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PolitikNiger

Faktencheck: Diese Fakes kursieren zum Putsch in Niger

Silja Thoms | Kathrin Wesolowski
4. August 2023

Nach dem Militärputsch in Niger bleibt die Lage unklar. Gleichzeitig verbreiten Nutzer in den sozialen Medien zahlreiche falsche Behauptungen dazu. Das DW-Faktencheckteam hat drei von ihnen überprüft.

Demonstration in Niger
Nach dem Militärputsch in Niger teilen Nutzer in den sozialen Medien falsche Behauptungen über die aktuelle Lage im LandBild: Fatahoulaye Hassane Midou/AP/picture alliance

Nach dem Sturz des Präsidenten Mohamed Bazoum ist die Sicherheitslage in Niger noch immer unklar. Zahlreiche europäische Staatsangehörige sind bereits aus dem westafrikanischen Land evakuiert worden. Auf Social Media werden derweil Videos und Behauptungen zur aktuellen Lage in Niger verbreitet. Das DW-Faktencheckteam hat einige davon überprüft. 

Zeigt dieses Video eine Trainingseinheit der nigrischen Armee?

Behauptung: "Ein seltsames Bild des Trainings der nigrischen Armee, um mit den Putschisten umzugehen", behauptet ein Twitter-Nutzer, der ein Video teilt, das mehr als 200.000 Aufrufe erhält. Das Video zeigt eine Art Kampf-Performance von Dutzenden Menschen in Uniform. 

DW-Faktencheck: Falsch 

Dieses Video zeigt nicht die nigrische ArmeeBild: Twitter

In dem Video trainiert nicht die Armee aus Niger, sondern der "Nigerian Youth Service Corps" (NYSC). Das Programm aus Nigeria, nicht aus Niger, entsendet College- und Universitätsabsolventen aus Nigeria für ein Jahr in ein Orientierungslager, um nach eigenen Angaben "nigerianischen Jugendlichen Disziplin beizubringen, indem ihnen eine Tradition des Fleißes bei der Arbeit und des patriotischen und loyalen Dienstes für Nigeria in jeder Situation, in der sie sich befinden, anerzogen wird." 

Durch eine Online-Recherche fanden wir das gleiche Video, das bereits am 7. Juli 2022 auf Facebook gepostet wurde (hier archiviert). Laut der Videobeschreibung zeigt es "NYSC-Mitglieder, die aggressiv trainieren, um 'Unsicherheit und Banditentum' zu bekämpfen".

Weiter heißt es, die Szene spiele sich im Benue-Orientierungslager in Nigeria ab. Tatsächlich gibt es ein NYSC-Camp im Bundesstaat Benue. Ein Vergleich mit anderen Bildern, die auf ihrer Instagram-Seite veröffentlicht wurden, zeigt: Die Auszubildenden dort tragen die gleiche Uniform wie in dem Video, in dem angeblich die Armee aus Niger zu sehen sein soll. Auf Instagram fanden wir das gleiche Video (hier archiviert) wieder, gepostet am 5. Juli 2022. 

Leuchten ohne Uranimporte aus Niger weniger Glühbirnen in Frankreich?

Behauptung: Eine von drei Glühbirnen in Frankreich werde mit Uran aus dem Niger betrieben, während 90 Prozent der Nigrer keinen Strom hätten, behaupten mehrere Nutzer auf Twitter

DW-Faktencheck: Falsch 

Niger: Auf der Suche nach neuen Verbündeten

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Die Behauptung, dass jede dritte Glühbirne in Frankreich mit Uran betrieben wird, das bei der Erzeugung von Kernenergie benötigt wird, sei nicht realistisch, versichert Phuc-Vinh Nguyen, Wissenschaftler für Energiepolitik am Jacques Delors Institut in Paris, der DW. 

Uran ist ein Schwermetall, das als Brennstoff für Kernspaltungsreaktoren verwendet wird. Niger ist einer der größten Uranlieferanten für die Europäische Union (EU) und daher auch für Frankreich wichtig. Denn hier lieferten im Jahr 2020 Atomkraftwerke etwa 70 Prozent des Stroms. Somit ist Frankreich auf Uranimporte aus anderen Ländern, unter anderem Niger, angewiesen.

Laut Nguyen hat Frankreich in den letzten zehn Jahren etwa 15 Prozent seiner Uranlieferungen aus Niger bezogen. Der Experte stützt sich bei seinen Berechnungen auf offizielle Daten der französischen Behörden. Institutionen wie die Elektrizitätsgesellschaft "Électricité de France" (EDF) oder das französische Umweltministerium nannten der DW auf Anfrage keine konkreten Zahlen. 

Nach Angaben der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) bezieht die EUetwa ein Viertel ihrer Uran-Lieferungen aus Niger. An der weltweiten Uranproduktion hat das westafrikanische Land aber nur einen Anteil von etwa fünf Prozent .

Zahlreiche europäische Staatsangehörige sind nach dem Putsch bereits aus Niger evakuiert wordenBild: AFP

Der Putsch in Niger wirft die Frage auf, wie abhängig Frankreich, ehemalige Kolonialmacht in Niger, und die EU von nigrischen Uranlieferungen sind. Die Europäische Kommission befürchtet laut eigenen Angaben keinen Mangel an Kernbrennstoff für die europäischen Kernkraftreaktoren, von denen die meisten aktiven in Frankreich stehen.

"Es besteht derzeit kein Versorgungsrisiko", sagte Kommissions-Sprecher Adalbert Jahnz am 1. August 2023 in Brüssel. Und weiter erklärte er: "Mittel- und langfristig gibt es genügend Ressourcen auf dem Weltmarkt, um den Bedarf der EU zu decken."

Für Frankreich sieht Nguyen derzeit ebenfalls keine Gefahr von Versorgungsengpässen. "Frankreich verfolgt beim Uran eine Strategie der Diversifizierung", sagte er gegenüber der DW. Außerdem sei es möglich, Uran zu lagern und Frankreich verfüge über Vorräte für mindestens zwei bis drei Jahre. 

Kaum Zugang zu Elektrizität

Social-Media-Nutzer implizieren, dass Frankreichs Uranimporte aus Niger direkt für die niedrige Elektrifizierungsrate in Niger verantwortlich seien. Ramchandra Bhandari, Professor für Energieversorgungssysteme an der Technischen Hochschule (TH) Köln, sieht hier jedoch keinen direkten Zusammenhang.

Wahr ist, dass Niger eine der niedrigsten Elektrifizierungsraten Westafrikas hat. Nach Angaben der Weltbank hatten im Jahr 2021 rund 81 Prozent der nigrischen Bevölkerung keinen Zugang zu Strom. Andere Quellen gehen sogar davon aus, dass die Zahl noch etwas höher liegt. Auch das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OHCA) schätzt, dass mehr als 80 Prozent keinen Zugang zu Strom haben. 

Ein Grund dafür sei die fehlende Infrastruktur im Land, sagte Bhandari der DW. "Die Infrastruktur im Niger ist nicht darauf ausgelegt, Uran für die eigene Stromversorgung zu nutzen", sagte er. Für Niger sei es einfacher, Strom aus erneuerbaren Energien sowie aus Erdgas- oder Kohlekraftwerken zu gewinnen. Die Stromerzeugung im Land kann jedoch noch nicht einmal den eigenen Bedarf decken: Niger importiert etwa 70 Prozent seines Stroms aus dem Nachbarland Nigeria. Eine Woche nach dem Militärputsch hat Nigeria die Stromlieferungen nach Niger eingestellt. 

Zeigt dieses Video die nigerianische Armee bei Kämpfen in Niger? 

Behauptung: Ein virales TikTok-Video(hier archiviert) zeigt angeblich die nigerianische Armee, die in Niger kämpft. Zu sehen ist, wie Schüsse abgefeuert werden und Soldaten in ein Dorf eindringen. 

DW-Faktencheck: Falsch.

Dieses Video zeigt nicht die nigerianische Armee in NigerBild: TikTok

Das TikTok-Video hat mehr als eine Million Aufrufe und wurde von mehreren Nutzerngeteilt. In dem Video marschieren Dutzende Soldaten mit Gewehren durch ein Dorf, einige von ihnen schießen. Doch das Video ist alt und zeigt nicht die nigerianische Armee, die in Niger kämpft. In den Kommentaren unter dem Video behaupten mehrere TikTok-Nutzer, die Szenen hätten sich in Sierra Leone und nicht in Niger abgespielt.

Über eine Online-Recherche auf YouTube fanden wir heraus, dass das Originalvideo von der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) am 21. Juli 2015 veröffentlicht wurde. In dem TikTok-Video ist das abgeschnittene Logo von AP (Associated Press) am rechten Rand des Bildschirms zu erkennen. Laut der Bildunterschrift des ursprünglichen AP-Videos zeigt es Szenen aus dem Jahr 1998. Ein Fernsehteam der AP nahm hier die nigerianische Interventionstruppe ECOMOG in Sierra Leone auf. 

Dieser Artikel wurde am 9.8.23 geändert.

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