Faktencheck: Hat Joe Biden seine Krebserkrankung vertuscht?
21. Mai 2025
Die Bestätigung der Krebsdiagnose des ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden hat weltweit Betroffenheit, aber auch eine Welle von Desinformation auf Social-Media-Plattformen ausgelöst. Laut einem offiziellen Statement von Bidens Büro wurde bei dem 82-jährigen Ex-Präsidenten ein "aggressiver" Prostatakrebs diagnostiziert, der "Metastasen in den Knochen" gebildet habe.
Schon Stunden nach Bekanntwerden der Nachricht verbreiteten sich Spekulationen darüber, ob Bidens Krebsleiden vor seinem Amtsantritt 2021 hätte bekannt sein müssen. US-Präsident Trump erklärteam Montag im Weißen Haus, er sei überrascht, dass die Diagnose nicht schon vor langer Zeit bekannt gegeben worden sei. DW-Faktencheck hat zwei Behauptungen dazu überprüft.
Behauptung: "Ich würde gerne wissen, wie Dr. Jill Biden Krebs im fünften Stadium übersehen hat. Oder ist dies eine weitere Vertuschung?" Dies schrieb Donald Trump Jr. In einem Post auf X. Der Beitrag erreichte 5,6 Millionen Menschen (Stand 19.Mai).
DW-Faktencheck: Falsch.
In dem Beitrag bezeichnet der älteste Sohn des US-Präsidenten Bidens Erkrankung als Krebs im "fünften Stadium". Dies ist ungenau und kann zu Verwirrung führen, denn Krebs im "fünften Stadium" gibt es nicht.
Laut der Deutschen Krebshilfeexistieren zwei international standardisierte Klassifizierungen für Prostatakrebs: das TNM-Staging-System und das Gleason-Grading-System.
Die TNM-Klassifikation beschreibt das Gesamtstadium verschiedener Krebsarten auf der Grundlage von Standards: Größe und Ausdehnung des Tumors (T), Befall von Lymphknoten (N) sowie Metastasen (M) in anderen Organen. Durch die Kombination dieser Werte wird ein Gesamtstadium bestimmt, das in der Regel mit einer römischen Zahl von I (1) bis IV (4) beschrieben wird.
Das Gleason-Klassifizierungssystem hingegen ist spezifisch für Prostatakrebs. Das weltweit etablierte System dient der feingeweblichen Beurteilung der Drüsenbeschaffenheit im Prostatagewebe. Je höher der Wert, desto schlechter ist die Prognose.
Ein "fünftes Stadium" gibt es nicht
In der von Bidens Büro veröffentlichten Erklärung heißt es, dass der Prostatakrebs des Ex-Präsidenten durch einen Gleason-Score von 9 (Gradgruppe 5) gekennzeichnet ist, was einen sehr hohen Wert und damit einem aggressiven Krebs gleichkommt. Die Behauptung, Biden habe einen "metastasierenden Krebs im fünften Stadium", ist allerdings falsch, da es im TNM-Klassifikationssystem keinen Krebs im "fünften Stadium" (V) gibt.
In seinem Beitrag spricht Donald Trump Jr. auch davon, dass "Dr. Jill Biden" den Krebs ihres Mannes nicht bemerkt habe. Mit dem Doktortitel wird insinuiert, die Ehefrau sei Ärztin.
Dies ist unzutreffend. Laut offizieller Biografiehat Jill Biden ihren Doktortitel in Pädagogik (EdD) erworben und verfügt über keinen Abschluss in Medizin oder gesundheitswissenschaftlichen Bereichen.
Vorwurf der Vertuschung
Behauptung: "Prostatakrebs ist der im Anfangsstadium am einfachsten zu diagnostizierende Krebs. [...] Denn selbst bei der aggressivsten Form dauert es ohne Behandlung 5-7 Jahre, bis er Metastasen bildet. [...] Es ist sehr wahrscheinlich, dass er während seiner Amtszeit im Weißen Haus bereits von der Diagnose Prostatakrebs wusste und das amerikanische Volk nicht darüber informiert hat", heißt es in einem Screenshot eines X-Posts von Dr. Steven Quay, Gründer und CEO von Atossa Therapeutics, einem biopharmazeutischen Unternehmen, das Therapeutika für Brustkrebs entwickelt.
Quay ist auch als Mitautor des Buches The Origin of the Virus bekannt, das die Hypothese unterstützt, dass das Virus, das COVID-19 verursacht, aus einem Labor stammt. Quays Post Beitrag erreichte 5,5 Millionen Nutzer und erhielt 39.000 Likes (Stand: 20. Mai).
Indem Donald Trump Jr. auf den Mediziner Steven Quay verweist, wirft er die Frage auf, ob Bidens wahrer Gesundheitszustand während seiner Amtszeit vertuscht wurde.
DW Faktencheck: Unbelegt.
Über Bidens körperliche Gesundheit und geistige Leistungsfähigkeit wurde in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft immer wieder berichtet. Für große Aufmerksamkeit hat das am 20. Mai veröffentlichte Buch mit dem langen Titel "Original Sin: President Biden’s Decline, Its Cover-Up, and His Disastrous Choice to Run Again" gesorgt (Deutsch: "Die Erbsünde: Präsident Bidens Niedergang, seine Vertuschung und seine katastrophale Entscheidung, erneut zu kandidieren").
Darin werfen die beiden Autoren, der CNN-Moderator Jake Tapper und Axios-Reporter Alex Thompson, einen kritischen Blick auf den Gesundheitszustand Bidens während seiner Amtszeit von 2021 bis 2024. Die aktuelle Prostatakrebsdiagnose wird in dem Buch nicht thematisiert. Im Juli 2024 zog Biden seine erneute Präsidentschaftskandidatur zurück.
Vorherige Krebsdiagnosen
Bereits im Februar 2024 veröffentlichte das Weiße Haus Bidens offiziellen Gesundheitsbericht. In dem vom langjährigen Arzt des Präsidenten, Dr. Kevin C. O'Connor, unterzeichneten Dokument wird erwähnt, dass Biden wegen eines entfernten Basalzellkarzinoms (einer häufigen Form von Hautkrebs), einer schlafbezogenen Atemstörung, einem Zurückfließen von Magensäure und Mageninhalt in die Speiseröhre (Reflux) und versteiftem Gang behandelt wurde.
Wie in Bidens Gesundheitsbericht von 2024 beschrieben, ist dies nicht das erste Mal, dass bei Biden eine Krebserkrankung diagnostiziert wird. Im Jahr 2023 bestätigte derselbe Arzt gegenüber der New York Timesdie Entfernung einer Krebsläsion aus der Brust des Präsidenten.
Die Informationen über Bidens krebsartige Läsion stimmen mit einer anderen Behauptung des politischen Kommentators Nick Sortor überein. Er veröffentlichte ein altes Video, in dem Biden erklärt, er habe Krebs.
Das Video stammt von einer Pressekonferenz, die Biden am 20. Juli 2022 in Massachusetts hielt. Wörtlich sagte Biden in seiner Rede: "Das ist der Grund, warum ich und so verdammt viele andere Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, Krebs haben."
Transparente Information über Gesundheitszustand?
Das von Sortor veröffentlichte Video wurde nicht, wie von einigen Nutzern im Internet vermutet, digital manipuliert. Die offizielle Niederschriftder Rede bestätigt, dass Biden genau diese Worte gesagt hat.
Der Clip löste damals eine Kontroverse aus und wurde vor allem von Bidens Gegnern verbreitet, um darauf hinzuweisen, dass der US-Präsident seine Krebserkrankung ankündigte. Das Weiße Haus wies diese Behauptung jedoch zurück und erklärte, der US-Präsident habe sich auf eine frühere Diagnose von Hautkrebs bezogen.
Bidens ehemaliger Sprecher, Andrew Bates, veröffentlichte einen Link , der bestätigte, dass bei Biden vor seinem Amtsantritt ein Hautkrebs ohne Melanom entfernt worden war. Jetzt ist der Beitrag als Teil von Bidens offizieller Krebsdiagnose wieder aufgetaucht.
Bidens ehemalige Sprecherin Karine Jean-Pierre sagte 2024im Rahmen der Kontroverse um Bidens Gesundheit, dass die Verwaltung "transparent" über den Gesundheitszustand des ehemaligen Präsidenten informiert habe. Weder Biden noch sein Büro haben sich zu den neuen Spekulationen geäußert.