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Politik

Hat AstraZeneca die EU getäuscht?

26. Januar 2021

AstraZeneca hat Lieferengpässe seines Corona-Vakzins angekündigt - nur für die EU, nicht für Großbritannien. Das sorgt für Empörung und viele Fragezeichen. Unklarheiten gibt es auch bezüglich der Wirksamkeit bei Älteren.

Coronavirus | Impfstoff und Impfzentren
Verimpfung des AstraZeneca-Vakzins in SunderlandBild: Owen Humphreys/Pa Wire/dpa/picture alliance

Ende der Woche soll als dritter Corona-Impfstoff in der Europäischen Union das AstraZeneca-Serum zugelassen werden. Aber schon zuvor gibt es Ärger, denn der britisch-schwedische Konzern, bei dem die EU-Kommission insgesamt 400 Millionen Dosen bestellt hatte, hat Verzögerungen angekündigt. Mehr zu den Hintergründen im DW-Faktencheck:

Wie kann es zu Lieferengpässen kommen, wo doch die EU Millionen zahlte, um AstraZenecas Produktion anzukurbeln?

DW-Faktencheck: Nicht verifizierbar. Die Europäische Union scheint darüber genauso im Unklaren zu sein wie die Öffentlichkeit. Nachdem AstraZeneca am Montag die Gründe nicht zufriedenstellend darlegen konnte, sollte am Mittwoch ein Treffen der Parteien stattfinden. AstraZeneca hat dieses Treffen jedoch kurzfristig abgesagt.

Am Freitag (22.01.2021) hatte der Konzern mitgeteilt, der EU zunächst weniger Corona-Impfdosen liefern zu können als vorgesehen. Eigentlich hatte die EU 80 Millionen Impfdosen bis Ende März erwartet - nun sollen es nur 31 Millionen sein. Als Grund nannte AstraZeneca Probleme in "einem Werk in unserer europäischen Lieferkette". Auch auf DW-Anfrage blieb der britisch-schwedische Konzern vage - es hieß lediglich: "Während es keine geplante Verzögerung für den Lieferbeginn unseres Impfstoffs gibt, werden die anfänglichen Volumina aufgrund reduzierter Erträge an einem Produktionsstandort innerhalb unserer europäischen Lieferkette geringer ausfallen als ursprünglich erwartet."

Die Irritation ist auf Seiten der EU besonders groß, weil sie Hunderte Millionen Euro im Voraus an AstraZeneca gezahlt hatte, damit der Pharmakonzern die Produktion schon vor der offiziellen Zulassung anwirft.

Europa habe viel "investiert, um die Entwicklung der weltweit ersten COVID-19-Impfstoffe zu unterstützen", erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Hersteller - auch bei BioNTech-Pfizer gibt es Verzögerungen - müssten nun ihre Lieferverpflichtungen erfüllen. Unabhängige Informationen zu den Lieferengpässen von AstraZeneca in Europa fehlen derzeit.

Wird Großbritannien - anders als die EU - weitgehend problemlos mit Impfdosen versorgt?

DW-Faktencheck: Richtig. In Großbritannien, wo AstraZeneca bereits seit Anfang Januar verimpft wird, gibt es derzeit keine Engpässe bei den Lieferungen. Deshalb fragen sich viele in der Europäischen Union nun: Sind eigentlich für die EU vorproduzierte Dosen dorthin gegangen? Gibt es seitens des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens eine Vorzugsbehandlung für Großbritannien?

AstraZeneca "not playing fair"

02:57

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Der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei im Europa-Parlament, Peter Liese (CDU), sagte der DW, er halte AstraZenecas Erklärung dafür, dass es nur für die EU Lieferengpässe gebe, für unglaubwürdig. "Dem Konzern zufolge sind die Lieferketten getrennt, aber das stimmt nicht. Bis vor wenigen Tagen ist die Abfüllung des Impfstoffs für Großbritannien noch im deutschen Dessau erfolgt. Umgekehrt werden im Vertrag mit der EU auch zwei Produktionsstandorte in Großbritannien erwähnt." AstraZeneca müsse sich entscheiden, ob es wie ein britischer oder ein internationaler Konzern agieren wolle, so Liese weiter.

Als Reaktion auf die Schwierigkeiten mit AstraZeneca und BioNTech/Pfizer plant die Kommission nun einen "Transparenzmechanismus" für den Export von Impfstoffen in Länder außerhalb der EU. Es handle sich nicht um ein Exportverbot, aber man wolle "wissen, was die Unternehmen auf Märkte außerhalb der EU exportieren", so ein Sprecher.

Dem britischen Sender BBC zufolge wird ein Großteil der in Großbritannien verwendeten Impfstoffdosen von AstraZeneca auch im Land selbst hergestellt - während das BioNTech-Pfizer-Vakzin aus der EU geliefert werde.

AstraZeneca ließ auf DW-Anfrage nur mitteilen: "Zur Beschleunigung der Impfstoffproduktion und -lieferung gehört die Zusammenarbeit mit mehr als 20 Lieferpartnern in über 15 Ländern, die von mehr als 20 analytischen Testzentren unterstützt werden." Warum die Lieferungen in Großbritannien reibungslos laufen und in der EU nicht, erklärt AstraZeneca nicht eindeutig.

Verstößt AstraZeneca gegen seinen Vertrag mit der EU?

DW-Faktencheck: Wahrscheinlich richtig. Sollte AstraZeneca, wie angekündigt, tatsächlich zum Ende des ersten Quartals nur 40 Prozent der vereinbarten Impfstoffmenge liefern, könnte es sich laut EU-Parlamentarier Tiemo Wölken (SPD) um einen "Vertragsbruch" handeln.

Wölken betonte allerdings im Gespräch mit der DW, dass ihm der zur Debatte stehende Vertrag nicht vorliegt - die EU hält ihn wie fast alle anderen unter Verschluss. Der Chef von AstraZeneca, Pascal Soriot, wies den Vorwurf des Vertragsbruchs in einem Interview mit der Tageszeitung "Welt" zurück. Es gebe keine festen Zusagen des Unternehmens im Hinblick auf die Liefermengen: "Wir haben unseren 'best effort' zugesagt, dass wir uns im besten Sinne bemühen.", so Soriot, der in dem Gespräch auch auf die langsamen Vertragsverhandlungen der EU verwies. Großbritannien habe die Verträge drei Monate früher unterzeichnet.

Einzig der EU-Vertrag mit dem Impfstoffhersteller CureVac ist bislang teils öffentlich geworden. Wölkens Einschätzung beruht darauf, dass der AstraZeneca-Vertrag eventuell vergleichbar ist. 

Britischer Premier Boris Johnson mit gekühlten AstraZeneca-Impfdosen bei der Verteilung in Nord-London (am Montag)Bild: Stefan Rousseau/PA Wire/picture alliance

Die EU-Kommission betont weiterhin, man wolle Lösungen mit AstraZeneca finden, um die vertraglich vereinbarten Liefermengen doch noch zu erreichen. Gelingt dies nicht, könnten je nachdem, was im Vertrag steht, auch rechtliche Schritte gegen AstraZeneca eingeleitet werden.

Im möglicherweise ähnlich gestalteten CureVac-Vertrag findet sich laut Wölken jedoch keine Vertragsstrafe bei Nichtleistung, sondern lediglich ein Passus, "dass der Hersteller verpflichtet ist, die Kommission so früh wie möglich über mögliche Verspätungen zu informieren".

Ist die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs bei Senioren eingeschränkt?

DW-Faktecheck: Nicht verifizierbar. Senioren gehören zu den Corona-Hochrisikogruppen - es wäre also fatal, wenn der Impfstoff ausgerechnet bei ihnen kaum wirken würde. Wie "Handelsblatt" und "Bild"-Zeitung berichten, soll die Wirksamkeit des AstraZeneca-Vakzins bei Menschen über 65 nur bei acht Prozent liegen. Die Faktenlage hierzu ist allerdings unübersichtlich.

So ließ das Bundesgesundheitsministerium verlauten, die Meldungen seien wohl durch eine Verwechselung entstanden. "Rund acht Prozent der Probanden der AstraZeneca-Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre", teilte ein Sprecher mit. "Daraus lässt sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten."

In einem in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "The Lancet"erschienen Artikel heißt es, die Anzahl älterer Erwachsener, die an der Phase-III-Studie des AstraZeneca-Vakzins teilnahmen, sei zu gering, um zu diesem Zeitpunkt ein endgültiges Urteil zur Wirksamkeit bei Senioren zu fällen. Die britische Arzneimittelbehörde "Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency" (MHRA) erteilte AstraZenecas Corona-Impfstoff allerdings Ende vergangenen Jahres trotzdem eine Notfallzulassung für Großbritannien - für alle über 18 Jahren.

Britische Senioren in einem Impfzentrum in Mansfield: Wie gut wirkt es in ihrer Altersklasse?Bild: Joe Giddens/PA Wire/picture alliance

Der Hersteller selbst weist Berichte über eine geringe Wirksamkeit bei Senioren als "komplett falsch" zurück. Eine Sprecherin von AstraZeneca verwies auf Daten, die im November in "The Lancet" veröffentlicht wurden, und laut derer die Immunantwort bei allen Altersgruppen gleich hoch war. Der Anteil älterer Erwachsener bei dieser Studie war höher, allerdings lag die Gesamtanzahl der Teilnehmer deutlich niedriger. Und: Es handelte sich um eine Phase-II-Studie, also einen Vorgänger der Studie, die Experten noch an der Wirksamkeit bei Senioren zweifeln lässt.

Für eine Zulassung des Vakzins in der EU ist die "European Medicines Agency" (EMA) zuständig. Je nachdem, wie die EMA den AstraZeneca-Impfstoff einstuft, könnten die EU-Länder möglicherweise die Reihenfolge ändern, in der bestimmte Altersgruppen das Vakzin erhalten.

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