Faktencheck: Fake News aus China zum Ukraine-Krieg
20. September 2025
Seit dem Eindringen von 19 russischen Drohnen in den polnischen Luftraum am Morgen des 10. Septembers erwarten viele eine Reaktion Polens und seiner NATO-Verbündeten.
In China suggerierten einige Beiträge auf Social Media schnell, dass Polen als erstes europäisches Land offiziell Truppen in die benachbarte Ukraine entsenden würde. Woher kam diese Darstellung? Und warum verbreitet sie sich noch? DW geht dieser Frage nach.
Behauptung: Die DW hat mehrere Videos auf der chinesischen Social-Media-Plattform Haokan identifiziert, in denen verbreitet wird, dass Polen Truppen in die Ukraine entsandt habe. Das chinesische Online-Medium
"Hot News" berichtete ebenfalls: "Am frühen Morgen des 12. September veröffentlichte Polen plötzlich eine sensationelle Nachricht. Polen gab offiziell bekannt, dass es Truppen in die Ukraine entsenden werde."
DW Faktencheck: Falsch
Der Artikel oben im Bild zitiert die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS, der zufolge der polnische Ministerpräsident Donald Tusk angeblich ausdrücklich seine Bereitschaft bekundet habe, den Vorschlag von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj anzunehmen, Truppen in die Ukraine zu entsenden. Im Artikel heißt es, Polen sei "das erste NATO-Land, das öffentlich seine Absicht bekannt gibt, Truppen in die Ukraine zu entsenden".
Ähnliche Berichte erschienen in Videoform im chinesischen sozialen Netzwerk Weibo.
Woher kommt diese Berichterstattung?
Die Berichte scheinen sich auf Äußerungen Selenskyjs bei einer Pressekonferenz in Kyjiw am 11. September zu beziehen, bei der der ukrainische Präsident erklärte, sein Land sei bereit, Polen in Fragen der Drohnenabwehr zu beraten und zu unterstützen. Selenskyj deutete an, dass der polnische Ministerpräsident Tusk zugestimmt habe, zu diesem Zweck Militärvertreter in die Ukraine zu entsenden.
"Ich glaube nicht, dass heute irgendjemand über solche [wirksamen Anti-Drohnen-Luftabwehrsysteme] verfügt. Nur wir haben sie – und die Russen", so Selenskyj. "Wir sind also bereit und offen [Polen zu helfen]. Donald [Tusk] sagte, dass er sein Militär entsenden werde."
Unter anderem berichtete auch die Nachrichtenagentur Reuters , Tusk habe laut Selenskyj "bereits zugestimmt, Militärvertreter zu diesem Thema in die Ukraine zu entsenden".
Selenskyjs Äußerungen scheinen unklar formuliert gewesen zu sein, da das polnische Verteidigungsministerium einen Tag später, am 12. September, klarstellte, dass zwar "Drohnen-Schulungen und eine Zusammenarbeit zwischen Experten aus Polen und der Ukraine" geplant seien, "all diese Aktivitäten jedoch auf polnischem Territorium stattfinden werden".
Dennoch erschienen in chinesischen Medien weiterhin Artikel und Videos, die Selenskyjs ursprüngliche Äußerungen falsch wiedergaben. Manchmal wurden diese Behauptungen auch mit echten Berichten über 40.000 polnische Soldaten verknüpft, die tatsächlich während der "Sapad-25"-Manöver näher an der Grenze zu Belarus stationiert waren.
Eine irreführende Schlagzeile lautete etwa: "Ein Land kündigte an, Truppen in die Ukraine zu entsenden, und schickte außerdem 40.000 Soldaten an die Grenze zu Russland."
Chinesische Desinformation: beliebige Videoaufnahmen, zusammenhanglose Bilder und KI
Hot News ist eine chinesische Webseite, die zur Erstellung von Nachrichteninhalten in großem Umfang sogenannte Content Farms nutzt. Die Startseite ist übersät mit reißerischen Schlagzeilen wie "Schiffe der philippinischen Küstenwache rammen chinesische Schiffe" oder "Die NATO ist effektiv in den Krieg eingetreten."
"Das sind in der Regel emotional aufgeladene Themen, die die Zuschauer provozieren sollen, aber die Geschichten sind oft komplett erfunden, sogar die Protagonisten", sagt Charles Yeh, Chefredakteur bei den taiwanesischen Faktencheckern von MyGoPen. Er erklärt, dass Content Farms oft über verschiedene Accounts und Plattformen hinweg dieselben Fake-Inhalte gleichzeitig veröffentlichen.
Tatsächlich erschienen dieselben Schlagzeilen auch auf anderen chinesischen Webseiten, darunter china.com. Leicht abgewandelte Titel tauchten auch auf Bilibili, einer chinesischen Online-Videoplattform, auf.
Bis zum 18. September waren einige Inhalte sogar mit Schlagzeilen wie "10 Länder in Europa entsenden Truppen in die Ukraine" oder "Putins Villa in Brand gesetzt, 26 Nationen entsenden Truppen in die Ukraine" versehen.
Wie China "Informationschaos" sät
Die sogenannten Content-Farms, die diese Inhalte produzieren, sind Teil einer komplexen chinesischen Medienlandschaft, über die die Behörden die ultimative Kontrolle innehaben.
"Die Behörden beauftragen Bürger mit bestimmten Konten oder Unternehmen, die Content Farms betreiben, bestimmte Kampagnen zu produzieren und bestimmte Narrative zu verbreiten, die sie angesichts der vielfältigen diplomatischen Interessen Chinas weltweit nicht über offizielle Kanäle und Institutionen verbreiten könnten", erklärt Marcin Przychodniak, China-Analyst beim Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (PISM).
China und Russland haben ähnliche Narrative
"Das allgemeine Ziel besteht darin, Informationschaos zu schaffen, sodass es schwierig wird, zu unterscheiden, was wahr ist und was nicht", erklärt Przychodniak. Mit der Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens im Juli 2021 haben der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Premierminister Xi Jinping sogar vereinbart, in Fragen der Informationsnarrative zusammenzuarbeiten.
"[Russland und China] teilen einige Narrative und ahmen manchmal Denkweisen in Bezug auf die NATO und die Europäische Union nach", sagt Przychodniak. Zum Beispiel die Vorstellung, dass eine aggressive NATO immer weiter nach Osten in das Gebiet vordringt, das Russland als seinen Einflussbereich betrachtet.
Diese Behauptung ist ein Kernelement der Kreml-Erzählung über die Invasion der Ukraine, basiert jedoch, wie auch die DW analysiert hat, auf einer äußerst selektiven Interpretation historischer Kommentare aus der Zeit der deutschen Wiedervereinigung.
Wer ist die Zielgruppe – und funktioniert die Strategie?
Als "besonders effiziente oder überzeugende Strategie", um das Publikum im Westen von seinen Narrativen zu überzeugen, nimmt Przychodniak Chinas Desinformation nicht wahr. Denn Nutzende aus dem Westen könnten sie oft vergleichsweise leicht als solche entlarven. Aber der Westen sei auch mutmaßlich nicht die Hauptzielgruppe für solche Inhalte:
"Für die Personen, die die Botschaften tatsächlich verbreiten und weitergeben, wie Diplomaten, Beamte der mittleren und unteren Ebene oder Betreiber von Content Farms, sind die Hauptadressaten wahrscheinlich hochrangige Beamte der Kommunistischen Partei Chinas, die sehen müssen, dass die Aufgabe erfüllt, die Botschaft übermittelt und die Anweisung von oben umgesetzt wurde."
Dmytro Hubenko hat zu diesem Faktencheck beigetragen.