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Wie sicher ist die Briefwahl?

20. September 2021

Briefkasten statt Urne: Die Briefwahl in Deutschland boomt. Bei den Bundestagswahlen könnte ihr Anteil auf über 50 Prozent steigen. Ist das Votum per Post anfälliger für Manipulation? Ein DW-Faktencheck.

Symbolbild Briefwahl
Beliebt: Während der Corona-Pandemie hat die Wahl per Post einen Boom erfahrenBild: Goldmann/picture alliance

Ist die Briefwahl anfällig für Wahlbetrug?

Nein. In Deutschland existiert eine historisch gewachsene Infrastruktur für Briefwahlen. Wenn Briefwahlunterlagen beantragt werden, wird dies im Wählerverzeichnis vermerkt. Damit soll verhindert werden, dass Wahlberechtigte zweimal abstimmen, einmal per Post, und einmal per Urne.

Wenn die Unterlagen an eine andere Adresse als den Wohnort des Wahlberechtigten geschickt werden sollen, wird zur Sicherheit auch ein Brief an die bei der Wahlbehörde hinterlegte Adresse geschickt. So wird im Falle einer falschen Beantragung der richtige Wahlberechtigte informiert. Durch zwei verschiedene Briefumschläge wird zudem die Geheimhaltung der Wahl gewährleistet.

Der Politikwissenschaftler Daniel Hellmann hält die Briefwahl für "gesichert". "Es ist unrealistisch schwer, per Brief Wahlbetrug zu begehen", erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Parlamentarismusforschung an der Universität Halle-Wittenberg im DW-Gespräch. "Es gibt zwar Einzelfälle, aber strukturell kann man keine höhere Betrugsanfälligkeit feststellen."

Die rechtspopulistische Partei AfD erhebt dennoch seit den Bundeswahlen 2017 immer wieder den Vorwurf, dass durch Briefwahlen Wahlen manipuliert würden. 

Gibt es Fälle von Wahlbetrug?

Ja. Auf kommunaler Ebene sind einzelne Fälle bekannt, auf Bundes- oder Landesebene hingegen nicht. So wurden bei den Kommunalwahlen 2014 im sachsen-anhaltischen Stendal Wahlzettel von Dritten ausgefüllt. Der Betrug flog auf.Ein CDU-Stadtrat wurde zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Wahl- und Urkundenfälschung verurteilt

Zu Manipulationen kam es auch im niedersächsischen Quakenbrück bei der Kommunalwahl 2016. In einem Stadtteil mit vielen Einwanderern hatten vier Politiker der Linkspartei Wähler mit geringen Deutschkenntnissen dazu gebracht, Briefwahlunterlagen  anzufordern. Die Politiker füllten die Stimmzettel teils selbst aus und fälschten auch Unterschriften.Sie wurden zwei Jahre später zu Bewährungsstrafen zwischen anderthalb und sieben Jahren verurteilt. 

Sind Briefwahlen Folge eines Lockdowns während der Coronakrise?

Nein. Briefwahlen gibt es in Deutschland bereits seit 1957. Seit 2008 muss die Briefwahl nach einer Gesetzesänderung nicht mehr extra begründet werden. Der Anteil von Briefwählern steigt seit 25 Jahren kontinuierlich (siehe Grafik). Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz am 14. März dieses Jahres kletterte er sogar auf 66 Prozent. Manipulationen wurden nicht nachgewiesen.

Briefwahlen können jedoch dazu dienen, in einem Lockdown die Ausübung demokratischer Grundrechte zu wahren. So wurden die Stichwahlen bei den Kommunalwahlen in Bayern am 29. März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie als reine Briefwahl durchgeführt. Um dafür eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, änderte der Bayerische Landtag am 25. März 2020 das bayerische Infektionsschutzgesetz und ergänzte es um einen entsprechenden Passus zur Briefwahl. Aufgrund der erhöhten Anzahl von Briefwählern stieg die Wahlbeteiligung von 55 Prozent im Jahr 2014 auf 58 Prozent.

Werden Briefwahlstimmen auch nach dem Wahltag ausgezählt?

Nein. Im Gegensatz zu den USA müssen in Deutschland Briefwahlstimmen bis zur Schließung der Wahllokale um 18 Uhr eingegangen sein. Sie werden zeitgleich mit den Urnenstimmen per Hand ausgezählt. Die Auszählung ist laut deutschem Wahlrecht öffentlich,  jeder Bürger hat das Recht, dabei zu sein.

Die vom US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump und seinen Anhängern erhobenen Vorwürfe, Briefwahlstimmen würden später ausgezählt oder Wahlmaschinen seien einfach zu manipulieren, lassen sich auf Deutschland nicht übertragen. Trump nutzte die Kampagne gegen Briefwahlen, um das Wahlergebnis insgesamt zu diskreditieren, meint Politikwissenschaftler Hellmann.

"Trump hat über ein Jahr vor der Wahl gesagt, die Briefwahl ist unsicher, und deswegen haben diejenigen, die Trump wählen wollten, nicht per Briefwahl abgestimmt, wodurch das Briefwahlergebnis stark zugunsten der Demokraten ausgefallen ist, was dann eben das Futter dafür war, zu sagen, da wurde ja geschummelt." Die AfD setze auf dieselbe Strategie der sich "selbst erfüllenden Prophezeiung". 

Ist die geheime Stimmabgabe garantiert?

Nein. In Deutschland muss der Wähler zwar mit einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber den Wahlbehörden versichern, dass er oder sie den beigefügten Stimmzettel persönlich ausgefüllt hat. Doch auch wenn damit "den rechtlichen Ansprüchen Genüge getan ist", so Politologe Hellmann, "ist eine geheime Stimmabgabe nicht 100 Prozent sicher".

"Im Gegensatz zur Abstimmung im Wahllokal, wo der Wahlvorstand darauf achtet, dass immer nur einer in die Wahlkabine geht, ist bei der Briefwahl nicht nachvollziehbar, ob der Wähler seine Stimme selbst abgegeben hat und dabei unbeobachtet und unbeeinflusst war", sagt er. 

Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem Problem mehrfach auseinandergesetzt. In ihrem Urteil zur Zulassung der Briefwahl bei der Europawahl 2009 (AZ 2 BvC 7/10) wiesen die Richter darauf hin, dass eine deutliche Zunahme der Briefwahl mit dem verfassungsrechtlichen Leitbild der Urnenwahl, die die repräsentative Demokratie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar mache, in Konflikt treten könne.

Abschließend kamen die Verfassungsrichter jedoch zu dem Urteil, dass die Briefwahl dem Ziel diene, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und somit verfassungskonform und die Wahl nicht zu beanstanden sei. 

Sind Briefwahlen anfällig für formale Fehler?

Ja, denn Briefwahlen sind komplizierter als Urnenwahlen. Aufgrund der umfangreichen Unterlagen mit Wahlschein, Stimmzettel, Merkblatt und zwei Umschlägen, die der Sicherheit dienen, können sich beim Ausfüllen Formfehler einschleichen. In einer bisher unveröffentlichten Studie, die der DW vorliegt, weist der Politologe Dominic Nyhuis von der University of North Carolina nach, dass die Zahl der ungültigen Stimmen bei der Briefwahl deshalb höher ist als angenommen.

Zwei Umschläge, Stimmzettel und eidesstattliche Erklärung: Briefwahlunterlagen müssen sorgfältig ausgefüllt werden Bild: Reuters/W. Rattay

Laut deutscher Wahlgesetzgebung werden unzureichend oder formal nicht korrekt ausgefüllte Briefwahlunterlagen nicht mitgezählt. Dies führt dazu, dass sie als nicht abgegebene Stimmen und nicht als ungültige Stimmen gewertet werden. 

"Das Phänomen nicht gewerteter Briefwahlstimmen wird in der Wahlstatistik erheblich unterschätzt", lautet die Schlussfolgerung des Politikwissenschaftlers, der für die Studie 68 Wahlgänge in 31 kreisfreien Städten zwischen 2009 und 2020 untersucht hat.

Seinen Schätzungen zufolge schwankt der Anteil ungewerteter Briefwahlstimmen zwischen 3,2 Prozent und vier Prozent. Die ungewerteten Briefwahlstimmen müssten in der Wahlstatistik als ungültige Stimmen ausgewiesen werden, fordert er.

Fazit

Die Briefwahl ist eine Alternative für Wahlberechtigte, die am Wahltag nicht persönlich am Urnengang teilnehmen können. Sie gewährleistet Flexibilität und ermöglicht auch körperlich und mobil eingeschränkten Menschen die Teilnahme an der Wahl und erhöht somit die Wahlbeteiligung und die demokratische Legitimation. Während der Corona-Pandemie kommt der Briefwahl eine besondere Bedeutung zu, denn sie garantiert die Ausübung demokratischer Grundrechte auch während der Kontaktbeschränkungen.

Allerdings sind Briefwahlen nur in Ländern mit funktionierenden Wahlbehörden und Postzustellung möglich. Denn sie sind mit einem höheren Verwaltungsaufwand verbunden, weil Wählerlisten und Wählerregister abgeglichen werden müssen. Für die Vorwürfe rechtspopulistischer Parteien und Politiker sowie deren Anhänger, durch die Briefwahl würden Wahlen systematisch manipuliert, gibt es in Deutschland bis jetzt keine ausreichenden Belege.

Soziale Not und politische Teilhabe

03:10

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