Linke fordern Untersuchungsausschuss
6. Januar 2017Die Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch (Artikelbild) warfen der Regierung vor, die Aufklärung des Falls im Bundestags-Innenausschuss zu blockieren. Dies sei skandalös, zumal die Zahl offener Fragen in den vergangenen Wochen eher noch zugenommen habe. "Bisher konnte der Verdacht im Fall anis Amri nicht ausgeräumt werden, dass, ähnlich wie beim NSU, ein Fehlverhalten einer oder mehrerer Landes- bzw. Bundesbehörden - insbesondere auch in NRW - vorliegt", erklärten die Linken-Fraktionschefs.
Sie sprachen von dem Verdacht des "Staatsversagens". Zugleich kritisierten sie es als unseriös, wenn von Regierungsseite bereits Gesetzesänderungen verlangt würden, ohne dass die genauen Abläufe in Verbindung mit dem Anschlag vom 19. Dezember geklärt seien.
Grüne: Fragenkatalog vorab
Auch die Grünen wollen jetzt mehr Informationen zu dem Fall. "Wir erwarten im Deutschen Bundestag vollständige Aufklärung, was in den Sicherheitsbehörden schief gelaufen ist", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gegenüber der "Bild"-Zeitung. "Wenn die Bundesregierung diese Fragen nicht umfassend und schlüssig erklärt, ist auch ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen."
Göring-Eckardt kündigte allerdings weiter an, ihre Fraktion werde zum Fall Amri zunächst einen Fragenkatalog an Innenminister Thomas de Maizière (CDU) einreichen. "Der Innenminister muss seiner Verantwortung gerecht werden und erklären, wie ein bekannter Gefährder abtauchen konnte", sagte die Grünen-Politikerin.
Trittin fordert Rücktritt de Maizières
Ihr Vorgänger an der Fraktionsspitze, Jürgen Trittin, forderte de Maizière sogar zum Rücktritt auf. "Ich halte ihn für nicht mehr tragbar als Bundesinnenminister", sagte er dem Magazin "Stern". Die Vorgeschichte des Anschlags mit zwölf Toten sei eine "neue Dimension des Staatsversagens".
Die Kritik richtet sich vor allem dagegen, dass die Behörden Amri zwar als gefährlich einstuften, er sich aber dennoch offenbar weitgehend ungehindert und zeitweise auch unbeobachtet in Deutschland bewegen konnte. Ermittler und Verfassungsschutz waren dem Terrorverdächtigen Amri über Monate hinweg deutschlandweit auf der Spur, verloren ihn aber trotzdem aus den Augen. Die marokkanischen Behörden hatten zweimal das Bundeskriminalamt und auch den deutschen Auslandsgeheimdienst BND gewarnt, Amri plane Anschläge.
Einen Untersuchungsausschuss forderte auch die außerparlamentarische FDP. Ihr Chef Christian Lindner rief Grüne und Linke auf, die Einsetzung eines solchen Ausschusses zu beantragen. Die Stimmen der beiden Oppositionsparteien sind ausreichend, um ein solches Gremium einzusetzen. Auch Lindner sprach auf dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart von einem möglichen Behördenversagen im Fall Amri.
Im Berliner Sicherheitsapparat läuft die Aufarbeitung auf Hochtouren. So sollen sich die Geheimdienst-Kontrolleure des Bundestages am 16. Januar in einer Sondersitzung mit dem Fall Amri befassen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Parlamentskreisen. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hat zuvor eine rasche Sondersitzung des Gremiums verlangt, um die Rolle des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes im Zusammenhang mit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit 12 Toten und mehr als 50 Verletzten zu klären. Ströbele ist Mitglied im Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr). Der Bundestag kommt am 18. Januar zur ersten regulären Plenarsitzung nach der Weihnachtspause zusammen.
Hamburgs Justizsenator weist Vorwürfe zurück
Unterdessen hat sich der Hamburger Justizsenator Till Steffen gegen den Vorwurf verwahrt, er habe aus Datenschutzgründen die Fahndung nach dem Berliner Attentäter Anis Amri über Facebook verzögert. Das sei falsch, sagte der Grünen-Politiker bei einer Sondersitzung des Justizausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft. Er sei erst am Morgen des 22. Dezember durch die Anfrage eines Journalisten über die Bitte des Generalbundesanwalts nach einer Facebook-Fahndung informiert worden. Er habe dann innerhalb von Minuten die Empfehlung ausgesprochen, das soziale Netzwerk zur Fahndung zu nutzen. Am 21. Dezember hatte die Bundesanwaltschaft den 24-jährigen Tunesier öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben. Steffen wies darauf hin, dass der Generalbundesanwalt die Facebook-Fahndung hätte anordnen können, ohne dafür die Hamburger Justizbehörde überhaupt zu brauchen. Die Opposition wirft Steffen widersprüchliche Aussagen vor.
cgn/sti (afp, dpa)