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Corona-Impfungen schwächen unsere Immunabwehr nicht

6. September 2021

Impfskeptiker lehnen eine Impfung gegen COVID-19 weiter ab - auch weil sie angeblich unser Immunsystem schwäche, wie manche im Netz behaupten. Beweisen soll dies eine Studie aus den Niederlanden. Was steckt dahinter?

Immunsystem
Bild: Fotolia

"Biontech: Immunabwehr reduziert?", so lautet eine Teletext-Meldung, die bei den deutschen Sendern DMAX und Hamburg 1 veröffentlicht wurde und deren Screenshots auf Facebook und Twitter die Runde machen. Sie wird gerne von Impfskeptikern geteilt und soll angeblich den wissenschaftlichen Beweis liefern, dass die COVID-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer das Immunsystem schwäche. Einige Nutzer gehen noch einen Schritt weiter und behaupten gar, dass dies tödliche Folgen habe: "Dann sterben die Menschen nicht mehr auch an Covid, sondern an vielen anderen möglichen Virenerkrankungen."

Dabei beruft man sich auf eine Studie aus den Niederlanden, die im Mai 2021 als Preprint (Vorab-Publikation) auf einer Plattform für wissenschaftliche Studien erschien und bisher nicht peer-reviewed ist. Die Plattform-Betreiber warnen ausdrücklich, dass Preprints nur vorläufige Arbeitsberichte sind, die nicht durch Peer Review zertifiziert wurden. "Auf sie sollte man sich nicht in der klinischen Praxis oder im gesundheitsbezogenen Verhalten verlassen und sie sollten nicht als etablierte Informationen in den Medien veröffentlicht werden", so der Appell von medRxiv. Wie aussagekräftig ist die Studie? Und was besagt sie tatsächlich?

Beweist die niederländische Studie, dass eine Corona-Impfung unser Immunsystems schwächt?

Nein. Paradoxerweise wurde die von den Impfskeptikern zitierte Studie ausgerechnet dafür durchgeführt, um zu zeigen, ob und wie wirksam der BioNTech/Pfizer-Impfstoff bei neueren Varianten von SARS-CoV-2 ist. Als Ergebnis wurde die Wirksamkeit des genannten Impfstoffs nachgewiesen, bestätigt einer der Studienautoren, Mihai Netea von der Radboud-Universität Nijmegen, gegenüber der DW: Die Unterstellung, die Studie liefere den Beleg, dass die COVID-19-Impfung unser Immunsystem abschwächt, ist laut Netea falsch. Im DW-Gespräch betont er: "Wir wollten wissen, was die immunologischen Effekte neuer Impfstoffe sind. Es ist wichtig, weil diese Impfstoffe uns noch lange begleiten werden. Ich denke, man sollte deren Auswirkungen breit erforschen. Und es ist sehr unglücklich, dass einige Menschen es in eine bestimmte Richtung interpretieren, die gar nicht gemeint wurde".

Im Rahmen der Studie wurden bei einer kleinen Gruppe der Geimpften (16 Probanden) zu verschiedenen Zeitpunkten die Entzündungsreaktionen der angeborenen Immunität genau untersucht. Tatsächlich haben die Wissenschaftler festgestellt, dass der BioNTech/Pfizer-Impfstoff neben der erworbenen Immunität auch die angeborene Immunabwehr beeinflusste, was bei den Impfungen an sich kein Novum und kein Problem darstellt, aber dazu später mehr.

Zusätzlich zu SARS-CoV-2 hat man die angeborenen Immunzellen mit verschiedenen weiteren Erregern stimuliert (Bestandteilen von Viren, Pilzen, Bakterien). Die Immunantworten darauf waren leicht geringer oder leicht stärker als sonst ausgefallen - je nach Stimulus und Zeitpunkt der Messung. Mihai Netea versichert: "In unserer Studie haben wir keinerlei klinische Daten, die uns sagen lassen, dass der Impfstoff die Immunabwehr schwächt und die Menschen für die Infektionen und Anderes anfälliger sind". 

Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für ImmunologieBild: Christine Falk

Was die Autoren der Studie entdeckten, sei aus der Sicht der Immunologie wirklich spannend, ordnet die Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Christine Falk die Studienergebnisse für die DW ein. Die Messungen veranschaulichen, wie fein die Regulation des Immunsystems auf der molekularen Ebene funktioniere und dass auch das angeborene Immunsystem trainiert wird. Für die allgemeine Bevölkerung sei die Studie jedoch nicht von Relevanz, so Falk.

Sind Menschen unmittelbar nach der Impfung für andere Krankheiten anfälliger?

Nein, diese Vorstellung ist falsch. Ein Twitter-Nutzer schlussfolgert aus der niederländischen Studie, dass der menschliche Körper Bakterien und andere Viren "jetzt nicht mehr gut wegstecken, weil das Immunsystem verändert wird". Doch dem ist nicht so.

Unser Immunsystem ist so breit aufgestellt, dass es fähig ist, die Abwehr problemlos an mehreren Fronten zu leisten, auch unmittelbar nach der COVID-19-Impfung, erklärt Immunologin Christine Falk. "Sie können sich vorstellen, wir haben eine Armee von T-Zellen und B-Zellen im Körper, und vielleicht zehn von einer ganzen Armee beschäftigen sich jetzt gerade mit dem Spike und die ganze andere Armee steht nach wie vor parat, wenn jetzt irgendwas anderes angeflogen kommt", erläutert Falk. "Das heißt, man muss sich überhaupt keine Gedanken machen, dass man in dieser Zeit weniger immunkompetent ist". Dies zeigten bisherige Daten.

Die deutsche Immunologin sieht auch keinen Zusammenhang zwischen der Corona-Impfung und der angeblich steigenden Anfälligkeit für Herpesinfektionen (z. B. Gürtelrose). Solche Vermutung finden sich nämlich in den Kommentaren unter dem Tweet über die niederländische Studie:"…kann es sein, dass diese Veränderung des Immunsystems dazu führt, dass der Körper 10-14 Tage nach der zweiten Impfung anfälliger für Herpes Zoster (Gürtelrose) ist? Mein Arzt meinte, dass ich in seiner Praxis bei weitem kein Einzelfall bin..."

Die Immunologin Falk sieht das anders: "Das mag sein, dass irgendwo die Herpesinfekte irgendwie mehr geworden sind, aber es hat nichts mit der Impfung zu tun. Diesen Zusammenhang herzustellen ist einfach überhaupt nicht das, was in dieser Studie untersucht wurde", betont Christine Falk. 

Sind die Veränderungen im Immunsystem durch die mRNA-Impfstoffe gefährlich?

Für besonders viel Aufregung in den sozialen Netzwerken hat vor allem die Formulierung "eine Umprogrammierung der angeborenen Immunantworten" gesorgt, die in der oben erwähnten Teletext-Meldung benutzt wurde.

Was sich wie eine unumkehrbare Manipulation am menschlichen Immunsystem anhört, ist in Wirklichkeit eine synonyme Bezeichnung für "trainierte Immunität" oder auch "angeborene Immuntoleranz". Dies wird auch im Text der Studie deutlich erklärt: "Bestimmte Impfstoffe (…) induzieren neben ihrer Wirkung auf das spezifische (adaptive) Immungedächtnis auch eine langfristige funktionelle Umprogrammierung von Zellen des angeborenen Immunsystems (…). Dieser biologische Prozess wird auch als trainierte Immunität bezeichnet."

Christine Falk unterstreicht dies: "Alle Impfstoffe haben auch eine Auswirkung auf das angeborene Immunsystem. Das ist nicht nur speziell bei den mRNA-Impfstoffen oder für SARS-CoV-2 so, sondern das ist immer so." Es sei falsch, die "Umprogrammierung" der angeborenen Immunantworten mit einer Abschwächung der gesamten Immunabwehr gleichzusetzen, betonen sowohl Studienautor Mihai Netea als auch Immunologin Christine Falk. 

Die angeblich vom Epidemiologen und Publizisten Dr. Alexander Kekulé in einem MDR-Podcast benutzte Formulierung "Durch die Impfung wird die Abwehr gegen andere Viren gebremst" bewertet die Immunologin Christine Falk als Fehlinterpretation und schlichtweg falsch. "Das macht keinen Sinn".

Und Alexander Kekulé selbst stellt auf DW-Anfrage klar: "Einen Hinweis auf eine Schwächung des Immunsystems durch die Impfung kann man aus meinem Podcast nun wirklich nicht herauslesen, die mRNA-Impfstoffe machen eher eine Überaktivierung der angeborenen Immunantwort. Der Satz aus dem Teletext stammt nicht von mir", schrieb Kekulé der DW. 

Tatsächlich hat Kekulé die niederländische Studie in der Folge 186 seinen Podcasts kommentiert. Der in der Teletext-Meldung zitierte Satz kommt in der Textversion des Podcasts aber nicht vor. Der Epidemiologe erwähnt die geringere Immunantwort auf die Viren und stärkere Immunantwort auf die Pilze und verwendet dabei diese Formulierung: "Ich impfe gegen SARS-CoV-2. Dann gibt es natürlich eine Aktivierung der Antwort gegen dieses neue Virus. Aber parallel wird die Antwort gegen andere Viren z.B. gebremst. Also, es ist sozusagen eine Umleitung der Aktivität auf das SARS-CoV-2, und gegen andere Viren ist man dann sozusagen weniger gut immun." Zumindest aus der niederländischen Studie kann eine derartige Schlussfolgerung nicht gezogen werden. Und Kekulé unterstreicht: "Man braucht sich im Zeitraum der Impfung keine Sorgen zu machen, durch andere Infektionen besonders gefährdet zu sein".

Verändert die Impfung unser Immunsystem langfristig?

Nein. Die in der niederländischen Studie beobachteten Anpassungen der angeborenen Immunantworten auf unspezifische Stimuli nach der BioNTech-Impfung sind ein kurzfristiger Effekt, betont Mihai Netea. Darauf deuten auch die Erkenntnisse von Christine Falk. Bereits zwei Wochen nach der zweiten Impfung gegen COVID-19 sei eine Rückkehr des Immunsystems zum Normalzustand zu beobachten. Gleichzeitig könne man feststellen, dass sich die gewünschten Antikörper gebildet haben - eine Art Gedächtnis für die Immunabwehr. "Das ist wie eine Kaskade, die dann wieder auf Normalzustand kommt. Und alles, was zurückbleibt, sind diese Superantikörper, die wir dann haben und die uns langfristig schützen". 

Gefährlich dagegen ist aus Sicht der Immunologin die Veränderung des Immunsystems im Fall einer Erkrankung: "Wir haben uns jetzt 100 Patienten angeschaut. Alle haben nach wie vor eine Verschiebung ihrer Immunzellen im Blut. Und das deutet darauf hin, dass dieses Virus auch bei den leichten Fällen das Immunsystem ziemlich durcheinanderbringt. Es kämpft da ganz schön, auch bei den leichten Fällen. Und diese Veränderungen, die sind auch nach Monaten noch zu sehen. Das macht mir viel mehr Sorge", warnt Christine Falk.

Dieser Artikel wurde zuerst am 31. August veröffentlicht und zuletzt am 06. September 2021 aktualisiert. 

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