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Faktencheck: Fordert Clinton Haft fürs Teilen von Fakenews?

21. September 2024

Laut viralen Social-Media-Posts will Hillary Clinton Gefängnisstrafen für Amerikaner, die Falschinformationen teilen. Was hat sie wirklich gesagt? Und steht das im Widerspruch zum Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung?

Screenshot eines X-Posts, der Hillary Clinton in einem Fernsehinterview auf MSNBC zeigt. Der User "End Wokeness" schreibt: "BREAKING: Hillary Clinton schlägt vor, Amerikaner für das Posten von "Falschinformationen" ins Gefängnis zu stecken
Nein, Hillary Clinton hat nicht vorgeschlagen, Amerikaner für das Posten von Falschinformationen in sozialen Medien ins Gefängnis zu steckenBild: X

Das Rennen um das Weiße Haus ist in vollem Gange. Mitglieder beider Parteien beschuldigen sich gegenseitig, Lügen, Fake News und ausländische Propaganda zu verbreiten - nicht nur die jeweiligen Präsidentschaftskandidaten, US-Vize-Präsidentin Kamala Harris bei den Demokraten und Ex-US-Präsident Donald Trump.

Einige der eher rechtsgerichteten Republikaner bestehen darauf, dass jeder das Recht hat zu sagen, was er will, also auch zu lügen. Die mitte-links-gerichteten Demokraten dagegen sind tendenziell offener für gewisse Einschränkungen der Redefreiheit. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts RealClear aus dem Jahr 2023 ergab, dass drei Viertel der demokratischen Wähler finden, dass die Regierung "hasserfüllte" Beiträge in sozialen Medien einschränken sollte.

Hat Hillary Clinton zur Inhaftierung von Fake News-Verbreitern aufgerufen?

Diese Woche empörten sich Trump-Anhänger über ein Video von Hillary Clinton, das am Dienstag auf dem US-Sender MSNBC ausgestrahlt worden war. Sie warfen der ehemaligen Außenministerin unter anderem vor, sie fordere, dass politische Gegner für die Äußerung bestimmter Meinungen bestraft werden sollten.

Behauptung: "Hillary Clinton schlägt vor, Amerikaner für das Posten von 'Falschinformationen' ins Gefängnis zu stecken", postete der bekannte rechte X-Account "End wokeness" zusammen mit einem Videoclip. Das Video wurde - Stand Samstagmorgen - mehr als 69 Millionen Mal aufgerufen. Der Account "Wall Street Apes" behauptete in einem X-Post mit mehr als drei Millionen Aufrufen: "Hillary Clinton fordert jetzt, dass Trump-Anhänger wegen der Verbreitung von Falschinformationen ins Gefängnis geworfen werden."

DW Faktencheck: Falsch.

In dem Interview, das auf MSNBC ausgestrahlt wurde, schlug Clinton zwar vor, dass "Amerikaner zivilrechtlich oder - in einigen Fällen - sogar strafrechtlich belangt werden sollten", wenn sie bestimmte Beiträge in sozialen Medien veröffentlichen. Sie forderte aber nicht, jeden anzuklagen, der falsche Inhalte postet oder weiterverbreitet, wie einige User in Sozialen Medien behaupten.

Eine solche Forderung könnte durchaus als skandalös angesehen werden. Schließlich würde sie dem Recht auf Redefreiheit widersprechen, das in den USA, wie in den meisten, wenn nicht sogar allen demokratischen Ländern, in der einen oder anderen Form ein in der Verfassung verankertes Recht ist. In dem fraglichen Interviewausschnitt sprach Clinton jedoch über US-Bürger, die von russischen Agenten dafür bezahlt werden, "russische Darstellungen nachzuplappern".

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Clinton erinnerte an die Arbeit des US-Sonderermittlers Robert Mueller, der 2018 Anklage gegen 13 russische Staatsbürger erhoben hatte, weil sie sich angeblich in die US-Präsidentschaftswahl 2016 eingemischt hatten, bei der Clinton Donald Trump unterlegen war. Eine "bessere Abschreckung" sei es aber, argumentierte Clinton, auch Amerikaner wegen der Verbreitung von Kreml-Propaganda anzuklagen. Schließlich sei es sehr unwahrscheinlich, dass Russen "jemals in den Vereinigten Staaten vor Gericht stehen" würden.

Will Clinton die Redefreiheit einschränken?

Der republikanische Kongressabgeordnete Alex Mooney aus West Virginia schrieb auf X zu dem Clinton-Clip: "Demokraten fürchten unser Recht auf Redefreiheit." Er bezog sich dabei auf den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, der dieses Recht garantiert.

Viele Regierungen und oberste Gerichte weltweit, darunter auch die in Washington und Deutschland, begrenzen die freie Rede- oder Meinungsäußerung jedoch, wenn sie in Konflikt mit anderen verfassungsmäßigen Rechten steht - wie etwa der persönlichen oder öffentlichen Sicherheit oder der Menschenwürde. Deshalb ist beispielsweise eine Aufforderung zu Straftaten in der Regel nicht von diesem Recht gedeckt, sondern strafbar.

Aus dem "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte", den fast alle UN-Staaten zumindest teilweise unterzeichnet haben, leitet sich zudem ab, dass die Meinungsfreiheit auch bei Hassrede an ihre Grenzen stoßen kann.

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Einige Staaten, zum Beispiel Deutschland, ziehen diese Grenze etwas enger als die USA. In beiden Ländern können verleumderische oder diskriminierende Beschimpfungen dann geahndet werden, wenn sie "über die bloße Meinungsäußerung hinausgehen und einer bestimmten Person Schaden zugefügt werden soll", wie die National Coalition Against Censorship (NCAC), ein Zusammenschluss von 59 nationalen gemeinnützigen Organisationen, erklärt. Eine Beschimpfung, so die NCAC, sei in den USA in der Regel nur dann strafbar, wenn sie absichtlich oder tatsächlich ein "einschüchterndes, feindseliges oder beleidigendes Umfeld" schafft.

Sind Lügen von der Verfassung geschützt?

Ein weiterer Unterschied zwischen den USA und Deutschland ist schon im Wortlaut der Verfassungen zu erkennen. Im deutschen Grundgesetz heißt es "Jeder hat das Recht, seine Meinung (...) zu äußern (...)", und so schließt die Meinungsfreiheit vorsätzliche Lügen auch weitgehend aus. Der Erste Zusatz der US-Verfassung verbietet hingegen dem Kongress, durch Gesetze die Redefreiheit ("freedom of speech") zu beschneiden, was wiederum Lügen einschließt.

Werfen sich gegenseitig Lügen vor: die beiden US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Kamala HarrisBild: Morry Gash/AP/dpa/picture alliance

Ein Gerichtsverfahren, dass derzeit in Tampa Bay, Florida, stattfindet, könnte eine Antwort auf die Frage geben, ob die Verbreitung ausländischer Propaganda in den USA strafbar ist oder unter die Redefreiheit fällt. Dort sind laut "The New York Times" vier Männer wegen mutmaßlicher Verschwörung angeklagt - und weil sie ohne entsprechende Registrierung als russische Agenten tätig gewesen sein sollen.

Genau wie die Republikaner, die Clintons Interview - absichtlich oder nicht - fehlinterpretiert haben, argumentieren die vier Angeklagten in Florida, dass es den Staatsanwälten darum gehe, abweichende Meinungen zu kriminalisieren, die durch den ersten Verfassungszusatz geschützt seien.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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