1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Faktencheck: Israel zahlt Millionen für Propaganda-Kampagne

8. September 2025

Israel investiert Millionen von Euro, um Propaganda über Gaza zu verbreiten und richtet sich dabei an Menschen in Europa. Das Hauptziel der Kampagne: die Hungersnot im Gazastreifen leugnen.

Fact Checking | Screenshot: YouTube Kanal des "Israel's Foreign Affairs Min."
Bild: youtube.com/@IsraelMFA

Eine Recherche von Mitgliedern des Eurovision News Spotlight, darunter das DW-Faktencheck-Team, zeigt: Israel nutzt eine eigene Regierungswerbeagentur namens "Israeli Government Advertising Agency", um mit bezahlter Werbung die Meinung von Menschen in Europa und Nordamerika zu beeinflussen. Seit mindestens einem Jahr schaltet Israel über einen Regierungsaccount auf YouTube Werbevideos, um UN-Organisationen und weitere internationale Initiativen zu diskreditieren.

Ein öffentlich einsehbares Dokument der israelischen Regierung zeigt: Das Land investiert seit Juni 2025 mindestens 42 Millionen Euro in diese Kampagnen, zum Beispiel auf YouTube und X. Die Kampagne ist Teil von "Hasbara", auf Hebräisch etwa "Erklärung" - einer Initiative, deren Ziel es ist, die öffentliche Meinung im Ausland zugunsten Israels zu beeinflussen.

Am 22. August, dem gleichen Tag an dem die international anerkannte Initiative Integrated Food Security Classification (IPC) die Hungersnot in Teilen Gazas ausrief, startete Israel eine neue Werbekampagne. Ihr Ziel: die Hungersnot in Gaza leugnen. Die israelische Werbeagentur bewarb konkret zwei mehrsprachige Videos, die auf dem Account des israelischen Außenministeriums veröffentlicht wurden. An dem schwarzen Häkchen neben dem Namen des Accounts ist zu erkennen, dass er offiziell zur israelischen Regierung gehört.

An dem schwarzen Häkchen zu erkennen: Dies ist ein offizieller Account der israelischen RegierungBild: @IsraelMFA/Youtube

Eines der Werbevideos zeigt Märkte voller Essen, das andere Speisen in Restaurants - beide zeigen angeblich Szenen aus Gaza im Juli und August dieses Jahres. Eine KI-generierte Stimme spricht darüber, zudem wird folgender Text eingeblendet: "Es gibt Lebensmittel in Gaza. Jede andere Behauptung ist eine Lüge."

Die Videos haben insgesamt mehr als 18 Millionen Aufrufe und wurden auf Englisch, Italienisch, Deutsch und Polnisch veröffentlicht. Laut dem Werbezentrum von Google kann jeder, der Werbung auf YouTube schaltet, entscheiden, wer genau die Videos ausgespielt bekommt: nach Geschlecht, Alter und Region zum Beispiel. Israel hat sich nach Angaben des Werbezentrums von Google für folgende Zielgruppe entschieden: Menschen in Deutschland, Österreich, Italien, Polen, dem Vereinigten Königreich und den USA. Das ist öffentlich einsehbar.

Geöffnete Restaurants beweisen nicht, dass es keine Hungersnot in Gaza gibt

Wir haben das Video analysiert, das angeblich geöffnete Restaurants in Gaza zeigt und die Social-Media-Accounts all dieser Restaurants gefunden (hierein paar Beispiele). Die meisten Videoclips, die in dem Video des israelischen Außenministeriums verbreitet werden, wurden im Juniund Juliauf den Accounts der Restaurants veröffentlicht. Allein die Tatsache, dass es Restaurants in Gaza gibt, die Essen verkaufen, beweist aber nicht, dass es keine Hungersnot gibt. Einige Restaurants veröffentlichten auf ihren Accounts, dass sie ihre Lokale beispielsweise wegen Versorgungsengpässen immer wieder schließen mussten.

Dieses Bild von Juni 2025 zeigt Kinder, die in Gaza auf eine Essensverteilung wartenBild: Majdi Fathi/NurPhoto/picture alliance

Zudem kontaktierten wir alle Restaurants und Cafés aus dem Video. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels hat sich ein Restaurant zurückgemeldet. Ein Mitarbeiter des Restaurants Estkana, das sich in der Rimal Nachbarschaft in Gaza-Stadt befindet, bestätigte uns, dass es zwar geöffnet sei, aber immer wieder für mehrere Tage schließen musste. Außerdem berichtete der Mitarbeiter von extrem hohen Preisen: Handelsübliche Mehlsäcke kosteten zeitweise umgerechnet mehrere hundert Euro, je nach Verfügbarkeit. Eine Waffel mit Nutella kostete Ende August umgerechnet 25 Euro, ein Nuss-Dessert genauso. Auch ein anderes Restaurant aus dem Video namens O2 veröffentlichte sein Menü in seiner Instagramstory. Am 3. September kostete ein Crêpe mit Nutella 50 Schekel (umgerechnet etwa 12 Euro).

Riham Abu Aita, Mitgründerin der palästinensischen Faktencheck- und Medienkompetenzorganisation Kashif, bestätigt uns die hohen Preise in der Region. Ihre Organisation gab von Juli bis August journalistische Trainings im Gazastreifen. "Wir haben ein Kilo Zucker für 250 Schekel [rund 65 Euro] gekauft", erzählt sie. Ein Stück Brot mit einem Stück Falafel habe damals 30 Schekel (rund 8 Euro) gekostet. 

Ende Juli verbreitete sich übrigens ein ähnliches Narrativ, das unter anderem von der israelischen Zeitung "The Jerusalem Post" verbreitet wurde: Ein Videoclip zeigt einen Gemüsestand eines Markts in Gaza. Die Aufnahmen ließen einige Menschen online an der Hungersnot in Gaza zweifeln. Unser Faktencheckteam kontaktierte daraufhin den palästinensischen Journalisten Majdi Fathi, der die Szenen auf dem Markt aufnahm. Er bestätigte die Echtheit der Aufnahmen, erläuterte jedoch: "Gemüse und Obst sind sehr teuer. Die meisten Menschen in Gaza können sich das nicht leisten."

Zudem sagt Abu Aita: "Nicht alle Regionen in Gaza leiden genauso. Wenn eine Stadt gerade belagert wird, gibt es vielleicht in einer anderen Stadt gerade Essen." Und auch wenn es mal Lebensmittel gebe, seien die Preise sehr hoch, betont sie.

Die Videos des israelischen Außenministeriums sind also irreführend. Es gibt klare Beweise dafür, dass es aktuell eine Hungersnot (IPC Phase 5) in Teilen Gazas gibt, die sich laut IPC bis Ende September wahrscheinlich noch ausweiten wird.

Die Propagandavideos Israels wurden nicht nur auf YouTube, sondern auch auf anderen Plattformen und israelischen Accounts in verschiedenen europäischen Sprachen verbreitet. 

Die DW kontaktierte das israelische Außenministerium sowie das Pressebüro der israelischen Regierung, um zu erfahren, warum die Werbekampagne explizit diese sechs Länder als Zielgruppe hat und wie die israelische Regierung die aktuelle Ernährungssituation in Gaza beschreiben würde.

Daraufhin wurde die DW an die israelische Botschaft in Berlin verwiesen. Ein Mitarbeiter verwies dabei lediglich auf einen X-Post des israelischen Auswärtigen Amtes, das weiterhin die falsche Behauptung "Es gibt keine Hungersnot in Gaza" verbreitet. Zudem teilte sie ein Dokument mit uns, das angeblich an die IPC geschickt wurde. Darin stellt Israel die IPC-Einschätzung der Hungersnot infrage. Auf die Frage der DW hinsichtlich der Werbekampagne ging die israelische Botschaft nicht ein. 

Israel nutzt Werbelinks, um IPC zu diffamieren

Wir fanden zudem heraus, dass Israel einen gesponserten Link auf Google ausspielen lässt, wenn einige Google-Nutzer nach dem Schlagwort "IPC famine", also "IPC Hungersnot", suchen. Der Link führt zu einer Webseite der israelischen Regierung, die die Einschätzung der IPC zur Hungersnot in Gaza-Stadt infrage stellt. Darin heißt es, dass die IPC keinerlei Beweise für eine Hungersnot vorweise, sondern diese aufgrund unvollständiger und falscher Daten erklärt habe. Die IPC veröffentlichte daraufhin einen Bericht, in dem sie erklärte, sie habe keine Standards geändert, und widersprach damit den Behauptungen Israels.

Diese Art von gesponserten Werbelinks, wie Israel sie hier nutzt, kann laut Google ebenfalls ganz einfach an bestimmte Nutzer gerichtet werden. Google äußerte sich auf unsere Anfrage zu Israels Kampagne übrigens nicht.

Israel will Gunst der Europäer für sich behalten

"Ich denke, dass Israel derzeit einem beispiellosen Risiko ausgesetzt ist, von der internationalen Gemeinschaft isoliert zu werden", sagt Tommaso Canetta, Faktencheck-Koordinator des europäischen Medienobservatoriums EDMO, im DW-Interview. Er sieht ein klares Ziel hinter Israels Propaganda und Desinformation, die sich besonders auf europäische Sprachen fokussiert: "Die Grundidee ist es, die Sympathie der westlichen öffentlichen Meinung in Europa und den USA zu gewinnen." Für den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu sei es "eine große diplomatische Niederlage", dass mehr und mehr Länder Palästina als Staat anerkennen.

Canetta bemerkt zwar auch Desinformation auf palästinensischer Seite, dennoch betont er: "Es ist klar, dass wir aktuell mehr Desinformation von pro-israelischer Seite sehen."

Israelischer Journalist: Die Berichterstattung in Israel legt Grundstein für internationale Propaganda

Wir interviewten auch Oren Persico, der als Journalist für Seventh Eye, einem bekannten israelischen Medienblog arbeitet. Auch er erklärt, dass es Israel's Ziel sei, den Eindruck zu erwecken, es gebe keine Hungersnot in Gaza. Das Bild, das Israel von sich zeichnen möchte: "Wir sind die Guten, oder wir sind die Opfer, und wir versuchen nicht, absichtlich Zivilisten zu verletzen."

Persico spricht hierbei von "Anti-Journalismus". Israelische Medien und Israel würden statt relevanter Informationen, irrelevante Informationen verbreiten. Außerdem sagt er: "Der Fakt, dass es einen Lebensmittelladen gibt oder zwei oder zehn vollgepackte Regale heißt nicht, dass es zehn Kilometer davon entfernt nicht Menschen gibt, die ihr Haus nicht sicher verlassen können oder kein Essen haben."

Persico analysiert die Berichterstattung von Medien innerhalb Israels. Diese lege die Agenda der Desinformation israelischer Regierungsaccounts im Ausland fest. Er erklärt: "Solange es noch Geiseln in Gaza gibt, ist es für Israelis leicht, sich selbst als Opfer zu sehen. Das ist sozusagen das Hauptnarrativ." Am 7. Oktober 2023 tötete die Terrorrganisation Hamas 1.200 Menschen in Israel und verschleppte 250 Geiseln nach Gaza. Derzeit werden noch 48 Geiseln in Gaza gehalten - davon sollen noch etwa zwanzig am Leben sein. 

Seit dem 7. Oktober 2023 tötete Israel mehr als 60.000 Menschen im Gazastreifen. Davon waren laut der Nachrichtenagentur Reuters ein Drittel minderjährig. UN-Experten sowie zwei israelische Nichtregierungsorganisationen und die weltweit führende Vereinigung von Völkermord-Forschern (IAGS) verurteilen Israels massives Töten von Palästinensern als Genozid. Israel selbst bestreitet dies. Unter anderen bezeichnet auch die Weltgesundheitsorganisation die Hungersnot als "vom Menschen verursacht". Laut international anerkannten Organisationen wie der UN hält diese an, da Israel Gaza weiterhin angreift und humanitäre Hilfe blockiert.

Mitarbeit: Alima de Graaf und Björn Kietzmann

Die Recherche ist Teil einer Kooperation der öffentlichen Medien Deutsche Welle, BR24 (Deutschland), ORF (Österreich), VRT (Belgien) und EBU (Schweiz).

Der Artikel wurde von Rachel Baig und Felix Tamsut redigiert und erschien zunächst auf Englisch.

 

Kathrin Wesolowski Reporterin und Faktencheckerin zu politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Themen
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen