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Politik

Setzt Russland in der Ukraine "Butterfly Mines" ein?

Wulf Wilde
12. März 2022

"Kinderkiller" - so werden sie auch genannt: "Butterfly Mines" sehen aus wie Spielzeuge und sind daher vor allem für Kinder gefährlich. Angeblich soll Russland sie in der Ukraine einsetzen. Welche Beweise gibt es?

Hammelburg | Close-Up einer Butterfly-Mine - Sicherheitskurs für Krisengebiete
Eine PFM-1-Mine - das "Y" im Flügel signalisiert, dass es sich um eine Übungsmine handeltBild: picture-alliance/ dpa

Der Vorwurf ist schwerwiegend: Laut verschiedenen Medienberichten und Social-Media-Posts wurden in den mehreren umkämpften Regionen der Ukraine "Butterfly Mines", "Schmetterlingsminen", gefunden. Die kleinen, international geächteten Antipersonenminen sollen von der russischen Armee stammen. Sie gelten als besonders heimtückische Waffe, die sich vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Ihr Einsatz wäre "Terror gegen die Zivilbevölkerung" so die Einschätzung des Militärexperten von der Universität der Bundeswehr in München, Carlo Masala, in seinem Podcast mit dem Magazin "Stern".

Wir sind der Frage nachgegangen, ob diese "Butterfly Mines" durch Russland in der Ukraine zum Einsatz gekommen sind. Bis jetzt gibt es keinen Nachweis dafür. Die Hinweise, die gefunden wurden, sind nicht aus der Ukraine, und stark veraltet.

Wer berichtete über den Einsatz von "Butterfly Mines" in der Ukraine?

Erstmals berichteten am 26. Februar 2022 mehrere Nachrichten-Websites über den Einsatz von "Butterfly Mines" in der Ukraine, unter anderem die "Ukrayinska Pravda", "Polish News" und "Perild". Zeitgleich tauchten auch Posts zu dem Thema bei Twitter auf, die meisten verweisen oder verlinken auf die oben genannten Medienberichte. In diesen wird als Quelle ein Facebook-Post der ukrainischen Generalstaatsanwältin Irina Venediktova vom gleichen Tag genannt.

Venediktova warnt darin unter Berufung auf das ukrainische Militär vor dem Einsatz von solchen Antipersonenminen in der Region Charkiw: „Eine Nachricht aus Kharkiw!!! Jetzt sofort!!! Achtung – 'Petal'‘!!." Außerdem schreibt sie: "Kassettenbomben mit 'Lepestok'-Minen werden abgeworfen." Laut "Polnish News" habe der Generalstab der Ukrainischen Armee den Fund solcher Minnen bestätigt.

In den folgenden Tagen griffen weitere Medien die Meldung auf, etwa "Euromaidan Press" am 28. Februar.  Auch dieser Bericht bezieht sich auf Venediktova und den ukrainischen Generalstab, neue oder über die ersten Berichte hinausgehende Informationen werden nicht genannt. In all diesen Artikeln und Social-Media-Posts werden immer wieder die gleichen Fotos benutzt.

In der zweiten Märzwoche tauchten dann zudem Meldungen über den Einsatz von "Butterfly Mines" in den Gebieten der umkämpften Städte Sumy und Mariupol auf. Unter anderem thematisierte dies Politikwissenschaftler Masala von Universität der Bundeswehr in München in seinem "Stern"-Podcast am 9. März 22. Am 10. März berichtete auch das US-Magazin  "Forbes"auf seiner Internetseite vom Einsatz von PFM-1-Minen in der Region Mariupol. Sie sollen eingesetzt worden sein, um die Evakuierungsrouten aus der belagerten Stadt heraus zu blockieren, schreibt "Forbes" unter Berufung auf das Internationale Rote Kreuz (IKRK).

Wie sind Berichte zum Einsatz von "Butterfly Mines" in der Ukraine zu bewerten?

Festhalten lässt sich: Alle Medienberichte und Social-Media-Posts beziehen sich letztlich auf eine einzige Quelle: Den Facebook-Post der ukrainischen Generalstaatsanwältin Irina Venediktova vom 26. Februar. Viele der Meldung und Twitter-Einträge nutzen oft auch immer wieder das Foto, das auch Venediktova verwendet hat. Dieses Foto ist allerdings nicht aktuell, sondern mindestens sechs Jahre alt, wie eine Rückwärtssuche bei Google zeigt. Unter anderem wurde es von der ukrainischen Nachrichten-Website "novynarnia.com" im Jahr 2016 in einem Artikel verwendet.

Aktuelle Fotos oder Videoaufnahmen von PFM-1-Minen aus den Kriegsgebiet sind bislang nicht aufgetaucht, auch nicht in den Sozialen Medien. Das bestätigte das Recherchenetzwerk Bellingcat auf Anfrage der Deutschen Welle. Im Gegensatz dazu ist etwa der Einsatz von Streubomben etwa in Charkiw durch Posts bei Twitter oder Telegram mehrfach dokumentiert. Ähnlich Bildbelege fehlen im Bezug auf die "Butterfly Mines". Auch Sicherheitsexperte Masala teilte auf Nachfrage der DW mit, dass ihm bislang keine entsprechenden Beweise vorlägen. In seinem Podcast habe er sich daher nur sehr vorsichtig, im Konjunktiv und mit Verweis auf die entsprechenden Berichte geäußert.

Ähnlich verhält es sich mit dem "Forbes"-Artikel vom 9. März. Dieser verlinkt in seinem Bericht über verminte Evakuierungsroute aus der Stadt Mariupol zunächst auf den Beitrag der "Ukrayinska Pravda" vom 26. Februar, in dem es ja um den Einsatz von "Butterfly Mines" in der Region Charkiv geht. Dass in dem Gebiet von Mariupol PFM-1-Minen eingesetzt wurden, wie vom "Forbes"-Autor unter Berufung auf ein BBC-Interview mit IKRK-Direktor Dominik Stillhart behauptet wird, geht aus dessen Aussagen gar nicht hervor. Stillhart spricht lediglich davon, dass ein Konvoi des Roten Kreuzes durch Minen auf der Straße zur Umkehr gezwungen wurde.

Ein IKRK-Sprecher wollte auf Anfrage der Deutschen Welle keine Aussagen zur Spezifikation der vom Konvoi entdeckten Minen machen. "Alle Besonderheiten in Bezug auf den Konflikt werden von der Seite des IKRK vertraulich mit den Konfliktparteien besprochen", so der Sprecher.

Warum sind „butterfly mines" international geächtet?

"Butterfly Mines" hat sich als Bezeichnung für eine bestimmte Art von Antipersoneneminen durchgesetzt, die zumeist als Streumunition verschossen werden. Der Name ist von der Form der Mine abgeleitet, die an einen Schmetterling erinnert, und dazu dient ihren Fall beim Abwurf abzubremsen und die Ausbreitung auf einem möglichst großen Gebiet zu ermöglichen. "Butterfly mines" können mittels spezieller Metallbehälter von Flugzeugen, Hubschrauber sowie durch Artillerieraketen oder Mörsergranaten in großer Stückzahl abgeworfen werden.

Bekannt sind vor allem zwei Modelle: Die US-amerikanische Mine BLU-43/B, auch "Dragontooth" genannt, die die US-Army zuletzt im Vietnamkrieg verwendete und die PFM-1, ein fast exakter Nachbau der BLU-43/B aus sowjetischer Produktion, die die Rote Armee vor allem in Afghanistan großflächig eingesetzt hat. Die PFM-1 soll nun auch in der Ukraine zum Einsatz kommen. Die Mine besteht vornehmlich aus Plastik, ist rund zwölf Zentimeter lang, etwa sechs Zentimeter breit und zumeist dunkelgrün, weshalb sie auch "Green Parrot", "Grüner Papagei", genannt wird. In Russland und der Ukraine ist sie auch als "Lepestok" oder "Petal", "Blütenblatt" bekannt.

Als heimtückisch gelten "Butterfly mines" weil sie aufgrund ihrer Beschaffenheit und Form nicht sofort als Waffe oder Sprengstoff erkannt werden, vielmehr leicht mit Spielzeug verwechselt werden können. Hinzu kommt, dass sie nicht unbedingt beim ersten Kontakt detonieren, da sie mit einem kumulativen Druckzünder ausgestattet sind. Dieser löst nicht nur aus, wenn er einen einmaligen Druck in bestimmter Stärker registriert, sondern auch wenn durch mehrmaligen Druck der für die Detonation nötige Gesamtdruck erreicht wird.

In Afghanistan kamen durch die PFM-1 viele Zivilisten ums Leben, vor allem Kinder starben oder wurden verstümmelt, weil sie die Minen für Spielzeug hielten. Unter anderem vor diesem Hintergrund kam es 1997 zur sogenannten Ottawa-Konvention. Mit diesem "Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung" wurden Antipersonen-Streulandminen wie die PFM-1 international geächtet. Bislang haben 164 Staaten den völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet, Russland allerdings nicht. Die Ukraine unterzeichnete 1999 und 2006 trat die Mitgliedschaft in Kraft. 

Militärtaktisch und -strategisch haben "Butterfly Mines" keine "Mehrwert", wie Militärexperte Masala in seinem Podcast betont: "Sie richten sich gezielt gegen Zivilisten." Insofern verstößt ihr Einsatz auch gegen die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung.

Keine belastbaren Beweise

Abschließend lässt sich somit festhalten: Es liegen bislang keine belastbaren Beweise für den Einsatz von "Butterfly mines" in der Ukraine vor. Ihre Verwendung durch die russische Armee kann zwar nicht ausgeschlossen werden, zumal aus anderen Konflikten bekannt ist, dass sie beziehungsweise ihr Vorgänger, die Sowjet-Armee, keine Skrupel hatte, diese Antipersoneneminen einzusetzen. Für ihre Verwendung im aktuellen Konflikt gibt es allerdings bisher nur eine Quelle, die ukrainische Generalstaatsanwältin, und die ist eine der beiden Konfliktparteien zuzurechnen.

Solange es für die Vorwurf keine Bestätigung von unabhängiger Seite gibt oder aktuelle Bildnachweise auftauchen, ist keine abschließende Bewertung möglich. Gerade das Fehlen von Bildnachweisen in Sozialen Medien macht aber zumindest skeptisch - zumal andere Vorkommnisse in diesem Krieg, etwa der Streubombeneinsatz, dort hinlänglich belegt werden.

Der Artikel wurde bearbeitet. In der früher Fassung wurde fälschlicherweise behauptet, die Ukraine habe den Vertrag zum Verbot von Antipersoneneminen nicht unterzeichnet. Wir haben das korrigiert. 

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