Naumowas Antwort auf Schwarzenegger ist falsch
25. März 2022Mehr als 35 Millionen Views. So oft wurde der virale Appell von Arnold Schwarzenegger allein auf Twitter angesehen. Hinzukommen Millionen weitere Aufrufe in anderen Netzwerken, und weltweit berichteten Medien über Schwarzeneggers Forderung an Russland, den "sinnlosen" Krieg in der Ukraine zu beenden. Dass die Ukraine "entnazifiziert" werden müsse, sei falsch, so der österreichisch-amerikanische ehemalige Bodybuilder, Schauspieler und Politiker. Und auch habe nicht die Ukraine den Krieg begonnen, sondern Russland.
Schwarzeneggers sehr persönliche Videobotschaft zielt also direkt auf den Kern des russischen Regierungsnarrativs, wonach die russische "Spezial-Operation" angeblich nur ein Akt der Verteidigung sei (mehr dazu in unserem Faktencheck). Der Clip sorgte auf russischer Seite für viel Empörung.
Nun veröffentlichte der Kreml eine Antwort: Auf dem Kanal des russischen Außenministeriums antwortet die russische Powerlifterin Maryana Naumowa auf Schwarzenegger. Auf Youtube wurde der Clip mehr als eine halbe Million Mal angesehen. Sie verbinde den Sport mit ihrem früheren Idol, sagt Naumowa, sie habe Schwarzenegger vor Jahren bei einem Wettkampf getroffen. Naumowa galt im Nachwuchsbereich des Kraftdreikampfes aus Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben als weltweit beste Athletin. In einem fast siebenminütigen, professionell anmutenden Reaktions-Video legt die Sportlerin ihre eigene Sicht der Dinge auf die Ukraine und den Krieg Russlands gegen das Land dar. Einige ihrer Behauptungen haben wir überprüft:
Ukraine nicht von Neo-Nazis "unterjocht"
Behauptung: Neonazis in der Tradition des ukrainischen "Nazi-Kollaborateurs" Stepan Bandera haben Naumowa zufolge "die Ukraine im Laufe der Jahre vollständig unterjocht".
DW-Faktencheck: Falsch.
Dass die Ukraine von Neonazis und Faschisten gesteuert werde und Russland das Nachbarland entsprechend zu seinem eigenen Wohl und auch aus Selbstverteidigungsgründen "entnazifizieren" müsse, ist ein immer wieder aufgegriffenes Narrativ, mit dem auch Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg auf die Ukraine zu begründen versuchte (mehr dazu im Faktencheck). Doch mit der Realität hat das wenig zu tun: Neonazis sind in der Ukraine eine Randerscheinung, politisch marginal und die Aussage, sie hätten die Ukraine "unterjocht" ist falsch. Zwar existieren nationalistische rechte Parteien im Land, doch sie sind politisch eher unbedeutend. Bei den letzten landesweiten Wahlen 2019 schloss sich der rechte Rand zusammen - konnte aber nur ein Direktmandat erringen und erhielt gerade einmal 2,15 Prozent der Stimmen (die offiziellen Wahlergebnisse sind in englischer Sprache auf der Seite der ukrainischen Wahlkommission derzeit nicht abrufbar. Auf Ukrainisch findet man sie hier). Präsident wurde der jüdische Schauspieler und Komiker Wolodymyr Selenskyj.
Andreas Umland, Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS), erklärt: "Tatsächlich ist die Ukraine, was den Rechtsradikalismus in Europa betrifft, sogar eine Ausnahme im positiven Sinne. In der 30-jährigen Geschichte des Landes hat es lediglich für zwei Jahre eine rechtsradikale Fraktion gegeben - von 2012 bis 2014. Und für einige Monate hat es 2014 einige rechtsradikale Minister gegeben. Davor und danach gab es weder im Parlament noch in der Regierung Rechtsradikale." Zwar kämpft in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol mit dem "Asow"-Regiment der ukrainischen Nationalgarde auch eine Gruppe, das aus Nationalisten und auch aus Rechtsextremisten besteht, was international auch auf Kritik stößt. Ein wichtiger politischer Faktor ist "Asow" in der Ukraine aber nicht.
Und zum "Nazi-Kollaborateur" Stepan Bandera führt Politikwissenschaftler Umland aus: "Bandera ist eine ambivalente Figur der jüngeren ukrainischen Geschichte. Er war ein radikaler Nationalist, der vor allen Dingen für die ukrainische Unabhängigkeit gekämpft hat - sowohl gegen den polnischen Staat, gegen den sowjetischen Staat und auch, das wird häufig vergessen, gegen die deutsche Besatzung."
Zwar arbeitete Bandera im Zweiten Weltkrieg zeitweise mit der deutschen Wehrmacht zusammen, doch später saß er auch selbst im KZ Sachsenhausen ein. Er wurde 1959 von einem KGB-Agenten ermordet. Auch aufgrund dieser Todesumstände ist Bandera vielen Ukrainern heute vor allem als Freiheitskämpfer in Erinnerung. Indes stellen Rechtsradikale - und Russland - Banderas Verbindungen zu Nazi-Deutschland in den Vordergrund.
Falsche Aussage zur Umbenennung von Straßen in der Ukraine
Behauptung: Die "Bandera-Anhänger", die in der Ukraine die Macht übernommen hätten, "zerstören Denkmäler sowjetischer Soldaten und benennen Straßen in ukrainischen Städten nach Nazi-Verbrechern um", so Naumowa.
DW Faktencheck: Irreführend.
Tatsächlich werden in der Ukraine sowjetische Denkmäler demontiert und Straßen umbenannt - als Teil eines 2015 beschlossenen Dekommunisierungsprogramms. Auf diese Weise soll die politische Vergangenheit aufgearbeitet und eine ukrainische National-Identität aufgebaut werden.
Die Dekommunisierung ist aber kein Projekt rechtsradikaler Kräfte, sondern wird von vielen Parteien und auch vielen Bürgern mitgetragen. Umland erklärt sich dies mit den schlimmen Erfahrungen der Ukrainer: "Kommunismus wird in der Ukraine vor allen Dingen mit Stalinismus verbunden und da vor allem mit der Hungersnot Anfang der Dreißiger Jahre. Zwischen zwei und drei Millionen Menschen verhungerten damals, die meisten ukrainischen Beobachter sprechen von Völkermord."
Ebenfalls nicht korrekt ist, dass die Straßen allesamt nach "Nazi-Verbrechern" umbenannt werden. Sondern nach ukrainischen Freiheitskämpfern - die unter Umständen wie Stepan Bandera - zeitweise mit dem Dritten Reich kollaboriert haben. Umland findet dies durchaus "in gewisser Hinsicht problematisch" und spricht von einem "selektiven Geschichtsbild". "Aber sie sind gestorben im Kampf für die ukrainische Unabhängigkeit und werden aus diesem Grunde teilweise durch diese Umbenennungen geehrt."
Leugnung der Angriffe auf die Zivilbevölkerung
Behauptung: Maryana Naumowa sagt: "Russlands militärische Sonderoperation hat nicht das Ziel, das ukrainische Volk zu zerstören." Die Operation ziele stattdessen auf "die Neonazis", die die Ukraine "zu einer Gefahr für die Nachbarländer" machen würden.
DW Faktencheck: Falsch.
Russland greift seit Kriegsbeginn wiederholt Wohngebiete an, wodurch bereits zahlreiche Zivilisten getötet wurden. Unter anderem in Kiew, Mariupol oder Charkiw. Und das sagen nicht nur ukrainische Quellen, sondern auch unabhängige Beobachter: Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zählte zuletzt 977 Todesopfer in der Zivilbevölkerung sowie mehr als 1500 Verletzte, die meisten "durch den Einsatz von Explosivwaffen mit großer Reichweite verursacht". Es wird davon ausgegangen, dass die tatsächlichen Opferzahlen deutlich höher sind. Fälle von Kriegsverbrechen und gezielten Angriffen auf die Zivilbevölkerung der Ukraine werden unter anderem vom Recherchenetzwerk Bellingcat oder den Menschenrechts-Beobachtern von Truth Hound dokumentiert.
Die gezielten Angriffe auf zivile Ziele wie Wohnhäuser und Krankenhäuser werden zwar von russischer Seite bestritten - die jüngste UN-Resolution dagegen fordert "eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten der Russischen Föderation gegen die Ukraine, insbesondere aller Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte".
Dass Neonazis die Macht in der Ukraine übernommen haben sollen, entbehrt - wie oben bereits dargelegt - jeglicher Grundlage. Entsprechend geht von angeblich "faschistischen" Staatslenkern der Ukraine auch keine Gefahr für die Nachbarländer inklusive Russland aus. Es sind keine Drohungen der Ukraine gegenüber Nachbarländern und deren territorialer Integrität bekannt. Die von Russlands Regierung verbreitete Erzählung vom Faschismus und Nazismus in postsowjetischen Ländern ist indes nichts Neues.
"Bereits 1992 wurde das Eingreifen der russischen Armee in einen innermoldauischen Konflikt damit begründet, dass die neue Regierung in Chisinau schlimmer als die SS sei", sagt Andreas Umland. "Und dieser Topos ist jetzt in den letzten 30 Jahren immer weiterentwickelt worden, sodass eigentlich alles, was sich gegen das russische Vormachtstreben, richtet, als faschistisch bezeichnet wird", so der Osteuropa-Experte.
Fazit: Maryana Naumowa richtet sich mit einer Reihe von Falschaussagen gegen den Appell von Arnold Schwarzenegger. Ihre Argumentation reiht sich ein in die Linie der staatlichen Propaganda Russlands und entbehrt an entscheidenden Stellen jeder faktischen Grundlage.
Mitarbeit: Mikhail Bushuev, Eugen Theise