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Politik

Die Macht der Kinderbilder

22. Mai 2021

Schreiende Mädchen, blutüberströmte Jungen - nicht alle herzzerreißenden Bilder aus Gaza und Israel sind authentisch. Einige sind schon jahrealt, oder sie stammen aus ganz anderen Konflikten.

Israel Palästina | Junge in Gaza 2014
Bild: Mahmud Hams/Getty Images/AFP

Das Leid hat viele Gesichter. Der Umgang mit ihm ebenso. Manche trauern still, in sich gekehrt. Andere wollen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen, sie mit möglichst vielen teilen. Gerade diese Form der Trauerbewältigung findet oft in den sozialen Medien statt, besonders nach Tragödien wie Naturkatastrophen, Anschlägen, Unfällen oder Angriffen.

So auch zu beobachten im Israel-Gaza-Konflikt, der aktuell durch eine Feuerpause unterbrochen ist. Doch die Feeds der Plattformen sind weiterhin voll von Bildern des Schreckens, der Trauer, der Wut. Aber sind all diese Fotos und Emotionen wirklich echt? Beide Seiten des Konflikts unterstellen sich gegenseitig, Propaganda zu betreiben. Tatsächlich wird manipuliert, und zwar nach DW-Recherchen ausgerechnet mit den Schwächsten in der Krise, den Kindern.

Unzählige herzzerreißende Fotos und Videos von Mädchen und Jungen werden verschickt, gepostet, geteilt - alleine in Trümmerbergen, gezeichnet von Verwundungen. Einige stammen von verzweifelten Angehörigen, andere von Accounts, die entweder Aufmerksamkeit und Reichweite suchen oder gar falsche Informationen verbreiten wollen.

Manche Bilder sind gar nicht aktuell, sondern schon Jahre alt. Andere festgehaltenen Szenen stammen aus anderen Konflikten und spielten sich gar nicht am behaupteten Ort ab. Ihre Wirkung verfehlen sie dennoch nicht. Die falschen oder aus dem Kontext gerissenen Bilder schüren Emotionen, die sich in den Kommentaren darunter ablesen lassen. So verbreiten sich gezielte Botschaften rasend schnell über die Plattformen, und befeuert durch falsche Informationen können Hashtags trenden. Umgekehrt werden in diesem Umfeld auch echte, authentische Fotos angezweifelt, wird ihren Erstellern Manipulation vorgeworfen. Wir haben einige Bilder aus dem Konflikt überprüft.

Anderer Ort, andere Zeit

Dieses Bild zeigt im Tweet auf der rechten Seite angeblich ein kleines Mädchen namens Malek, das durch einen israelischen Luftschlag im Gazastreifen getötet worden sein soll. Das Bild fand sich in zahlreichen Tweets, in mehreren Sprachen. Aber es stammt weder aus Gaza, noch ist es aktuell. Eine Analyse der DW per Foto-Rückwärtssuche ergab, dass dieses Bild ein fünfjähriges Mädchen aus Russland namens Sophie zeigt. Es wurde bereits vor zwei Jahren von Sophies Mutter auf Instagram (linke Seite) gepostet. Und auf jüngst geposteten Bildern ist Sophie quicklebendig und hat Spaß im Moskauer Zoo.

Bilder von 2014 neu verpackt

Der ganze Schrecken eines Krieges wird auf diesem Foto in einem Sekundenbruchteil festgehalten. Schreiend und weinend hält das Mädchen Papiere und Bücher in der Hand. Das Foto wurde in etlichen Tweets und Posts verwendet und oft kommentiert. In diesem Fall geht es um die unfassbar großen Schmerzen, die auf diesem Bild festhalten sind, dazu unter anderem der Hashtag #GazaUnderAttack.

Der Tweet suggeriert eine Aktualität, die es nicht gibt. Denn die Aufnahme entstand bereits lange vor dem aktuellen Konflikt, wahrscheinlich 2014.

Der palästinensische Fotograf Fadi Abdullah gibt an, das Bild damals im nördlichen Teil des Gazastreifens geschossen zu haben. Seitdem wurde das Bild immer wieder verwendet und das weinende Mädchen so zu einer digitalen Ikone des Gazakonflikts. Auffällig ist: Das Foto wird immer dann gepostet, wenn der Konflikt wieder eskaliert, und so befeuert es zuverlässig die Emotionen.

Und nicht nur in Gaza, auch nach Terrorattacken im afghanischen Kabul oder nach Angriffen auf Idlib in Syrien wurde das Bild bereits von Nutzern geteilt.

Ebenfalls wiederholt gepostet und zigfach geteilt wird ein Bild, auf dem das "Leben der Kinder Palästinas" gezeigt werden soll - für alle, die dieses Leben nicht kennen, wie der Autor des Tweets schreibt. Auch in diesem Fall wird Aktualität suggeriert, und auch hier stimmt es nicht.

Nach Angaben der Bildagentur Getty Images wurde das Foto bereits am 19. Oktober 2014 aufgenommen. Es zeigt demnach einen palästinensischen Jungen, der durch das beschädigte Shuja'iyya läuft, einen Stadtteil Gazas. Das Bild soll während des 50-Tage-Kriegs zwischen Israel und der Hamas entstanden sein, so Getty. Auch dieses Bild wurde unter anderem im Zusammenhang mit Luftschlägen in Syrien gepostet.

Syrien-Bilder zur Illustration des Gaza-Konflikts

Kaum verwunderlich, dass auch der umgekehrte Fall möglich ist. Bei der Recherche nach Bildern aus dem aktuellen Konflikt stieß die DW immer wieder auf Fotos aus Syrien. Und ob bewusst oder unbewusst: Praktisch nie wird dabei transparent gemacht, dass diese Bilder aus einem ganz anderen Krieg stammen. Manche werden zu Fotocollagen zusammengefügt - und sind damit schwerer zu überprüfen. Denn so erfordern Foto-Rückwärtssuchen mehr technische Fähigkeiten. In diesem Beispiel (auch hier - Achtung: verstörende Bilder!) wurde unter anderem ein Foto eines Jungen eingefügt, der seine kleine Schwester (rot-weiße Jacke) auf dem Arm hält. Das Bild entstand bereits am 14. Februar 2014 nach einem Luftangriff auf Aleppo. Ein anderes Bild der Collage zeigt das blutüberströmte Gesicht eines Kindes aus Syrien, das in Douma, einem Vorort von Damaskus, auf die Behandlung in einem Krankenhaus wartet. Das Bild gewann sogar den zweiten Platz des World Press Photo Award 2016.

Tatsächlich findet sich auch ein aktuelles Bild aus dem Gaza-Konflikt in der Collage: Ein palästinensischer Vater weint vor der Leiche seines Kindes. In der Datenbank von Getty Images finden sich die Informationen zur Aufnahme: Es wurde am 10. Mai 2021 in einem Krankenhaus in Gaza vom Fotografen Mohammed Abed aufgenommen. Nach Angaben von Getty kamen bei diesem Angriff neun Menschen zu Tode - es war aber unklar, ob durch einen israelischen Angriff verursacht.

Aus dem Kontext gerissen

Nicht nur mit Fotos, auch mit Videos wird derzeit manipuliert. In einem wird behauptet, Palästinenser - darunter auch Kinder - würden sich mit Theaterschminke Verletzungen aufmalen und somit durch israelische Angriffe erlittene Verletzungen für die Medien vortäuschen. Unsere Analyse kann die Echtheit des eigentlichen Videos bestätigen. Aber es wurde aus dem Kontext gerissen und mit einer anderen, falschen Behauptung präsentiert.

Das Originalvideo stammt aus dem Jahr 2017 und zeigt Palästinenser, die von Maskenbildnern geschminkt werden. Es handelt sich dabei um ein Videoprojekt der Hilfsorganisation Ärzte der Welt, das immer wieder unter falschen Angaben verwendet wird. Die schlechte Videoqualität ist ein Indiz für die zahlreichen Kopien, die es bereits gibt. Auch dieses Video wurde bereits im Syrienkonflikt verwendet.

Falsche "Pallywood"-Vorwüfe

Umgekehrt werden echte Videos und Fotos als Fälschungen dargestellt. "Made by Pallywood Productions" heißt ein Vorwurf durch Accounts von israelischer Seite. Es ist ein gängiger, abwertender Kommentar, mit dem gezeigtes Leid als professionelles Schauspiel entlarvt werden soll. In diesem Tweet sowie in den Kommentaren darunter wird behauptet, die Szene könne gar nicht echt sein, weil jeglicher Staub auf der Kinderwiege fehle.

Gemacht hat das Foto Samar Abu Elouf für die "New York Times" am 14. Mai diesen Jahres und es stammt aus dem aktuellen Konflikt, ist also authentisch. Und das ist auch das Leid, das viele erleben müssen: Mindestens 40 palästinensische Kinder wurden laut UNICEF bei den jüngsten Kampfhandlungen getötet, in Israel waren es zwei. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums waren es auf dortiger Seite sogar 63 Kinder.

Kinderbilder als Propaganda-Werkzeug

Schon in früheren Konflikten wurden die Aufnahmen von leidenden, verletzten oder getöteten Kindern für Propagandazwecke eingesetzt, schließlich schüren sie zuverlässig die gewünschten Emotionen. Auch im Konflikt zwischen Israel und Palästinensern hat diese Praxis eine Tradition, auf beiden Seiten. Doch die Omnipräsenz der sozialen Medien, die erhöhte Geschwindigkeit des globalen Austauschs, hat Wirkung und Reichweite deutlich erhöht. Die Flut der bewussten oder unbewussten Manipulation wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Sie hat den Graben zwischen beiden Konfliktparteien vertieft. Und sie wird zu einer Bürde für mögliche Friedensverhandlungen.

Mitarbeit: Joscha Weber

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