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Gesellschaft

Fake News unter falscher Flagge

8. Juli 2022

Prorussische Propaganda ist im Ukraine-Krieg allgegenwärtig. In manchen Fällen kommt sie allerdings gut getarnt daher: als angeblicher Inhalt von westlichen Medien wie BBC, CNN oder DW. Was steckt dahinter?

Symbolbild | Kriegsberichterstattung
Was ist echt? Und was ist Fake? Nicht alle Berichte über den Ukraine-Krieg sind authentischBild: Yaghobzadeh Alfred/ABACA/picture alliance

"Es sieht aus wie ein Bericht der DW", kommentiert ein Twitter-Nutzer auf Japanisch ein angebliches Video der DW über einen ukrainischen Flüchtling, der Frauen erpresst haben soll. Der Videobericht, der im japanischsprachigen Twitter-Netzwerk geteilt wird, erhebt schwere Vorwürfe gegen einen Ukrainer namens "Petro Savchenko". Der Twitter-Nutzer, der das Video kommentiert, schreibt weiter: "Ich möchte das Originalvideo sehen. Bitte teilen Sie mir die URL des Originalvideos mit." Zweifel schwingen zwischen seinen Zeilen mit - und das zurecht. Denn es gibt kein Originalvideo, das Video über den angeblich kriminellen Flüchtling ist gefälscht. Dazu später mehr. 

Dieses Video ist kein Einzelfall. Seit Russland die Ukraine am 24. Februar überfallen hat, werden täglich Fakes, Falschbehauptungen und Manipulationen im Netz verbreitet. Eine besondere Rolle spielen dabei Medien-Fakes: Videos, Fotos und Screenshots, die angeblich von internationalen Sendern wie CNN, BBC oder DW stammen sollen, tatsächlich aber manipuliert oder gar frei erfunden sind. Manche dieser Posts gehen sogar viral, erreichen hunderttausende Menschen. Das Ziel: die Verbreitung von Propaganda und meist prorussischen, antiukrainischen oder antiwestlichen Narrativen, die Zweifel an der westlichen Berichterstattung säen sollen - und nebenbei wohl auch die Glaubwürdigkeit der etablierten westlichen Medien beschädigen.

Angebliches DW-Video über ukrainischen Flüchtling

Was war in diesem Fall passiert? Ein japanischsprachiger Twitter-Account, der schwerpunktmäßig dem Krieg in der Ukraine gewidmet ist, hat kürzlich ein Video geteilt (hier archiviert), das über einen angeblich kriminellen Flüchtling aus der Ukraine berichtet.

Der Flüchtling heiße "Petro Savchenko" und soll Dutzende deutsche Frauen erpresst haben. Er soll ihnen gedroht haben, "pornografische Bilder" von ihnen zu veröffentlichen, aufgezeichnet mit einer versteckten Kamera, nachdem er sie in Bars kennengelernt habe. Weiterhin wird im Video behauptet, die Polizei ermittle gegen Savchenko, dem nun eine Gefängnisstrafe drohe. Auf DW-Anfrage erklärte ein Sprecher des Bundeskriminalamtes (BKA): "Ein derartiger Sachverhalt ist uns nicht bekannt."

Ein falsches Video mit einer ausgedachten Geschichte macht im japanischen Twitter-Netz die Runde

Das Video, das nur gut tausend Mal angesehen wurde, wirkt auf den ersten Blick wie ein authentisches DW-Video. Tatsächlich fallen minimale Abweichungen erst bei näherer Analyse auf: Die verwendete Schriftart entspricht nicht hundertprozentig der der DW, gut zu erkennen zum Beispiel beim Buchstaben X. Zusätzlich werden am Satzende Punkte gesetzt, was in DW-Videos nicht geschieht. Misstrauisch sollte auch machen: Der Name "Petro Savchenko" führt bei einer Recherche in Suchmaschinen zu keinem entsprechenden Treffer. Kein Medium berichtete über den angeblichen Vorfall von mehrfacher Erpressung, weder auf Deutsch noch auf Englisch oder Ukrainisch, was in so einem Fall unrealistisch ist. Zudem macht das Video keinerlei Angaben, wo und wann sich die Taten ereignet haben sollen.

Weitere Recherchen führen zu noch mehr Ungereimtheiten: Eine Bilderrückwärtssuche des verwendeten Fotos des angeblichen Täters führt zu einem Profil auf der russischen Webseite TopDB.ru, das nach den vorhandenen Daten Pavel Poperechnyy gehören soll. Er stammt aus Sewastopol und seinen weiteren Social-Media-Profilen zufolge lebt er nicht in Deutschland. Die im Video erhobenen Vorwürfe sind sämtlich unbelegt und vermutlich nicht ohne Grund sehr vage gehalten - eine Taktik, die bereits bei früheren Falschnachrichten angewandt wurde, um die Überprüfung der Geschichte zu erschweren.

Das falsche BBC-Video über den Raketenangriff auf Kramatorsk

Ein angebliches Video der BBC erreichte im Vergleich zum falschen DW-Video deutlich mehr Menschen: Nach dem russischen Raketenangriff auf den Bahnhof von Kramatorsk, der viele Menschen das Leben kostete, kursierte ein Video, dass mehrfach gepostet und insgesamt eine halbe Million Mal angesehen wurde. Es wurde auf zahlreichen prorussischen Profilen geteilt und zeigt Leichen in Kramatorsk sowie eine in der Nähe abgestürzte Rakete. Dazu wird im Text behauptet, dass die Rakete von ukrainischen Truppen stamme und auf die eigene Bevölkerung abgefeuert wurde.

Der Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Kramatorsk wurde begleitet von einer russischen DesinformationskampagneBild: Hervé Bar/AFP/Getty Images

Die BBC widersprach umgehend und bezeichnete das Video als "Fake". BBC-Producer Joe Inwood, der für die BBC über den Raketenangriff berichtete, bestätigte: Der Bericht sei nicht echt, verfüge aber über das BBC-Branding, was befürchten lasse, dass weitere Fakes folgen könnten. Auf dem belarussischen Twitterkanal Nextatv, der die Darstellung als "Fake" kennzeichnete, ist das Video dokumentiert (hier archiviert).

Der auf den ersten Blick authentisch wirkende Clip verbreitete sich schnell: Faktenchecker des BR fanden allein in den ersten Stunden Posts in deutscher, englischer, italienischer, spanischer, katalanischer, indischer und französischer Sprache. Deshalb sprach Cyberkrieg-Experte Sandro Gaycken gegenüber dem BR von einer "konzertierten, aber eiligen Operation" der Desinformation. Roman Osadchuk, Digital-Forensiker und Open-Source-Experte in der Denkfabrik Atlantic Council, wird im DW-Gespräch konkreter: "Im Fall von Kramatorsk war es nicht nur das Fake-Video, das war nur ein kleiner Teil einer ganzen Kampagne. Man wollte die Menschen davon überzeugen, dass die Ukrainer ihre eigenen Leute bombardieren, was absurd ist." Das Video sei durch zahlreiche Posts im Messengerdienst Telegram und auf anderen Plattformen begleitet worden.

Fake-CNN-Tweets sorgen für Verwirrung

Wenn Tweets des weltweit wohl bekanntesten Nachrichtensenders CNN geteilt werden, suggeriert dies eine hohe Glaubwürdigkeit. Doch auch hier ist nicht alles echt, was auf den ersten Blick so aussieht: Mehrere gefälschte Tweets oder gar falsche CNN-Accounts machten seit Beginn des Ukraine-Krieges die Runde und zwangen CNN zu Dementis. So zum Beispiel, als der angebliche CNN-Twitterkanal "@CNNUKR" den ersten Tod eines US-Amerikaners im Ukraine-Krieg vermeldete - eine Fake-Story, wie unser Faktencheck zeigte. Ähnlich war es bei einem gefälschten Tweet über eine angebliche Bombardierung eines Hotels in der Ukraine.

Falsche CNN-Tweets zeigten ein Todesopfer, das es in beiden Fällen nicht gabBild: Twitter/joshallanmpls2

Und auch angeblich Screenshots aus CNN-Liveübertragungen verbreiteten falsche Informationen. Mit diesem Post wurde suggeriert, dass CNN Bilder einer Explosion aus dem Jahr 2015 fälschlicherweise als aktuell verkauft habe. Auch diese Darstellung ist falsch, wie ein AFP-Faktencheck bewies.

Keine BBC-Sondersendung über nuklearen Angriff

Diese Art der Fake News im besten Wortsinn ist nicht neu. Bereits in den vergangenen Jahren gab es immer wieder falsche Nachrichten, die etablierten Medien angedichtet wurden. Ein besonders dramatischer Fall: In einem Video berichtete ein Moderator in einem den BBC News ähnelnden Studio von einem militärischen Zwischenfall zwischen Russland und der NATO sowie von der Explosion einer Atombombe in Brüssel. Das Video ist rein fiktional und stammt nicht von der BBC, stellte der Sender klar - und doch wird es weiterhin geteilt, wie Reuters berichtet.

Wer steckt hinter diesen Desinformations-Attacken?

Die Spur zu den tatsächlichen Urhebern der falschen Videos, Bilder oder Tweets ist nicht immer sofort erkennbar. Experten sehen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Spuren nach Russland führen. Josephine Lukito, Professorin an der School of Journalism and Media an der University of Texas in Austin, sieht professionelle Strukturen hinter den Fake-Produktionen. Viele der prorussischen Desinformationen könnten der Internet Research Agency (IRA) zugeordnet werden, einer russischen Trollfabrik, die seit 2012 aktiv ist. Bekannt wurde die IRA für die versuchte Einflussnahme auf den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016. Und auch zur Ukraine wurden seit 2014 zahlreiche Falschmeldungen verbreitet, die der IRA zugerechnet werden.

"Das langfristige Ziel dieser von Russland ausgehenden Desinformation ist es, Misstrauen ins Mediensystem zu säen", so Lukito. Dabei werde gezielt auch die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenmedien für die eigenen Zwecke ausgenutzt. Dies sei ein noch relativ neues Phänomen der Desinformation, bei dem angeblich seriöse Nachrichten unter falscher Flagge veröffentlicht werden.

Ingo Mannteufel, Leiter der Cybersecurity der DW, unterstreicht: "Oft stecken staatliche oder staatsnahe Akteure hinter diesen aufwändigen Produktionen von Desinformation." Im konkreten Fall, der die DW betrifft, hätten die Urheber des Fake-Videos versucht, mit dem DW-Design "der Desinformation Glaubwürdigkeit zu verleihen und die Meinung im japanischen Twitter-Raum im Sinne der Kreml-Propaganda zu beeinflussen". Diese Form der Desinformation nennt sich Spoofing, bei dem eine digitale Identität vorgetäuscht wird, um sich Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu erschleichen.

Wie gehen die Video-Fälscher vor?

In der Regel basieren die Medien-Fakes auf einem Nachbau des jeweiligen Senderdesigns. Zu dieser Erkenntnis gelangten auch die Digital-Forensiker des Thinktanks Atlantic Council. Im Falle des falschen BBC-Videos seien Logo, Inserts und Stil der BBC kopiert und übertragen worden, um den Anschein eines echten BBC-Videos zu erwecken, so die Forscherin Eto Buziashvili. "Sie haben alles kopiert, was ein BBC-Video ausmacht und dann Fake-Videos erstellt. Sie haben das gesamte Template der BBC inklusive Titel übernommen." Solch ein Nachbau sei nicht allzu schwer zu erstellen, erfordere aber Kenntnisse der Videobearbeitung und entsprechende Programme.

Haben die Fake News Erfolg?

Der Effekt der falschen Nachrichten ist schwer zu messen, sagt Scott Radnitz von der Henry M. Jackson School of International Studies an der University of Washington in Seattle, besonders mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. "Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Menschen bereits eine klare Meinung zum Krieg in der Ukraine haben, ist es wahrscheinlicher, dass sie die Nachrichten konsumieren, die ihre Sicht der Dinge unterstützen und instinktiv ablehnen, was dieser widerspricht." Deswegen seien diese Aktionen des "Informationskrieges" eher an jene gerichtet, die für solche Nachrichten empfänglich sind. Es sei daher gewissermaßen "eine Ehre", so Radnitz im DW-Gespräch, wenn Nachrichtensender wie die BBC, CNN oder die DW zum Ziel der Attacken würden, denn sie würden als glaubwürdige, relevante Player wahrgenommen. 

Dieser Beitrag wurde am 6. Juli veröffentlicht und am 8. Juli um die Aussage des BKA ergänzt. 

Faktencheck: Wie erkenne ich Fake News?

04:16

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