1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Faktencheck: Verschwörungsmythen zum "Pandemievertrag"

Silja Thoms
18. Juni 2023

Kann die WHO in die Souveränität von Staaten eingreifen? Über den "Pandemievertrag" der Weltgesundheitsorganisation gibt es immer wieder falsche Informationen im Netz.

Spritze und Impf-Dose vor dem Logo der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Bild: Artur Widak/NurPhoto/picture alliance

Falls es nochmal eine Pandemie geben sollte, will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einem internationalen Abkommen für eine gerechtere Gesundheitsversorgung in reichen und ärmeren Ländern und für einen besseren Datenaustausch zwischen den Staaten sorgen. In dieser Woche hat ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium der WHO an den Vorschlägen für ein Abkommen zur Pandemievorbereitung getagt. Ziel ist es, bei der 76. Weltgesundheitskonferenz im Mai 2024 ein abschließendes Übereinkommen zu erzielen.  

Noch ist vieles in der Schwebe, doch die Kritik - auch von politischen Vertretern - ist bereits laut. Bisher ist im Februar dieses Jahres nur ein erster Entwurf ("Zero Draft") des Übereinkommens veröffentlicht worden, der anschließend von der WHO diskutiert wurde. Seitdem reißen Kommentare und Posts mit Vorwürfen, aber auch Falschbehauptungen, in den sozialen Medien nicht ab. DW-Faktencheck hat einige dieser Aussagen überprüft. 

Kann die WHO in die Souveränität von Staaten eingreifen? 

Behauptung: Die WHO wolle in die Souveränität von Staaten eingreifen, schreiben mehrere Nutzer in den sozialen Medien. 

DW-Faktencheck: Falsch  

Der Pandemievertrag wird von den 194 Mitgliedstaaten ausgehandelt, die WHO bestimmt aber nicht den Inhalt eines neuen internationalen Übereinkommens. Im Textentwurf des Abkommens wird die Souveränität der Staaten hervorgehoben. Und auch das deutsche Gesundheitsministerium teilte auf Anfrage der DW mit, dass die "final ausgehandelten Regelungen von den souveränen Staaten jeweils ratifiziert werden, um national Rechtswirkung zu entfalten".

"Im aktuellen Entwurf des Pandemievertrags oder -abkommens gibt es einen Grundsatz, der unterstreicht, dass die Staaten ihre Souveränität bei der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion behalten", sagt der Völkerrechtsexperte Pedro Villarreal im Gespräch mit der DW. Der Jurist forscht zu Globalem Gesundheitsrecht und zur Rolle der WHO am Max-Planck-Institut für ausländisches und öffentliches Recht sowie für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Außerdem ist der Werkzeugkasten der WHO, um national einzugreifen, laut Villarreal stark eingeschränkt. Die WHO ist eine internationale Organisation und koordiniert federführend Reaktionen auf Ausbrüche von Infektionskrankheiten.

Der Entwurf des Pandemievertrag bekräftigt die Souveräntität der StaatenBild: Flashpic/picture alliance

Sie koordiniert zum Beispiel die Forschung zu Behandlungsmethoden sowie Impfstoffen und tauscht Informationen mit den Mitgliedstaaten aus. Sie kann Empfehlungen aussprechen und Staaten kritisieren, die sie nicht einhalten. Weitere Maßnahmen verhängen, wie etwa Sanktionen, kann sie jedoch nicht. 

Kann die WHO UN-Truppen entsenden? 

Behauptung: Die WHO entsende UN-Truppen, um ihren Pandemievertrag durchzusetzen. Das schreibt diese Nutzerin bei Twitter. Sie behauptet, dass nationales Militär die Regelungen des Pandemievertrags umsetzen sollen. Sollten sie dies nicht befolgen, werde die UN eigene Truppen einsetzen, um zum Beispiel Menschen zum Impfen zu zwingen. Bis zur Veröffentlichung des Faktenchecks wurde dieser Beitrag bereits über 20.000 mal angezeigt.  

DW-Faktencheck: Falsch  

Auch bei dieser Behauptung würde ein Eingriff in die Souveränität von Staaten vorliegen, die in dem Entwurf des WHO-Abkommens nicht vorgesehen ist. Hinzu kommt, dass den Vereinten Nationen (UN) keine ständigen militärischen Kräfte zur Verfügung stehen. Sie führen ausschließlich Friedensmissionen zur Unterstützung ihrer Mitgliedstaaten durch. Dazu kann der UN-Sicherheitsrat ein Mandat für friedenserhaltende Maßnahmen einrichten und überwachen. Allerdings muss der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten dafür in jedem Einzelfall darum bitten, Truppen bereitzustellen.  

Sollte der UN-Sicherheitsrat einen Beschluss fassen wollen, braucht er außerdem neun von 15 Stimmen der Mitgliedstaaten für eine Mehrheit. Auch die WHO hat keinen Einfluss auf einen solchen Beschluss: "Die WHO ist als Gesundheitsorganisation unter keinen Umständen dazu befugt, Soldaten in ein Land zu entsenden", teilt die Organisation dazu schriftlich mit.  

Viele Möglichkeiten gegen einen Vertragsbruch vorzugehen, habe die Organisation laut Villarreal nicht: "Wenn ein Vertrag gebrochen wird, gibt es die Möglichkeit, ein Streitschlichtungsverfahren einzuleiten. Dies würde jedoch zwischen Staaten erfolgen, nicht durch die WHO selbst." Und er fügt hinzu: "Die WHO kann nicht von sich aus Sanktionen verhängen, das steht auch nicht zur Debatte." 

Kann die WHO Menschen zur Impfung zwingen? 

Behauptung: Die WHO wolle Menschen zwingen, sich impfen zu lassen, schreiben mehrere Nutzer in den sozialen Medien wie Twitter (1,2,3). Einige der Behauptungen sind bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht worden, werden aber immer wieder geteilt und tausendfach geklickt.  

DW-Faktencheck: Falsch  

Im Textentwurf der WHO zum Abkommen zur Pandemievorbereitung steht derzeit nichts zu einer möglichen Impfpflicht. Viel eher geht es um eine gerechte Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten zwischen ärmeren und reicheren Ländern. Denn dies war vor allem während der Corona-Pandemie ein Knackpunkt. Während reichere Länder sehr viel schneller Impfstoffe zur Verfügung stehen hatten, gingen ärmere Länder im globalen Süden leer aus. Und auch in diesen Verhandlungen geht es um die Verteilung: "Je mehr Entwürfe dieses Pandemievertrags wir sehen, desto mehr stellen wir fest, dass die Staaten ihre Zusagen und Verpflichtungen reduzieren oder abschwächen", so Villarreal. Und dies hätte Nachteile für viele Länder. 

Und wie steht die WHO zu einer verpflichtenden Impfung? Während der Corona-Pandemie 2021 hatte die WHO sogar davor gewarnt. Dies sei nur eine Möglichkeit, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft seien. Auch wurde im Zuge der Corona-Pandemie in mehreren Ländern über die Impfpflicht debattiert. In Deutschland hat die Regierung zum Beispiel eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen.  Eine Impfpflicht ist in Deutschland rechtlich aber nur dann möglich, wenn sie auch verhältnismäßig ist.

Rechtlich wäre eine internationale Impfpflicht nicht machbar, glaubt Villarreal. Auch er verweist auf das Problem der Impfstoff-Verteilung: "Selbst wenn dies in Betracht gezogen würde, besteht das Problem darin, dass wir nicht etwas vorschreiben können, was derzeit nicht umsetzbar ist, da Impfungen nicht weltweit verfügbar sind."  

 

Während der Corona-Pandemie hat Deutschland die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossenBild: Pacific Press/picture alliance

Kann die WHO jede Bewegung kontrollieren? 

Behauptung: Die WHO wolle durch digitale Pässe jede Bewegung kontrollieren, schreiben Nutzer auf Telegram und Twitter. Der Tweet von Juni 2023 wurde über 80.000-mal angezeigt.  

DW-Faktencheck: Falsch  

Im Textentwurf der WHO zum Abkommen steht kein Hinweis, dass die Organisation digitale Pässe einrichten will, um jede Bewegung zu kontrollieren. Laut WHO ist sie "weder an einer nationalen digitalen Zertifizierung der persönlichen Gesundheit noch an der Sammlung individueller Daten beteiligt." Welche Daten erhoben werden, obliegt allein den Staaten selbst.

Die WHO sammelt keine individuellen Daten Bild: Yomiuri Shimbun/AP/picture alliance

Mit dem COVID-Zertifikat der Europäischen Union zum Beispiel konnten Menschen während der Corona-Pandemie nachweisen, dass sie geimpft wurden. So wurde es für viele wieder leichter, in andere Länder zu reisen. In dem digitalen Zertifikat wurden Daten zum Impfstoff gespeichert, die Menge der Impf-Dosen und die Krankheit, gegen die geimpft worden ist. Es wurden aber keine weiteren personenbezogenen Daten dauerhaft an einer Stelle gespeichert. 

Laut Tobias Rothmund, Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie der Universität Jena, kommt Skepsis gegenüber der Wissenschaft, transnationalen Organisationen und Regierungen immer wieder vor. "Unsicherheit spielt insofern eine Rolle, als dass die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen den Leuten schwerer fällt." Die Verbreitung solcher Falschinformationen liege oft an politischen Einstellungen oder auch strategischen Motiven. 

Es betrifft dabei aber nicht nur die Weltgesundheitsorganisation. Nach Daten des US-amerikanischen Pew Research Centers aus dem Jahr 2022 ist in den USA auch das allgemeine Vertrauen in die Wissenschaft stark gesunken. Dadurch kursieren immer wieder Falschinformationen zum Thema Gesundheit. Ob es bis 2024 wirklich ein Internationales Abkommen der WHO gibt, ist noch unklar, so Villarreal. Denn zu vielen Fragen gebe es noch keine Einigung.  

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen