit verbundenen Risiken zu hoch werden könnten, so dass diese Lieferungen gestoppt wurden.

Das war zum Beispiel der Fall bei Saudi-Arabien, mit dem es einen großen Deal für die Lieferung von Patrouillenbooten gab." Nach dem Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul wurden alle bereits erteilten Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Riad auf Eis gelegt und später widerrufen. Seitdem gilt in Deutschland ein Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien, der bereits mehrfach verlängert wurde

Bisher gab es jedoch Ausnahmen von dem Exportstopp. An gemeinschaftliche Rüstungsprojekte, die für Saudi-Arabien bestimmt waren, durften weiter Teile geliefert werden. Das betraf beispielsweise die Produktion von Kampfjets in Zusammenarbeit mit NATO-Partnern.

Schwierige Partnerschaft mit der Türkei

Ein weiterer höchst umstrittener Abnehmer deutscher Waffen ist der NATO-Partner Türkei. Das Land habe sich in den vergangenen Jahrzehnten "erheblich verändert", sagt Verteidigungsexperte Christian Mölling. "Man kann im Nachhinein feststellen, dass Waffenlieferungen falsch gewesen sind. Es ist das gute Recht einer Regierung, sich in Abschätzungen zu täuschen, eben weil sie eine Abschätzung bleiben."

Jahrelang lieferte Deutschland Kriegswaffen im Wert von Hunderten Millionen Euro an die Türkei - obgleich die Türkei wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen kritisiert und von den Vereinten Nationen zu den Ländern gezählt wird, die mit Waffenlieferungen in den Libyen-Krieg eingreifen. Außerdem geht die türkische Regierung seit Jahrzehnten militärisch gegen die kurdische PKK vor, im Inland wie in Nachbarstaaten.

Besonders brisant wurde die Situation nach der Militäroffensive der Türkei gegen die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien 2018. "Treffen deutsche Panzerabwehrraketen nun auf deutsche Panzer?", fragten damals einige Medien. Hintergrund war die deutsche Unterstützung für den Kampf kurdischer Peschmerga gegen IS-Milizen im Nordirak seit Sommer 2014. Geliefert wurden nicht nur Ausrüstung wie Helme, Schutzwesten und Funkgeräte, sondern auch ein umfangreiches Waffenpaket inklusive Sturm- und Maschinengewehren, Pistolen, Panzerfäusten, Panzerabwehrwaffen und Handgranaten - nach Angaben der Bundesregierung im Wert von über 90 Millionen Euro.

Seit 2015 unterstützen Soldaten der Bundeswehr die Ausbildung der Sicherheitskräfte im Raum Erbil im NordirakBild: John Moore/Getty Images

Zwar verpflichtete sich damals die kurdische Regionalregierung, die Waffen ausschließlich gegen den sogenannten "Islamischen Staat" einzusetzen, aber kontrolliert wurde das nicht. Dass Waffen aus Deutschland auf dem Schwarzmarkt landeten, etwa im Nordirak, konnte die Bundesregierung in einer Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Agnieszka Brugger 2016 nicht ausschließen. Und selbst die sogenannten Post-Shipment-Kontrollen, also die Überwachung des Verbleibs der gelieferten Waffen, werden nicht jedes Risiko ausschließen, dass diese Waffen in Konflikten eingesetzt werden, so die von der DW befragten Experten.

Die Krisengebiete von morgen erkennen?

Sowohl Mölling als auch Wezeman kritisieren, dass die Bundesregierung einerseits eine restriktive Waffenexportpolitik verfolgt, andererseits aber keinen klaren sicherheitspolitischen Kompass für Liefergenehmigungen hat. "Man braucht eine systematische, ständig aktualisierte Analyse, wie sich die sicherheitspolitische Lage verändert. Welches sind die Staaten, in die ich liefern kann? Und wie sicher sind die? Und welches sind die Staaten, in die ich nicht liefern kann?", erklärt Christian Mölling. 

Uneinigkeit herrscht oft bereits darüber, ob ein Land als Krisengebiet definiert wird. Beispiel Südkorea: Der Staat ist laut SIPRIs Trend-Indicator Value mit Abstand der größte Abnehmer deutscher Waffen. Aber, so Pieter Wezeman, Südkorea sei formal "im Kriegszustand mit Nordkorea". Und natürlich exportiere Deutschland dorthin "mit dem Gedanken, dass es Südkorea hilft, sich gegen eine mögliche Aggression aus Nordkorea zu schützen". Aber warum, fragt der Experte, liefere die Bundesregierung dann keine Waffen an die Ukraine?

Dass es bisher keinen gesetzlichen Rahmen für Rüstungsexporte gibt, will die neue Bundesregierung ändern. Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, sagte in der ARD, das von seiner Partei geführte Bundeswirtschaftsministerium habe einen entsprechenden Gesetzentwurf in die erste Anhörung gegeben. Damit sollen "die unverbindlichen Grundsätze zu Rüstungsexporten verbindlich gemacht werden", sagte Trittin.

Fazit: Den Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, hat Deutschland nicht durchgehend eingehalten. Die Bundesregierung hat mehrfach Waffenlieferungen in Länder genehmigt, die Konfliktparteien oder selbst Krisengebiete sind.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

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