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Wie sinnvoll ist die Corona-Impfung für Kinder?

4. August 2021

Die Ständige Impfkommission empfiehlt nun auch, Kinder und Jugendliche ab 12 Jahre gegen Corona zu impfen. Eltern stehen jetzt vor der Entscheidung: Soll ich mein Kind impfen lassen oder besser noch nicht?

Ein Kind mit Maske blickt auf seinen Oberarm, in den gerade eine Spritze gesetzt wird
Bild: MiS/imago images

Dieser Beitrag wurde zuerst im Mai veröffentlicht und zuletzt am 16. August 2021 aktualisiert. Neuere Entwicklungen oder Daten wurden nicht berücksichtigt.

Wie ist der Stand bei Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche?

In der EU sind für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren derzeit die Vakzine der Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna zugelassen. Ihr Vakzin habe bei einer klinischen Studie mit Teilnehmern im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren eine Wirksamkeit von 100 Prozent gezeigt und sei gut vertragen worden, erklärte Moderna.

Seit dem 16. August empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO)die Impfung für alle 12- bis 17-Jährigen. Neueste Daten aus den USA, in denen mittlerweile fast zehn Millionen Kinder und Jugendliche geimpft wurden, können laut der STIKO mögliche Risiken einschätzen lassen. Die Vorteile der Impfung würden die sehr seltenen Nebenwirkungen überwiegen, heißt es in der Erklärung.  Die Gesundheitsminister der Bundesländer hatten bereits am 2. August beschlossen , generell allen ab 12 die Impfung zu ermöglichen.  

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn twitterte am 13. August schon, dass bereits jeder vierte 12- bis 17-Jährige in Deutschland mindestens einmal geimpft sei (rund 24 Prozent).  

Wie machen es andere Länder? 

Auch Großbritannien agiert bisher verhalten: Minderjährige ab 12 dürfen sich impfen lassen, wenn sie selbst das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben oder mit einer Person zusammenleben, deren Immunsystem stark geschwächt ist

Israel impft Jugendliche

03:11

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In den USA und in Kanada wird der Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer dagegen seit Mai bei Jugendlichen und älteren Kindern angewendet. Allein in den USA sind bereits mehr als 4,8 Millionen 12- bis 15-Jährige vollständig geimpft, mehr als 6,7 Millionen haben eine Dosis erhalten. 

Auch andere Staaten haben die Impfstoffe für diese Altersgruppe bereits zugelassen, darunter Japan und Israel.  

Warum gibt es weiter Diskussionen um Kinder-Impfungen?

Doch in vielen Ländern gibt es weiterhin Diskussionen darüber, wie sinnvoll das Impfen von Kindern und Jugendlichen gegen COVID-19 ist, weil sich eben nicht alle Experten einig sind. 

Die DW hat einige verbreitete Argumente zu diesem Thema überprüft. Welche Rolle spielen die 12- bis 15-Jährigen in der Pandemiebekämpfung? Wie anfällig sind sie selbst für COVID-19? Wie steht es um die Sicherheit der Impfstoffe für Kinder und Jugendliche? Dabei konzentriert sich die DW allein auf die Faktenlage. Ethische Fragen rund um die Nutzen-Risiko-Erwägung und die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen werden in diesem Faktencheck nicht überprüft.

Reicht es nicht, Erwachsene zu impfen, um auch Kinder durch die Herdenimmunität zu schützen?

Die Annahme, dass Kinder vor COVID-19 allein durch das Impfen der Erwachsenen geschützt werden können, ist falsch. Statistisch gesehen ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Weltbevölkerung zu hoch, um bei der durch Impfungen angestrebten Herdenimmunität gegen COVID-19 ausgeklammert werden zu können. Noch vor einem Jahr hielt die WHO dafür eine Durchimpfungsrate von 60 bis 70 Prozent für ausreichend. Im Verlauf der Pandemie hatten viele Experten, so auch der führenden US-Immunologe Anthony Fauci, diese Angabe auf 85 Prozent angehoben.

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahre an der Weltbevölkerung liegt nach Schätzungen der UN-Abteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten (UN DESA) bei rund 30,2 Prozent, das entspricht etwa 2,35 Milliarden Personen. In Deutschland ist der Anteil der unter 18-Jährigen nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit rund 16,4 Prozent der Bevölkerung deutlich geringer. Man könnte also annehmen, im Falle Deutschlands reiche die Impfung aller Erwachsenen aus. Immerhin wurden bisher bereits gut 62 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal geimpft. 

Diskussion über Corona-Impfungen ab 12: Gespräch mit Kinderarzt Jakob Maske

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Doch der deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat sich deutlich für Impfungen von 12- bis 16-Jährigen ausgesprochen - auch im Hinblick auf die angestrebte Herdenimmunität. "Wenn wir alle Erwachsenen in Deutschland impfen würden, dann ist es natürlich eine verschwindend geringe Menge", sagte Axel Gerschlauer, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Pressesprecher des BVKJ im Mai im Gespräch mit der DW. "Da wir aber sehr viele Erwachsene haben, die wir nicht erreichen werden, sind auch diese etwa drei Millionen (Kinder und Jugendlichen, d. R.) total wichtig, denn wir wissen alle nicht genau, wie viele Millionen wir wirklich impfen müssen, um die Herdenimmunität zu erreichen." 

Ähnliche Sorgen gibt es auch in anderen Ländern, bestätigte Karina Top, kanadische Impfstoff-Forscherin und Dozentin für pädiatrische Infektiologie an der Universität Dalhousie, der DW im Mai. "Das Erreichen der Herdenimmunität hängt davon ab, ob ausreichend Erwachsene geimpft werden. Und ich weiß, dass viele Länder besorgt sind, weil viele Erwachsenen nicht geimpft werden wollen." Daher werde die Impfung der Kinder und Jugendlichen wichtig.

Eine Herdenimmunität der Gesellschaft ist ohne geimpfte Kinder schwer zu erreichenBild: Michael Gstettenbauer/imago images

Für Deutschland geht das Robert Koch-Institut inzwischen davon aus, dass es "nicht realistisch" ist, eine Herdenimmunität "im Sinne einer Elimination oder sogar Eradikation des Virus" zu erreichen.

Sind Kinder und Jugendliche außer Gefahr, weil es bei ihnen seltener schwere Krankheitsverläufe gibt und die Sterblichkeitsrate niedriger ist?

Pauschal zu sagen, dass Kinder und Jugendliche keine schweren Verläufe haben, ist irreführend. Richtig ist: Die Mehrzahl der Kinder hat laut RKI einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf.

Eine italienische Studie von 2020 beispielsweise kam zu dem Schluss, dass Jugendliche unter 18 ein geringeres Risiko haben, schwer zu erkranken. Von 3836 erkrankten Kindern und Jugendlichen hatten 4,3 Prozent einen schweren Verlauf, vier Personen starben. Internationale Kinderkardiologen sagen, dass lediglich 0,6 bis 2 Prozent der Kinder auf Intensivstationen behandelt werden müssten. Sehr selten traten nach Infektionen auch Herzinsuffizienzen auf.

Der American Academy of Pedriatics zufolge wurden seit Beginn der Pandemie fast 4,3 Millionen Kinder in den USA positiv auf COVID-19 getestet (Stand 16. August). Davon mussten etwa - je nach US-Bundesstaat - 0,1 bis 1,9 Prozent im Krankenhaus behandelt werden. Insgesamt starben bis zu 0,03 Prozent der infizierten Kinder.

Kinder infizieren sich laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt etwa genauso häufig wie Erwachsene, erkranken aber grundsätzlich seltener. "Dieser altersabhängige Unterschied ist auch von anderen Infektionserkrankungen bekannt und wird darauf zurückgeführt, dass die Immunzellen von Kindern und Jugendlichen anders auf Erreger reagieren als die Erwachsener", schreibt das BMBF auf seiner Webseite. Das Immunsystem scheine mit zunehmendem Alter weniger effektiv zu arbeiten. Ob das auch auf eine Corona-Infektion zutrifft, ist allerdings noch nicht untersucht worden.

Laut aktuellen Ergebnissen der Datensammlung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie wurden seit dem Ausbruch der Pandemie 1699 stationär behandelte Kinder und Jugendliche mit einem SARS-CoV-2-Direktnachweis in Deutschland oder Österreich gemeldet (Stand: 15. August). 85 davon  wurden auf der Intensivstation behandelt. In rund 29 Prozent der Fälle waren die Kinder im Alter zwischen sechs und 15 Jahren. Der mit 46 Prozent größte Anteil bei den gemeldeten Fällen liegt jedoch - wie die Grafik zeigt - bei Babys und Kleinkindern, die ein Jahr und jünger sind.

Corona und Trisomie 21

02:34

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Gleichzeitig verweist der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) darauf, dass elf Prozent aller Mädchen und 16 Prozent der Jungen unter 17 Jahren in Deutschland laut KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) an einer chronischen Erkrankung leiden. "Als Beispiel seien die schwer herzkranken Kinder genannt oder auch Patienten mit Trisomie 21, die trotz des jungen Alters ein erhöhtes Risiko haben, auch einen schweren Verlauf zu erleiden", sagte Gerschlauer vom BVKJ. Seit Juni konnten sich Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, die bestimmte Vorerkrankungen haben, in Deutschland impfen lassen.

Kann man bei Kindern den gleichen COVID-19-Impfstoff verwenden?

Die Studienlage zur Wirkung der COVID-19 Impfstoffe bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit noch dünn - Impfstoffe werden in der Regel zunächst an Erwachsenen getestet. Die Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs für Kinder im Alter zwischen 12 und 15 Jahren durch die EMA erfolgte auf Basis einer Studie mit gut 2000 Kindern in diesem Alter. Von den rund 1000, die dabei den Impfstoff erhielten, sei kein einziges an COVID-19 erkrankt, hieß es, in der Vergleichsgruppe, die ein Placebo gespritzt bekam, seien 16 erkrankt.

In Kanada und den USA war die Zulassung von BioNTech/Pfizer nach einer Studie mit 2260 Teilnehmern im entsprechenden Alter erfolgt. Dabei bekamen 1131 Teilnehmer das Vakzin. Der Impfstoff ist laut dem Unternehmen bei dieser Altersgruppe zu 100 Prozent effektiv - also effektiver als in jeder anderen bisher getesteten Gruppe.

Die vergleichsweise geringe Anzahl an Studienteilnehmern hält die kanadische Impfstoffforscherin Karina Top für angemessen. "Wir haben so viele Daten und Erfahrungswerte bei 16-Jährigen und Älteren, die an den größeren Studien teilnahmen." Auch die Erfahrung mit den weltweit verimpften Dosen zähle. Insbesondere die ähnlichen Ergebnisse bei den 16- bis 25-Jährigen machten die Erweiterung der Anwendung auf die Altersgruppe der 12- bis 15-Jährigen sinnvoll, so Top.

Mehr als 8,2 Millionen Kinder im Alter zwischen 12 und 15 Jahren wurden in den USA bereits gegen Corona geimpft Bild: Jeff Gritchen/Media News Group/Getty Images

"Trotzdem müssen wir die Sicherheit von Impfstoffen immer weiter überwachen, nachdem sie für die Verwendung in der Bevölkerung zugelassen wurden, da man selbst bei 30.000 Personen in einer Studie keine sehr seltenen unerwünschten Ereignisse feststellen kann, die bei einem von 100.000 auftreten oder einem von einer Million", warnt die Wissenschaftlerin.

Und was ist mit Kindern unter zwölf Jahren?

Was die COVID-19-Impfung für die Kinder unter zwölf Jahren angeht, sind sich sowohl der deutsche Kinderarzt Axel Gerschlauer als auch die kanadische Forscherin Karina Top einig: Die Eins-zu-Eins-Übertragung von einem Erwachsenenimpfstoff auf jüngere Kinder sei nicht möglich.

An sich sei es nicht unüblich, dass der gleiche Impfstofftyp bei Kindern und Erwachsenen verwendet werde, erklärt Karina Top. Manchmal, wie zum Beispiel beim Tetanus-Impfstoff, unterscheide sich die Rezeptur für Babys von der für Kinder und Jugendliche. Bei anderen Impfstoffen verwende man für verschiedene Altersgruppen eine unterschiedliche Anzahl an Dosen. "Zum Beispiel beim HPV-Impfstoff können wir bei Personen unter 14 Jahren zwei Dosen verabreichen, zumindest in Kanada. Aber 15-Jährige und Ältere brauchen die dritte Dosis, weil die Reaktion nicht ganz so stark ist."

Das Immunsystem kleinerer Kinder reagiere auf die Impfstoffe eben anders als das der Jugendlichen und Erwachsenen, so die Experten. Es bedarf daher einer ausführlichen Suche nach der sicheren und effektiven Dosierung des jeweiligen Impfstoffes. Aktuell führen BioNTech/Pfizer und Moderna Studien mit Kindern von sechs Monaten bis elf Jahren durch. BioNTech/Pfizer erwartet, Daten für die erste Untergruppe im September vorlegen zu können. Auch der Impfstoffhersteller AstraZeneca testet seinen Impfstoff bereits an jüngeren Kindern, Ergebnisse gibt es dazu noch nicht. Johnson & Johnson will Studien zu Kindern unter 12 Jahren erst später beginnen.

Sollten Kinder also gegen das Coronavirus geimpft werden?

Jenseits von Daten und Expertenmeinungen bleibt es eine individuelle Entscheidung, die man am besten im Gespräch mit Haus- oder Kinderarzt klärt. Mit Blick auf den individuellen Fall können Ärzte den Nutzen sowie die Risiken der Impfung für das Kind am besten einschätzen und eine Empfehlung geben.  

Mitarbeit: Uta Steinwehr

Lernen im Lockdown

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