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Joe Bidens Rede im Faktencheck

21. August 2020

Kann Joe Biden Amtsinhaber Donald Trump aus dem Amt jagen? Mit einer eher ungewohnt kraftvollen Rede zum Abschluss des Demokraten-Parteitags setzt Biden ein Ausrufezeichen. Aber wie glaubwürdig sind seine Aussagen?

USA Präsidentschaftskandidat Joe Biden in Wilmington, Delaware
Bild: Getty Images/AFP/W. McNamee

Kein Ballonregen, keine tosende Arena, keine Umarmungsorgie. Stattdessen etwas blechern klingender Zoom-Applaus, von Menschen auf ihren heimischen Sofas. Dann Umschnitt auf ein Autokino, wo ein Hupkonzert begleitet von orangefarbenen Warnblinklichtern ansetzt. Weiter mit Menschen auf Pick-Up-Ladeflächen, die mit blauen Blinklichtern und der US-Flagge wedeln. Und schließlich: ein Feuerwerk über dem Abendhimmel von Wilmington, dazu die Klänge von Coldplay.

Die Regisseure des Parteitages der US-Demokraten gaben sich nach der Rede von Joe Biden alle Mühe, auch die Emotionen ihrer Anhänger zu bedienen, die Aneinanderreihung der "Talking heads" etwas aufzulockern. Vieles ist anders in Zeiten von Corona, auch der Wahlkampf. Doch manche Dinge sind genau wie immer: Der Herausforderer gab sich als Gegenentwurf zum Amtsinhaber. Biden präsentierte sich in seiner Rede als Anti-Trump.

Bild eines geeinten Amerikas

In dem, was viele Beobachter als die wichtigste Rede seines Lebens bezeichnen, blühte Biden auf. Der nun auch offiziell gekürte demokratische Präsidentschaftskandidat sprach kraftvoll, entschlossen und lieferte seinen Kritikern dieses Mal keinen Strauchler als Vorlage. In seiner Rede versuchte der Kandidat das Bild eines anderen, geeinten Amerikas zu zeichnen, im klaren Kontrast zu dem Amerika, das Amtsinhaber Donald Trump durch seine Politik der Spaltung erschaffen habe.

Wie so oft in Antrittsreden, waren viele Versprechen dabei, auf die die US-Wähler entweder vertrauen können oder auch nicht. In seiner eher versöhnenden Rede fanden sich jedoch auch einige überprüfenswerte Aussagen - hier, die wichtigsten von ihnen im Faktencheck:

Trumps verheerende Corona-Bilanz

Wie erwartet rechnete Biden mit Trumps Krisenmanagement in der Corona-Pandemie ab. Trump habe in seiner Pflicht gegenüber der Nation versagt - und nannte Zahlen, die dies belegen sollen: "Fünf Millionen COVID-19-Infizierte, mehr als 170.000 Amerikaner sind gestorben. Bei weitem die schlimmste Fehlleistung aller Nationen der Welt." In der Tat führen die USA die Schreckensliste der globalen Pandemie weiterhin an. Die Weltgesundheitsorganisation führt 5,43 Millionen infizierte US-Amerikaner sowie 170.640 Tote auf, die Johns Hopkins University kommt auf 5,57 Millionen Infizierte und 174.255 Tote (Stand: 21.8.). In absoluten Zahlen hat Biden also recht mit seiner Argumentation, setzt man die Zahlen jedoch in Relation zur Bevölkerung, ergibt sich ein etwas anderes Bild. In der Statistik der coronabedingten Todesfälle pro 100.000 Einwohner liegen die USA mit 53 Fällen hinter Peru (83), Spanien (62), Chile (56), Brasilien (53) auf Rang fünf. Bei der Sterblichkeit finden sich die USA mit 3,1 Prozent auf Rang zwölf der Statistik der Johns-Hopkins-Universität.

Die Auswirkungen der Corona-Krise

Unzweifelhaft ist hingegen Bidens Angabe zur wachsenden Arbeitslosigkeit: "Mehr als 50 Millionen Amerikaner haben in diesem Jahr Arbeitslosenhilfe beantragt" - korrekt. Das US-Arbeitsministerium sprach zuletzt von gut 54 Millionen Anträgen. Mit seiner Prognose, dass "mehr als zehn Millionen US-Amerikaner ihre Krankenversicherung verlieren" werden, stützt sich Biden offenbar auf einen Bericht des Urban Institute, das von April bis Dezember 10,1 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung vorhersagt. Eine Studie der Henri J Kaiser Family Foundation geht sogar von rund 27 Millionen Fällen aus. Es ist zwar eine Vorhersage, aber auf Basis von seriösen Untersuchungen.

Eine andere Aussage zu den massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ist hingegen etwas irreführend: "Nahezu eines von sechs Kleinunternehmen musste in diesem Jahr schließen", so Biden. Tatsächlich mussten einer Umfrage der US-Handelskammer zufolge 13 Prozent der Kleinunternehmen seit Ausbruch der Pandemie schließen, also etwas fast jedes sechste Kleinunternehmen. Aber nur ein Prozent musste dauerhaft schließen, zwölf Prozent hatten nur temporär geschlossen, zeigt die Umfrage.

Eine landesweite Maskenpflicht

Der 77-jährige Kandidat warf Trump in seiner Rede ebenfalls vor, Amerika nicht vor der Pandemie geschützt zu haben und erneuerte ein Versprechen: "Wir werden eine nationale Maskenpflicht einführen, nicht als Bürde, sondern als patriotische Pflicht." Eine ähnliche Aussage hatte er bereits eine Woche zuvor getätigt, doch Experten zweifeln, ob er sein Versprechen einhalten kann. So hieß es vom Congressional Research Service, es sei "schwierig zu prognostizieren, ob die Gerichte so entscheiden werden".

Die Maske als Symbol der Verantwortung: Biden und Harris wollen eine landesweite MaskenpflichtBild: picture-alliance/AP Photo/A. Harnik

Gegner der Maskenpflicht hatten im Vorfeld auf ihre Freiheitsrechte gemäß des 1. Zusatzartikels der US-Verfassung gepocht und sehen den Zwang zum Tragen der Maske als Verfassungsbruch. Ein US-Gericht lehnte diese Argumentation bereits ab. Die juristische Bewertung von Bidens Plan scheint jedoch noch offen.

Wiederaufbau der Wirtschaft mit Job-Programm

Biden weiß, dass er der stark verwundeten US-Wirtschaft aufzeigen muss, wie er ihr wieder zu Wachstum verhelfen möchte. So kann er auf Stimmen von Unternehmern und Arbeitern hoffen. "Zusammen können wir unsere Wirtschaft wieder aufbauen. Und wir werden sie nicht nur wiederaufbauen, wir werden sie besser aufbauen", versprach er, und kündigte an "fünf Millionen neue Jobs in Produktion und Technologie" zu schaffen. Damit bezieht er sich auf ein geplantes 300-Milliarden-Dollar-Paket, mit dem er insbesondere Zukunftstechnologien wie Biotech, künstliche Intelligenz und nachhaltige Energiegewinnung fördern will. Für ein solch großes Förderpaket wird Biden eine breite politische Unterstützung brauchen. Zuletzt waren die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich zurückgegangen, auch weil zwischen den Organen der US-Politik häufig keine Einigkeit über solche Vorhaben herrschte.

Auf Schmusekurs mit Diktatoren?

Außenpolitische Themen kamen in Bidens Rede kaum vor. Kaum verwunderlich, denn damit gewinnt man selten Wahlen. Doch Biden verpasste Trump einen kräftigen Seitenhieb: "Er ist ein Präsident der keine Verantwortung übernimmt, der sich weigert, zu führen, stattdessen andere beschuldigt und sich bei Diktatoren einschmeichelt", so Biden. Das ist eine Aussage mit starkem Meinungsanteil, die jedoch einen gewissen Wahrheitsgehalt hat. So suchte Trump während seiner Amtszeit die Nähe zu Nordkoreas Diktator Kim Jon Un und behauptete selbst: "Ich habe eine gute Beziehung zu ihm. Und weißt Du, wenn sie sagen: 'Ist das nicht schrecklich?' Dann sage ich: 'Nein, das ist großartig'".

Trumps gutes Verhältnis zu autokratischen Herrschern von Saudi Arabien sowie phasenweise auch zu Russland oder China ist hinlänglich dokumentiert bzw. ebenfalls durch entsprechende Aussagen Trumps belegt. Nicht zu vergessen Trumps Bekenntnis mit Blick auf das türkische Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan: "Ich bin ein großer Fan des Präsidenten", sagte Trump, sprach Erdogan als "meinen lieben Freund" an und lobte die "großartige Beziehung". Ähnlich im Fall von Viktor Orbán, den Trump feierlich im Weißen Haus empfing und Orbáns "großartige Arbeit" lobte. "Er ist ein harter Mann, aber er tut Gutes für die Menschen." Nicht alle Ungarn dürften zustimmen.

Auch wenn längst nicht alle der genannten Personen als Diktatoren zu bezeichnen sind, suchte Trump wiederholt die Nähe zu Machthabern, die nicht immer einen demokratischen Führungsstil pflegen.

Fazit: Biden hält sich überwiegend an Fakten

Joe Biden sucht sich, anders als es Trump gerne tut, keine "alternative Fakten", um im Wahlkampf die Deutungshoheit zu erlangen. Die Zahlen, die er nennt, sind nachprüfbar und manchmal eher noch konservativ gewählt. An wenigen Stellen sind seine Angaben etwas irreführend. Bidens Versprechen sind groß, aber nicht weltfremd, sondern realistisch bis ambitioniert. Amtsinhaber Trump dürfte bei seiner Nominierungsrede in der kommenden Woche versuchen, seinen Herausforderer zu übertreffen - in jeder Hinsicht.

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