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PolitikEuropa

Kein AstraZeneca-Impfstoff mehr - und nun?

17. März 2021

Viele europäische Staaten haben die Impfungen mit AstraZeneca ausgesetzt. Die Sorge, dass ein Stopp die Impfkampagne zurückwirft, ist groß. Aber ist das wirklich der Fall?

Symbolbild I Erste PFIZER Impfdosen erreichen Kolumbien
Bild: Guillermo Legaria/Getty Images

Von Portugal bis Litauen, von Zypern bis Dänemark - etliche Länder, insbesondere in Europa, haben die Impfungen mit AstraZeneca ausgesetzt. Es besteht der Verdacht, dass es einen Zusammenhang mit dem Auftreten von Blutgerinnseln im Gehirn gibt. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), die den Impfstoff erst Ende Januar zugelassen hat, prüft derzeit mehrere Thrombose-Fälle. Bislang hält die EMA an dem Impfstoff fest, die Vorteile bei der Pandemiebekämpfung würden die Nachteile der Nebenwirkungen überwiegen, hieß es am Dienstag. Auch die WHO empfiehlt weiter die Anwendung des Vakzins. 

Die EU und AstraZeneca haben es nicht leicht miteinander. Ärger gab es bereits, bevor die Impfungen begonnen haben. Im Januar hatte die Firma angekündigt, sie könnte die vertraglich vereinbarte Menge nicht liefern. Nun ist unklar, wie es mit der Impfung weitergeht. Was würde es bedeuten, wenn die Impfungen nicht mehr verabreicht würde?

AstraZeneca verhältnismäßig wenig verimpft

Ein erster Blick auf die Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) verdeutlicht, dass der überwiegende Teil, der in der EU verteilten Impfstoffe aus dem Hause BioNTech/Pfizer stammt.

Diese machten mit Stichtag 17. März 68 Prozent aller ausgelieferten Impfstoffe aus. AstraZeneca folgt an zweiter Stelle mit 24 Prozent und Moderna an dritter Steller mit 2 Prozent. Insgesamt wurden von BioNTech/Pfizer 37,5 Millionen Impfdosen verimpft. Das sind knapp 88 Prozent der gelieferten BioNTech/Pfizer Impfdosen. Wohingegen 60 Prozent des Moderna Impfstoffes verimpft wurde. Von den rund 15 Millionen ausgelieferten AstraZeneca-Impfdosen wurden nur rund 49 Prozent verimpft. Dies sind in absoluten Zahlen 7,3 Millionen Impfdosen.

Lesen Sie mehr: Wie gut ist der Impfstoff von AstraZeneca?

Diese Zahlen beziehen sich auf die EU sowie Länder aus dem Europäischen Wirtschaftsraum. Laut dem ECDC stammen die Daten von den Mitgliedstaaten und unterliegen ständigen Schwankungen und nachträglichen Korrekturen. Bei der Ermittlung der Daten stoße man an Grenzen. Dennoch dürften die Daten einen guten Überblick über die Verteilung der Dosen nach Hersteller in der EU und dem EWR-Raum geben.

Hält man sich vor Augen, dass es von AstraZeneca insgesamt zwei Dosen für die Immunisierung braucht und die EU knapp 450 Millionen Einwohner hat, ist die Impfung von AstraZeneca wohl nicht das Zugpferd. Die Bedeutung des Impfstoffes in Europa wird aber erst vor den Zahlen, die für das zweites Quartal erwartet werden, deutlich.

Wie viele Impfstoffe kann die EU im zweiten Quartal erwarten?

Einhelliges Ziel ist es, bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der EU geimpft zu haben. Für das zweite Quartal bestätigte die EU-Kommission die Zahl von 300 Millionen erwarteter Impfdosen. Ein Kommissionssprecher sagte, diese Zahl stehe "unter ständiger Prüfung". Derzeit sind in der EU vier Impfstoffe zugelassen:

Laut der EU-Kommission sei man mit BioNTech/Pfizer übereingekommen, im zweiten Quartal zehn Millionen Impfstoffe mehr zu liefern als bisher geplant. Insgesamt belaufe sich die Lieferung auf bis zu 200 Millionen Impfdosen im zweiten Quartal. Dieses Angebot müsse noch durch die Mitgliedstaaten im entsprechenden Gremium genehmigt werden.

AstraZeneca erwartet nach eigener Auskunft vom 12. März für das erste und zweite Quartal insgesamt 100 Millionen Dosen zu liefern. Dabei sollen 30 Millionen im ersten Quartal geliefert werden. Im zweiten Quartal schätzt AstraZeneca also, 70 Millionen Impfdosen liefern zu können. Dabei handelt es sich um weniger als die Hälfte der vertraglich vereinbarten Menge, die laut Reuters bei 180 Millionen Impfdosen liegt.

Von Moderna kann die EU für das zweite Quartal 35 Millionen Impfdosen erwarten, gibt das Unternehmen auf Nachfrage bekannt. Bekannt ist auch, dass die EU insgesamt für das Jahr 2021 310 Millionen Impfdosen bei der amerikanischen Firma gekauft hat.

Für das zweite Quartal waren von Johnson & Johnson selber keine konkreten Zahlen zu bekommen. Die Auslieferung ihres Impfstoffes werde in der zweiten April-Hälfte beginnen und betrage im Jahr 2021 200 Millionen Impfdosen. Allerdings hat ein EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, dass Johnson & Johnson Sorge habe, das Ziel von 55 Millionen Impfdosen im zweiten Quartal nicht zu erfüllen. Der Johnson & Johnson Impfstoff ist der einzige von den genannten, der nur einmal verabreicht werden muss.

Alles nicht so schlimm?

Nimmt man diese Zahlen zusammen, kommt man auf 360 Millionen Impfdosen, die für das zweite Quartal zu erwarten sind. Dennoch hält die EU-Kommission am Dienstag an der Schätzung von 300 Millionen für das 2. Quartal fest. Ihr Sprecher weist darauf hin, dass man sich in einer beweglichen Situation befinde, die sich sowohl positiv als auch negativ entwickeln könne.

Auf Basis dieser genannten Zahlen macht das AstraZeneca-Präparat grob ein Viertel der in Europa erwarteten Impfdosen für das zweite Quartal aus. Sollten die anderen Impfstoff-Hersteller so liefern wie vereinbart, dann wäre man selbst bei einen Totalausfall von AstraZeneca immerhin noch bei 290 Millionen Impfungen und damit fast an der Zielvorgabe. Ist also alles gar nicht so schlimm?

In Deutschland könnte die Impfkampagne einen Monat länger dauern  

"Nein, es ist nicht alles halb so schlimm," sagt der Gesundheitsökonom Dominik von Stillfried mit Blick auf Deutschland. Er ist Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Diese hat ausgerechnet, dass es in Deutschland zu einer knapp vierwöchigen Verzögerung kommen würde, wenn AstraZenca ganz ausfiele. Dafür müssten die Arztpraxen mitimpfen und die Lieferzusagen eingehalten werden. Ein Monat mehr oder weniger Pandemie - nicht nur volkswirtschaftlich betrachtet, würde dies einen großen Unterschied machen.

Die einmonatige Verzögerung bei einem Wegfall von AstraZeneca wirke sich vor allem bei Personen aus, die einer höheren Risikogruppe angehören, so von Stillfried. Damit wären Personen, die schwere Covid-Erkrankungen bis hin zur Todesfolge befürchten müssen, besonders betroffen. 

Und auch auf das Timing kommt es an, da die Lieferzusagen von AstraZeneca zu einem anderen Zeitpunkt wirksam würden, als die der anderen Hersteller, sagt von Stillfried. Als Beispiel nennt er Johnson & Johnson, die erst im späteren Verlauf des zweiten Quartals liefern würden.

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Ab Mitte April erwartet von Stillfried, dass deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung steht, als in den Impfzentren verimpft werden kann und auch Arztpraxen vermehrt impfen werden. Grundsätzlich seien alle Impfstoffe in Praxen verwendbar.

Fazit: Wenn alle anderen Hersteller verlässlich liefern, hält sich der Schaden mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Impfdosen in Grenzen. Aber die reinen Zahlen zeigen nicht die ganze Tragweite eines Wegfalls von AstraZeneca. Je nachdem wie schnell welche Lieferungen in den Mitgliedsländern ankommen, ergibt sich eine Verzögerung der Impfkampagne, die viele Menschenleben kosten kann.

Eine richtungsweisende Entscheidung, wie es mit dem Impfstoff von AstraZeneca weitergeht, wird am Donnerstag von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam erwartet.

Bei der Datenauswertung hat Gianna Grün mitgearbeitet.

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