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Gesellschaft

Faktencheck: Nein, "Pizzagate" ist nicht real

9. Dezember 2023

"Pizzagate" trendet wieder verstärkt auf Social Media. Denn Elon Musk hat die jahrealte Verschwörungserzählung über einen angeblichen Kinderpornoring neu befeuert. Wir haben drei Behauptungen zu "Pizzagate" überprüft.

Pizza Salami auf einem Teller (Zoonar/picture alliance)
Angebliche Geheimsprache: Hinter den Begriffen "Pizza", "Käse" und "Sauce" vermuten Verschwörungstheoretiker einen KinderpornoringBild: Zoonar/picture alliance

Was ist "Pizzagate"?

"Pizzagate" ist ein seit 2016 zirkulierender Verschwörungsmythos um einen angeblichen Kindersexring in einer Pizzeria. Immer wieder gibt es in diesem Kontext Unterstellungen, das Umfeld der US-Demokratin Hillary Clinton sei in dunkle Machenschaften verstrickt. Der Mythos dient zudem QAnon, einer weiteren Verschwörungserzählung, als Grundlage für weitere unbelegte Narrative.

Die Pizzeria soll sich in der US-Hauptstadt Washington D.C. befinden. Der dort angeblich befindliche Kindersexring wird laut Pizzagate- Anhängern von der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und Außenministerin Hillary Clinton und ihrem einstigen Wahlkampfmanager John Podesta geführt. Die Erzählung wurde während des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2016 gestartet und zielte auf die Diskreditierung Clintons.

Die Gerüchte brachten im Dezember 2016 sogar einen Mann namens Edgar Maddison Welch dazu, die Pizzeria "Comet Ping Pong" zu stürmen und um sich zu schießen - er wollte die angeblichen minderjährigen Sexsklaven befreien. Da der damals 28-Jährige dort aber nichts vorfand, ließ er sich nach einer knappen Stunde von der Polizei verhaften. Der Mann verletzte glücklicherweise niemanden, er wurde später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Wurde "Pizzagate" entlarvt von jemandem, der selbst Kinderpornos konsumierte?

Behauptung: Elon Musk, der das soziale Netzwerk X vor gut einem Jahr gekauft hat, postete Ende November dort ein Meme, das "Pizzagate" wieder neues Leben einhauchte. Demnach wurde ein Experte, der den Verschwörungsmythos entlarvt haben wollte, selbst wegen des Besitzes von Bildern, die sexuellen Kindesmissbrauch zeigen, inhaftiert.

Musks Kommentar über dem Meme lautet "Das ist zumindest ein wenig verdächtig". Mit einem Bild in den Kommentaren deutet der Tech-Milliardär an, bei dem Experten, der selbst "wegen Kinderpornographie ins Gefängnis gegangen" ist, handele es sich um den ehemaligen ABC-Journalisten James Gordon Meek. Mittlerweile hat Musk seinen Post gelöscht, aber viele Nutzende haben die Behauptung reproduziert.

Bild: X/@elonmusk

DW-Faktencheck: Falsch.

Der Journalist James Gordon Meek wurde tatsächlich kürzlich wegen des Transports und Besitzes von kinderpornografischem Material zu einer Haftstrafe verurteilt. Mit "Pizzagate" hatte der Journalist jedoch nichts zu tun. Die falsche Verbindung stammt von einer laut übereinstimmenden Medienberichtengefälschten Schlagzeile der New York Post, die seit Monaten auf Social Media zirkuliert. Darin heißt es: "Preisgekrönter ABC-Journalist, der Pizzagate 'entlarvt' hat, bekennt sich in schrecklichem Kinderporno-Fall schuldig". 

Im einzigen zu Meeks Fall auf X auffindbaren Post vom Account der Onlinezeitung selbst ist von Pizzagate nicht die Rede, genauso wenig im dazugehörigen Onlineartikel. Auch in anderweitiger Berichterstattung oder auf den Seiten von ABC lässt sich keine Verbindung des Journalisten zu Pizzagate finden. 

Ist "Pizzagate" nun widerlegt oder nicht?

Behauptung: "Pizzagate ist wahr, es wurde niemals widerlegt", so ein kürzlicher Post auf X, andere Postings dort oder auch Videos auf Tiktok klingen ähnlich. Dass der angebliche "Pizzagate"-Debunker Meek selbst pädophil sei, dient Vielen als ein weiterer Hinweis. Das "Netzwerk von hochrangigen Eliten, die in Tod, Folter, Kannibalismus und Kindesmissbrauch verwickelt sind", gebe es wirklich, glauben sie.

DW-Faktencheck: Irreführend.

Unter Verschwörungsnarrativen und -mythen sind einige recht klar widerlegbar. So ist es laut Medizinern nicht möglich, dass mit COVID-Impfstoffen magnetische Mikrochips in den Körper gelangen - diese Erzählung hatte sich während der Corona-Pandemie verbreitet. Andere Verschwörungsmythen mögen zwar höchst unplausibel und unwahrscheinlich sein - aber sie zu 100 Prozent zu widerlegen, ist kaum möglich. Dazu gehört auch "Pizzagate". 

Es gibt aber immerhin sehr viele Hinweise, dass die "Pizzagate"-Behauptungen nicht stimmen - und nichts, was das Gegenteil beweist. Alle Gegebenheiten, die Anhängerinnen und Anhängern des Verschwörungsmythos als Beweise gelten, sind nur wilde Spekulationen. 

Die sagenumwobene Pizzeria "Comet Ping Pong" in Washington, D.C.Bild: Jose Luis Magana/AP Photo/picture alliance

Diese setzten 2016 damit ein, dass der Besitzer der Pizzeria "Comet Ping Pong", James Alefantis, E-Mails mit John Podesta austauschte, damals im US-Präsidentschaftswahlkampf Wahlkampfmanager von Hillary Clinton. Podestas Mails wurden geleakt; Internetnutzende meinten daraufhin, darin Codewörter zu erkennen, etwa "Pizza" für "Mädchen" oder "Sauce" für "Orgie". 

Zwar sei bekannt, dass in einschlägigen Internetforen manchmal das Wort "Cheese Pizza" als Codewort für "Kinderpornographie" benutzt wird, erklärt US-Kriminologe Paul Bleakley von der University of New Haven im DW-Gespräch. Deshalb aus einer E-Mail mit alltäglichen gastronomischen Begriffen eine Verbindung zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zu konstruieren, scheint jedoch extrem weit hergeholt. 

Zentrale Annahmen von Pizzagate stimmen nicht

Doch genau solch eine Denkweise sei für Anhänger von Verschwörungsmythen typisch, sagt Claus Oberhauser, Leiter des Instituts für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Forschung und Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Tirol. "Verschwörungsgläubige nehmen stets an, dass nichts ist, wie es scheint, und es keine Zufälle gibt. Sie sind überzeugt, es gebe einen großen Plan der geheimen Eliten, den diese natürlich stets verbergen."

Damit hängt laut dem Experten für Verschwörungsmythen auch eine Art Detektiv- und Überlegenheitsgefühl zusammen. "Was viele Leute so reizt, ist auch dieses spielerische Element beim Lüften all der angeblichen Geheimnisse. Sie haben das Gefühl, der Mehrheitsgesellschaft einen Schritt voraus zu sein."

Festnahme von Edgar Maddison Welch am 4. Dezember 2016Bild: Sathi Soma/AP Photo/picture alliance

Dass zentrale Teile der "Pizzagate"-Erzählung nicht stimmen können, zeigt die Tatsache, dass der bewaffnete Edgar Maddison Welch, der Ende 2016 die Pizzeria stürmte, dort nichts vorfand. Er war aus North Carolina angereist, in dem Glauben, in dem Restaurant minderjährige Sexsklaven vorzufinden, die er befreien könne. Aber: Keine Kinder, keine Verstecke, keine Tunnel. "Die Pizzeria hat nicht einmal einen Keller, den Ort, wo sich ja angeblich alles abspielen sollte", so Wissenschaftler Bleakley.

Verschwörungsmythen als Coping-Strategie

Das perfide an Verschwörungserzählungen ist oftmals, dass sie an Realem andocken. In Bezug auf Pizzagate erklärt Claus Oberhauser: "Das Phänomen Kinderpornographie gibt es ja, und auch die Verwicklung prominenter Persönlichkeiten wie etwa Jeffrey Epstein in den Missbrauch von Minderjährigen." Mythen auf Basis realer Gegebenheiten oder Geschehnisse (wie etwa auch 9/11, die Corona-Pandemie,…) zu spinnen, mache für manche Menschen die unübersichtliche Welt ein Stück weit verständlicher. 

Insgesamt ist es natürlich theoretisch möglich, dass in den USA Kinderhandel-Netzwerke mit prominenter Beteiligung existieren. Der Pizzagate-Mythos, also der Fokus auf demokratische Politiker rund um Hillary Clinton und auf die Pizzeria "Comet Ping Pong", entbehrt jedoch jeglicher glaubwürdiger Anhaltspunkte.

In die Hände spielte der angebliche Skandal damals Clintons Gegner im US-Präsidentschaftswahlkampf, Donald Trump. Der Sohn von Trumps damaligem Sicherheitsberater Michael Flynn verbreitete 2016 die Gerüchte maßgeblich in den sozialen Netzwerken weiter - dafür wurde er aus Trumps Übergangsteam entlassen. Auch Michael Flynn selbst setzte damals einen Post zu Pizzagate ab. 

Ist die Washington Post befangen und will Elon Musk erpressen?

Behauptung: In einem Hundertausende Male gesehenen Post auf X heißt es, die "Washington Post", für die John Podesta arbeite, verlasse Twitter nach Elon Musks Pizzagate-Äußerungen. Andere behaupten, die US-Zeitung sowie andere Unternehmen würden keine Anzeigen mehr auf der Plattform schalten, um X "zu erpressen". Was davon stimmt?

DW-Faktencheck: Irreführend.

Weniger Faktenchecks, mehr Desinformation

01:22

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Seitdem Elon Musk X, ehemals Twitter, übernommen hat, hat sich einiges auf der Plattform geändert: Abgesehen vom neuen Namen und Entlassungen von Mitarbeitern gibt es vor allem weniger Moderation und mehr Fake News und Diskriminierung. Doch Musks Verständnis von "mehr Meinungsfreiheit" teilen nicht alle und zahlreiche Unternehmen und Akteure haben X deshalb mittlerweile den Rücken zugewandt.

Dazu gehört nach Musks "Pizzagate"-Post auch die Washington Post: Zwar bespielt die renommierte Zeitung weiterhin ihren Account bei X , Werbeanzeigen hat sie jedoch pausiert. Das bestätigt die Washington Post der DW auf Anfrage per E-Mail. Der Politikberater Podesta, der ja im Verschwörungsmythos "Pizzagate" eine zentrale Rolle spielt, ist tatsächlich als Kolumnist für die Zeitung tätig.

Das Vorgehen der Washington Post nun als "Erpressung" auszulegen ist eine recht einseitige Interpretation - keine Werbung auf einer Plattform zu schalten, die man nicht finanziell unterstützen will oder mit der man nicht in Verbindung gebracht werden möchte, ist ein legitimes Recht der Washington Post und auch anderer Unternehmen, die dies getan haben. 

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