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GesellschaftDeutschland

Faktencheck: Fakes über Retter beim Hamburger Messerangriff

28. Mai 2025

Ein Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof wurde auch durch das Eingreifen des Syrers Muhammad Al Muhammad gestoppt. Nun werden auf Social Media manipulierte Bilder von ihm geteilt - und sein Handeln infrage gestellt.

Screenshot eines KI-generierten Bildes, das angeblich den Syrer, der die Messerattacke am Hamburger Hauptbahnhof stoppte, dort auf einem Bahnsteig zeigen soll
Dieses Bild ist nicht echt, sondern es wurde mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt. Obwohl es ihm ähnelt, zeigt es nicht Muhammad Al Muhammad.Bild: X

Vergangenen Freitag wurden am Hamburger Hauptbahnhof 15 Menschen mit einem Messer verletzt - teils lebensgefährlich. Drei weitere Menschen erlitten andere Verletzungen. Die mutmaßliche Täterin, eine 39-jährige Frau, war bereits zuvor polizeilich in Erscheinung getreten, es gibt Hinweise auf eine psychische Erkrankung.

Der Vorfall löste einen Großeinsatz von Rettungskräften, Feuerwehr und Polizei aus. Den Behörden zufolge konnte die Verdächtige durch "das sehr schnelle Eingreifen zweier Passanten, die sich auf dem Bahnsteig befanden, sowie der Einsatzkräfte", gestoppt und festgenommen werden.

"Ein Syrer als Retter passt nicht in das Weltbild"

Einer der beiden Passanten ist der Syrer Muhammad al Muhammad, mehrere Medienberichteten über ihn. Doch nun wird unter anderem ein Foto des Mannes aus einem Artikel des Nachrichtenmagazins Der Spiegelmanipuliert und zur Verbreitung von Falschinformationen missbraucht.

Muhammad Al Muhammad in Berlin - das ist das von Spiegel Online verwendete Privatfoto, es steht nicht im Zusammenhang mit dem Vorfall am Hamburger HauptbahnhofBild: www.spiegel.de

Das private Foto zeigt Al Muhammad in Berlin vor dem Brandenburger Tor. Es hat nichts mit den Geschehnissen in Hamburg zu tun. Der Spiegel bestätigte einem weiteren Medium, der Frankfurter Rundschau, dass Muhammad al Muhammad es für den Bericht zur Verfügung gestellt hat.

Internetnutzende kopieren ihn nun aus dem Foto vor neue Hintergründe, sodass Al Muhammad angeblich in Washington, DC,oder in Moskauzu sehen ist. Kommentiert sind diese Posts mit sarkastischen Kommentaren wie "Die Friedensgespräche können beginnen… Danke Muhammad Al Muhammad" in Anspielung auf globale Friedensbemühungen zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Diese und andere Bemerkungen hinterlassen den Eindruck, dass die Kommentierenden die Berichterstattung über den 19-Jährigen als zu positiv wahrnehmen. 

Una Titz, Medienwissenschaftlerin und Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung, erklärt: "Dass eine syrische Person Retter ist, passt nicht in ein Weltbild, in dem geflüchtete Menschen - insbesondere Syrer - ein Synonym für 'Messer-Männer', für Attentäter sind. Solche Posts schlagen in eine rechtspopulistische Kerbe ein." Die Stiftung setzt sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein. 

Ein Foto aus einem Artikel der Boulevard-Zeitung Bild über Muhammad Al Muhammad wurde auf ähnliche Weise manipuliert.

Links das Foto, das die Bild-Zeitung von Muhammad Al Muhammad geschossen hat, rechts eine manipulierte Version, das Al Muhammad vor dem Eiffelturm in Paris zeigen sollBild: www.bild.de | X

Doch die Postszeugen nicht nur von Geringschätzung und Ungläubigkeit gegenüber Muhammad Al Muhammads Einschreiten gegen die mutmaßliche Täterin. Während einige Foto-Montagen, die Muhammad Al Muhammad im Ausland zeigen, offensichtlich gefälscht sind, haben andere Bilder Nutzende tatsächlich verunsichert.

Besonders verbreitet ist ein Bild an einem Bahnsteig - eine mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) manipulierte Version des Originals vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Al Muhammad ist darauf breiter als auf dem Original, sein Gesicht ist verändert, das Marken-Logo auf seiner Jacke weicht vom Original ab und ist verzerrt. Bei genauerer Betrachtung ergeben auch die Schriftzeichen auf den Anzeigetafeln keinen Sinn. Einige Personen im Hintergrund wirken deformiert. All das sind typische Anzeichen für KI-Bilder.

Bei diesem angeblichen Bild von Al Muhammad gibt es einige deutliche Zeichen, dass es KI-generiert und nicht echt istBild: X

Dieses Fake-Bild zeigt angeblich Al Muhammad auf dem Bahnsteig in Hamburg. Es hat viele Nutzende  misstrauisch gemacht, so fragt etwa eine X-Nutzerin, die das Bild mit dem Original in Berlin vergleicht: "Die Frisur sitzt - der Hoody [Kapuzenpullover, Anmerkung der Redaktion] ist derselbe - der Bizeps ist geschrumpft - von heute auf morgen. Wie geht das, Journaille?" Journaille ist im Deutschen ein abschätziger Begriff für Journalistinnen und Journalisten. Dieser Post wurde mehr als 600.000 Mal angezeigt.

Obwohl etablierte Medien das KI-generierte Bahnhofs-Bild gar nicht in der Berichterstattung genutzt haben, geht der Vorwurf der Fälschung nun in Richtung der Medien. Die Fake-Bilder verleiten viele Nutzende dazu, die Existenz des Syrers, seine Rolle bei der Messerattacke am Hamburger Hauptbahnhof als Retter und die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung über ihn anzuzweifeln.

Laut Expertin Titz, die bei der Amadeu-Antonio-Stiftung den Bereich digitale Demokratiegefährdung leitet, hat das Ganze eine verschwörungsideologische Dimension: "Es wird nicht nur Misstrauen gesät und Unsicherheit geschürt. Wir kennen das vom Glauben an sogenannte Psychological Operations (PsyOps) in den USA, wo Leute überzeugt sind, die Mondlandung oder bestimmte Attentate seien nur von der CIA erfunden und der Bevölkerung eingepflanzt worden."

Wenn weder Behörden noch Medien geglaubt wird

Auch das rechte Boulevard-Magazin exxtra24 macht Anspielungen in diese Richtung: "Warum wird Muhammad Al Muhammad in den aktuellen Polizeimeldungen nicht erwähnt - obwohl er sogar 'einen Cappuccino als Belohnung' von der Polizei erhalten haben soll?"

DW Faktencheck hat bei der Polizei Hamburg nachgefragt. Die teilte mit: "Es ist absolut gängige Praxis, dass Zeugen, Geschädigte, Beschuldigte etc. in (polizeilichen) Pressemitteilungen grundsätzlich nicht namentlich genannt werden. Ausschlaggebend hierfür ist der von den Strafverfolgungsbehörden stets zu achtende Schutz von Persönlichkeitsrechten." Die Polizei bestätigte dennoch, dass nach ihren Erkenntnissen einer der beiden von ihr erwähnten Passanten Muhammad Al Muhammad heiße.

Una Titz zeigt sich besorgt darüber, was die Desinformation über Al Muhammad veranschaulicht: "Es entsteht ein Klima der Unsicherheit, in dem die Wirklichkeit immer mehr infrage gestellt wird. Neben der empirisch bewiesenen faktischen Realität, die auch journalistisch gut recherchiert ist, entstehen immer mehr alternative Wirklichkeiten und Erzählungen."

Dieser Artikel wurde aktualisiert.