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Faktencheck: Jerusalem 1897 in Farbe - wie echt ist das?

Silja Thoms
31. August 2025

Ein virales Video zeigt lebendige Szenen aus dem Jerusalem des Jahres 1897 - doch wie viel davon ist wirklich echt? Ein etwas anderer Faktencheck.

Links: Screenshot eines nachkolorierten Videos in Jerusalem 1897. Rechts: Originalaufnahmen aus Jerusalem aufgenommen von Alexandre Promio in 1897
Das Jaffator in Jerusalem aus dem Jahr 1897 – farbenfroh dank moderner TechnologieBild: @JamesLucasIT/X | Auguste & Louis Lumière

Geschäftiges Treiben auf den Straßen Jerusalems im Jahr 1897: Menschen flanieren durchs Bild, ein Händler bietet seine Waren vor dem Jaffator an, im Hintergrund ist das Schild eines Coiffeurs zu erkennen. Alles in Farbe.

Dieser Clipwurde millionenfachauf der Social Media Plattform X angesehen. Einige Nutzerinnen und Nutzer zweifelnan seiner Echtheit, vermuten eine KI-Generierung. Anderefragen in den Kommentaren, ob es im Jahr 1897 überhaupt schon Filmaufnahmen gab.

DW Faktencheck hat sich das Video genauer angesehen.

Ein Blick in die Vergangenheit?

Das Video zeigt tatsächlich das Jaffator in Jerusalem 1897 - das Tor und die umliegenden Gebäude ähneln auchheute noch jenen, die im Clip zu sehen sind.

Frühe Fotografie mit Blick auf das Jaffator in 1898Bild: Liszt Collection/Artokoloro/IMAGO

Über eine Bilder-Rückwärtssuche lassen sich die Originalaufnahmenunter dem Titel "Jérusalem, porte de Jaffa, côté est" (Deutsch: "Jaffa-Tor, Ostseite") finden. Sie wurden vom französischen Kameramann Alexandre Promio aufgenommen - und zwar tatsächlich im Jahr 1897.

Diese Informationen bestätigt auch Michael Allan, Associate Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Oregon. Er hat sich bereits intensiv mit diesem historischen Schnipsel beschäftigt. Ursprünglich war das Material - wie alle Filme jener Zeit - schwarz-weiß und stumm. Die heute kursierende Version wurde digital koloriert und nachbearbeitet, um der Szene neues Leben einzuhauchen.

Ein weiterer Hinweis findet sich im Katalogder Brüder Lumière , Pioniere der frühen Filmgeschichte. Auch dort ist die Szene aus dem Jahr 1897 enthalten.

Wenn echtes Filmmaterial nicht mehr glaubwürdig erscheint

Trotz des belegbaren Ursprungs verwischt das Video die Grenze zwischen Echtem und Künstlichem. Auch wenn niemand bewusst Falschinformationen verbreitet, wirft der Clip Fragen nach seiner Authentizität auf.

Das ursprüngliche Material wurde nachträglich koloriert, bearbeitet und mit Ton unterlegt - vermutlich mithilfe Künstlicher Intelligenz. Allan schreibt der DW, dass auch die Bewegungsabläufe im Bild "korrigiert" worden seien, um gleichmäßiger zu wirken.

Solche Bearbeitungen sind nicht neu: Bereits auf der DVD "The Lumière Brothers' First Films" existiert eine restaurierte Version. Allan beschreibt diese Eingriffe als "effet de réel" - einen stilistischen Kunstgriff, der historische Aufnahmen dem Sehverhalten heutiger Zuschauer anpasst. "Die Betrachtungsbedingungen entwickeln sich mit jeder neuen Variation weiter", sagt er. So erhalten Bilder aus der Vergangenheit ein zweites oder gar drittes Leben.

Historische Bilder werden oft koloriert - wie diese Aufnahmen des Volksaufstands in Ostberlin in 1953Bild: akg-images/picture alliance

Koloriert, bearbeitet, KI-generiert - und faszinierend

Die Faszination für kolorierte Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist nicht neu. Im Jahr 2018 produzierte der neuseeländische "Herr der Ringe"-Regisseur Peter Jackson mit ähnlichen Techniken seinen Dokumentarfilm "They Shall Not Grow Old". Weit über  eine Stunde hinaus zeigt er hier koloriertes Filmmaterial aus dem Ersten Weltkrieg.

Doch KI hat auch ihre Schattenseiten. Kürzlich kursierten etwa angeblich echte Videos aus dem Konzentrationslager Auschwitz - in Wahrheit KI-generiert und potenziell gefährlich für die Erinnerungskultur.

The fake Auschwitz images distorting Holocaust history

12:25

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Es gibt zwei Gefahren: Einerseits, dass gefälschtes Material als echt verkauft wird - klassische Desinformation. Andererseits, so schreibt es der deutsche Newsletter Social Media Watchblog (SMWB), dass echtes Material fälschlich für manipuliert gehalten wird. Beides trägt zu wachsendem Misstrauen gegenüber digitalen Medien bei. Der deutsche Newsletter Social Media Watchblog warnt: Ständige Hinweise auf Desinformation könnten das Vertrauen zusätzlich untergraben.

Die Geburtsstunde des Kinos

Diese Unsicherheiten spiegeln sich auch in den Kommentaren zu diesem Videoschnipsel wider: Gab es 1897 überhaupt schon Filmaufnahmen?

Das französische Kulturministerium hat bislang nicht bestätigt, ob das Material Teil seiner offiziellen Sammlung ist. Doch ein Blick in das offizielle Archiv zeigt: Die frühesten Filmaufnahmen reichen bis ins Jahr 1883 zurück.

Pioniere des frühen Films - die Brüder Lumière Bild: AFP

Auguste und Louis Lumière waren Pioniere der frühen Filmgeschichte. Bereits 1895 entwickelten sie den sogenannten "Cinématographe" - ein tragbares Kamera- und Projektionssystem, das die Technologie des Bewegtbilds revolutionierte. Im selben Jahr meldeten sie Patente für ihren Kinematographen in mehreren Ländernan, darunter auch in Deutschland.

Nach ihrem ersten Erfolg mit einer Kinoaufführung 1895 schickten die Brüder Kameraleute in alle Welt. Lange war unklar, wer die ikonische Szene am Jaffator in den 1890er-Jahren aufgenommen hatte - doch inzwischen nennen mehrere Quellen Alexandre Promio als den Mann hinter der Kamera, der im Auftrag der Lumière-Filmgesellschaft filmte. Promio begann im Dezember 1896 eine Reise durch Nordafrika und den Nahen Osten; in seinen Reise-Memoiren beschreibt er Besuche in Syrien, der Türkei und Jerusalem. Das passt zum Aufnahmedatum: April 1897.

Auch wenn das Filmemachen im modernen Sinne damals noch nicht möglich war, reicht die Geschichte der Bewegtbilder doch weiter zurück, als viele vielleicht annehmen. 

Boris Geilert und Björn Kietzmann haben zu diesem Artikel beigetragen. 

Redaktion: Rachel Baig

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