Faktencheck: Haben Transathletinnen einen unfairen Vorteil?
27. März 2025
Die Debatte um Transgender-Athletinnen im Leistungssport wird seit Jahren intensiv geführt. In den USA hat Präsident Donald Trump kürzlich ein Dekret zum nationalen Ausschluss von Transfrauen vom Frauensport unterschrieben.
Auch bei den Olympischen Spielen könnten sich mit der neu gewählten IOC-Präsidentin Kirsty Coventry Änderungen anbahnen. Sie hat sich für strengere die Beschränkungen in der Frauenkategorie ausgesprochen.
Viele Verbände haben ihre Teilnahmeregeln bereits verschärft - so darf etwa seitens des Schwimm-Weltverbands World Aquatics seit 2022 niemand mehr an Frauen-Wettkämpfen teilnehmen, der eine männliche Pubertät durchlaufen hat. Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics hat Ende März 2025 sogar beschlossen, genetische Tests zur Bestimmung des Geschlechts einzuführen. Wer an einem Frauenwettkampf antreten will, muss sich dann einem Wangenabstrich und gegebenenfalls weiteren Maßnahmen unterziehen. Die Tests werden von Experten unter anderem aus ethischen Gründen teils kritisiert.
Was sind die Unterschiede bei körperlicher Leistungsfähigkeit?
Männer und Frauen werden in den meisten Sportarten getrennt bewertet. Denn "bei athletischen Wettkämpfen und Sportarten, bei denen es auf Ausdauer, Muskelkraft, Schnelligkeit und Leistung ankommt, sind Männer in der Regel leistungsfähiger als Frauen. Dies liegt an den grundlegenden Unterschieden zwischen den Geschlechtern, die durch ihre Geschlechtschromosomen und die Sexualhormone in der Pubertät, insbesondere Testosteron, bedingt sind", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Wissenschaftlern 2023.
Transfrauen - die bei Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurden, sich aber als weiblich identifizieren - verfügen auch über diese Vorteile. Wenn sie sich im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen einer Hormontherapie unterziehen, verringern sich die Unterschiede zu Cisgender-Frauen. Aber auch dann bleiben noch Vorteile.
Übrigens wird in der öffentlichen Debatte häufig Transidentität mit Intersexualität verwechselt. Aber intersexuelle Menschen haben - anders als Transpersonen - von Geburt an sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale.
In einer Studie von 2024, veröffentlicht im British Journal of Sports Medicine, war die absolute Handgriffstärke der 23 teilnehmenden Transathletinnen (nach mindestens einem Jahr Hormontherapie) niedriger als die der 19 teilnehmenden Cis-Männer, aber höher als der 21 teilnehmenden Cis-Frauen. Die Handgriffstärke gilt als Indikator für allgemeine Muskelkraft.
Auch bei Parametern wie absoluter maximaler Sauerstoffaufnahme und dem Fettfreie-Masse-Index waren die Transfrauen im Vorteil. In einigen Aspekten schnitten sie allerdings schlechter als die Cis-Frauen ab, etwa beim Vertikalsprung mit Ausholen. Laut den Studienautorinnen zeigt das, wie komplex die Physiologie von Transathletinnen ist; sie warnen vor einem vorsorglichen Ausschluss.
Auch Joanna Harper, Medizinphysikerin der britischen Loughborough University, erklärt: "Transfrauen sind größer und in einem absoluten Sinne stärker als Cis-Frauen, aber nach einer Hormontherapie bewegen sie ihre Körper mit einer reduzierten aeroben Kapazität sowie reduzierter Muskelmasse." Das könne zu Nachteilen etwa bei Schnelligkeit, Erholung und Ausdauer führen.
Die Expertin weist zudem darauf hin, dass Transpersonen aufgrund von Vorurteilen und Diskriminierung oft mit schlechterer psychischer Gesundheit zu kämpfen haben. Das sei als Komponente der sportlichen Leistung nicht zu unterschätzen.
Größerer Effekt nach zwei Jahren Hormontherapie?
Eine Studie von 2020 von Timothy Roberts und Kollegen der University of Missouri-Kansas City hat US-Militärangehörige untersucht, die sich geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterzogen. Dabei schnitten Transfrauen nach einem Jahr Hormontherapie sportlich besser ab als Cis-Frauen. Nach zwei Jahren glich sich die Leistungsfähigkeit weitgehend an - laut Studienautoren ein Hinweis, dass das von manchen Sportverbänden vorgeschriebene eine Jahr Hormontherapie als Teilnahmevoraussetzung zu kurz ist.
Alun Williams und weitere Forschende der British Association of Sport and Exercise Sciences kamen 2021 zu dem Schluss, dass laut vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Hormontherapie auch nach zwei Jahren nur einen Bruchteil des männlichen Vorteils eliminiere. Insgesamt unterscheiden sich die Ergebnisse also durchaus.
Welche Rolle spielt die Pubertät?
Vor der Pubertät sind Jungen und Mädchen physiologisch deutlich gleichwertiger, wenn es um sportliche Leistung geht. Die Unterschiede werden vor allem deutlich, wenn sich bei Jungen, etwa ab elf Jahren, das Testosteronlevel vervielfacht.
Jedoch legen einige Studien aus jüngeren Jahren nahe, dass die Unterschiede vor der Pubertät größer sind als bislang angenommen. Sportwissenschaftler Gregory Brown von der University of Nebraska hat mit Forschenden der University of Essex in Großbritannien in einer 2024 veröffentlichten Studie die Leistung von 8- und unter 8-Jährigen sowie 9- und 10-Jährigen in den Laufdisziplinen 100 m, 200 m, 400 m, 800 m und 1500 m sowie im Kugelstoßen, Speerwurf und Weitsprung analysiert. "Der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen lag beim Laufen je nach Disziplin zwischen drei und sechs Prozent, beim Weitsprung waren es etwa fünf Prozent, bei den Wurfdisziplinen lag der Unterschied bei 20 bis 30 Prozent, erklärt Brown.
Nach seinen Worten können Unterschiede vor der Pubertät auch mit der sogenannten Minipubertät von Jungen in den ersten Lebensmonaten zu tun haben sowie mit dem Y-Chromosom oder dem SRY-Gen.
Das Y-Chromosom ist eines der beiden Geschlechtschromosomen. Frauen haben in der Regel zwei X-Chromosomen (XX) und Männer ein X- und ein Y-Chromosom (XY). Das Y-Chromosom trägt viele Gene, die mit der männlichen Entwicklung und Fortpflanzung verbunden sind. Das SRY-Gen ist besonders wichtig für die männliche Geschlechtsentwicklung.
Keine männliche Pubertät als Kriterium kommt Ausschluss gleich
Und was sagen diese Ergebnisse über die Frage aus, ob es einen fairen Wettbewerb zwischen Transathletinnen und Cis-Frauen im Sport geben kann?
Für Brown lässt das Feststellen eines kontinuierlichen Vorteils bereits vor der Pubertät noch mehr Zweifel daran aufkommen, ob eine Hormontherapie die körperlichen Vorteile von Transathletinnen ausreichend aufheben und gleiche Ausgangsbedingungen schaffen könnte. "Der männliche Vorteil geht über Hormone und Pubertät hinaus", so der Experte.
Die Ergebnisse ließen auch Zweifel daran aufkommen, dass es ausreichen würde, keine männliche Pubertät gehabt zu haben. Auf diese Vorgabe für die Teilnahme an weiblichen Wettbewerben setzen ja wie gesagt einige Sportverbände wie World Aquatics. Das kommt de facto einem Ausschluss von Transathletinnen gleich, da die allermeisten nicht vor der Pubertät Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung ergreifen. Vielerorts sind Pubertätsblocker und geschlechtsangleichende Maßnahmen vor der Pubertät umstritten und der Zugang eingeschränkt.
Ist der Vorteil von Transfrauen gegenüber Cis-Frauen im Sport nun unfair?
Die Einschätzungen, inwieweit fairer Wettbewerb zwischen Trans- und Cis-Athletinnen möglich ist, gehen auseinander. Aber in einem stimmen Expertinnen und Experten überein: Es gibt großen Bedarf an weiteren Studien über die sportliche Leistungsfähigkeit von Transpersonen im Elitesport.
Harper erklärt - anders als etwa Brown und Williams -, die Wissenschaft lege ihrer Meinung nach nicht nahe, Transfrauen aus weiblichen Wettkämpfen zu verbannen. Eine Hormontherapie mache "sinnvollen Wettbewerb" möglich.
100-prozentige Fairness gebe es im Sport ohnehin nicht, sagt Harper: "Ist es fair für weniger begabte Athleten, sich begabteren stellen zu müssen? Wenn wir Sportarten in Kategorien unterteilen, dann tun wir das mit dem Ziel, zu große biologische Unterschiede zu vermeiden. So haben zum Beispiel große Boxer einen so großen Vorteil gegenüber kleinen Boxern, dass wir in verschiedene Gewichtsklassen unterteilen."
Das Boxbeispiel zeigt: Die Suche nach nicht zu sehr, aber ausreichend differenzierten Wettkampfkategorien kann komplex sein. Der männliche Vorteil spielt auch je nach Sportart eine unterschiedlich große Rolle. Während er im Kraftsport, etwa beim Gewichtheben, für große Unterschiede sorgt, sieht das etwa im Schieß- oder Tanzsport anders aus.
Zu guter Letzt ist die Frage der Fairness auch gegen die der Inklusion abzuwägen. So heißt es auch seitens des IOC: "Jede Person hat das Recht, Sport ohne Diskriminierung und in einer Weise auszuüben, die ihre Gesundheit, Sicherheit und Würde respektiert. Gleichzeitig hängt die Glaubwürdigkeit des Leistungssports [...] von gleichen Wettbewerbsbedingungen ab."
Dieser Artikel wurde erstmals am 24. Juli 2021 veröffentlicht und am 19. März 2025 grundlegend überarbeitet, um die neuesten Diskussionen und Studien über die sportliche Leistungsfähigkeit von Transfrauen zu berücksichtigen. Die letzte Aktualisierung erfolgte nach der Bekanntgabe neuer Regularien von World Athletics.
Mitarbeit: Rayna Breuer