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PolitikEuropa

Fall Assange: Explosive Zeugenaussage

2. Oktober 2020

US-Agenten hätten über eine Vergiftung des Wikileaks-Gründers diskutiert, sagte ein Zeuge bei der Auslieferungsanhörung. Und gab weitere Details über die umfassende Ausspähung in der ecuadorianischen Botschaft preis.

England London Demonstration Unterstützer Julian Assange
Bild: Getty Images/H. Adams

Dass Julian Assange in seinem ecuadorianischen Botschaftsasyl systematisch ausspioniert wurde, hat die spanische Zeitung "El País" vor einem Jahr aufgedeckt. Diese Woche haben gleich zwei Zeugen in London eine Fülle von Details über die flächendeckende Ausspähung des Australiers öffentlich gemacht. In aus Sicherheitsgründen anonymisierten eidesstattlichen Erklärungen, verlesen von Assanges Anwälten am vorletzten Tag der Auslieferungsanhörung. 

Die Zeugen berichten von Abhörwanzen an Feuerlöschern, von Videoüberwachung in Echtzeit, von Konzentration der Ausspähung speziell auf Assanges Anwälte, vom Ausspionieren aller Besucher inklusive des Kopierens von Daten aus – beim Betreten der Botschaft abzugebenden – Tabletcomputern und Mobiltelefonen. Die Zeugen weisen auch die Richtung, in die das illegal gesammelte Material geflossen ist: in die USA. Einer der Zeugen berichtete sogar von Überlegungen seitens der Amerikaner, "extremere Maßnahmen" gegen Assange einzusetzen: Dabei soll über eine mögliche Entführung aus der Botschaft diskutiert worden sein - und über eine Vergiftung Assanges.

Wechsel auf die "dunkle Seite"

Die Aussagen stammen von Mitarbeitern der spanischen Sicherheitsfirma Undercover Global, bekannt als UC Global. Die war von der ecuadorianischen Regierung mit dem Schutz ihrer Botschaft in London beauftragt worden. Das war anscheinend aber nur der Türöffner für einen zweiten – und sehr viel lukrativeren – Auftrag, den UC-Global-Gründer David Morales im Sommer 2016 angenommen haben soll: Als Morales von einer Reise nach Las Vegas zurückkehrte, habe er seinen Mitarbeitern erklärt, die Firma sei "auf die dunkle Seite" gewechselt und spiele jetzt in der "ersten Liga" dank neuer "amerikanischer Freunde", die UC-Global Verträge in aller Welt verschaffen würden, so die Zeugen.

Im August 2019 wurde Morales in Spanien verhaftet, kam aber dann auf Kaution wieder frei. Ein Gericht in Madrid untersucht seither die Vorwürfe, Morales habe die Privatsphäre von Assange verletzt und illegal erlangte Informationen an US-Geheimdienste weitergegeben. Inzwischen hat sich auch die deutsche Generalbundesanwaltschaft eingeschaltet. Sie hat die spanischen Behörden aufgefordert, ihre Ermittlungsergebnisse auch an Deutschland weiterzuleiten. Der Grund: Auch deutsche Staatsbürger sind vermutlich Opfer der Überwachung geworden. Etwa Andy Müller-Maguhn, ehemals Sprecher des Chaos Computer Club und Freund von Julian Assange.

UC-Global-Gründer David Morales auf dem Weg zum Gericht in MadridBild: Emilio Naranjo/Agencia EFE/Imago Images

Auftrag: Windel stehlen

Das bestätigte in London diese Woche auch Zeuge zwei, ein IT-Experte, der seit 2015 für UC Global arbeitete. Demzufolge wurden das Gepäck Müller-Maguhns bei einem Besuch in der Botschaft geöffnet und sämtliche mitgeführten elektronischen Geräte fotografiert. 

Insgesamt erläutert Zeuge Nummer zwei detailliert, wie sich die Geschäftsfreundschaft mit den amerikanischen Partnern konkret praktisch auswirkte. So seien die Sicherheitskameras in der ecuadorianischen Botschaft ohne Wissen der Botschaftsmitarbeiter mit Mikrofonen ausgestattet worden. Dann sei ein Weg geschaffen worden, die Signale der Kameras von außerhalb in Echtzeit abzurufen. Der Zeuge berichtet vom flächendeckenden Verwanzen der Botschaft, vom Einsammeln der gespeicherten Daten alle zwei Wochen. Von immer neuen Forderungen der "amerikanischen Freunde" nach weiteren Informationen - bis hin zu der Aufforderung, die gebrauchte Windel eines Babys zu beschaffen. Die Amerikaner hätten herausfinden wollen, ob das Kind von Julian Assange sei. An der Stelle will Zeuge zwei nicht mehr mitgemacht haben: Er habe die Mutter informiert und gewarnt, das Kind nicht mehr in die Botschaft mitzunehmen. Inzwischen ist bekannt: Stella Morris ist die Partnerin von Julian Assange, und er ist Vater ihrer beiden Kinder.

Ausspähungsziel Anwälte

Vor allem aber sollen die US-Auftraggeber an den Anwälten des Wikileaks-Gründers interessiert gewesen sein - und an deren Unterredungen mit ihrem Mandanten. Weil Assange Überwachung vermutete – viele hielten ihn damals für paranoid –, hatte er ein Gerät installiert, das Hintergrundrauschen erzeugt, "white noise". Damit störte Assange so effektiv die Überwachung, dass die Geheimdienste technisch weiter aufrüsteten. Zeuge zwei berichtet, wie er persönlich Folien in die Ecken der Botschaftsfenster klebte. Damit sei das Abhören von außen per Lasermikrofon möglich geworden. Lasermikrofone zeichnen die Schwingungen der Scheiben bei Gesprächen auf – ohne "white noise". Die gesetzmäßig verankerte Vertraulichkeit der Gespräche von Assange und seinen Anwälten wurde offenbar systematisch und fortdauernd unterlaufen.

Der ehemalige britische Diplomat und Botschafter Craig Murray ist ein persönlicher Freund Julian Assanges. Er gehört zu den genau fünf Besuchern, die dem Auslieferungsverfahren im Gerichtssaal Nummer zehn in Londons zentralem Strafgerichtshof Old Bailey beiwohnen dürfen – obwohl der Zuschauerbereich 40 Plätze hat. Murray hat auf seiner Webseite Fotos der eidesstattlichen Erklärung von Zeuge zwei veröffentlicht. Die DW hat keine Möglichkeit, die Echtheit des als vertraulich bezeichneten Dokuments zu überprüfen. Aber viele Einzelheiten decken sich mit den Berichten anderer Prozessbeobachter und Medien.

Sieben Jahre lebte Julian Assange im Asyl in der Botschaft EcuadorsBild: Reuters/P.Nicholls

Kickbacks für die Diplomatin?

In dem von Murray veröffentlichten Dokument berichtet Zeuge zwei auch von monatlichen Besuchen in der UC-Global-Zentrale von einer Mitarbeiterin der ecuadorianischen Botschaft in London. Diese Frau sei auf Regierungsseite für die Sicherheit der Botschaft verantwortlich gewesen. Laut dem Zeugen hat sie von UC-Global-Chef Morales monatlich 20.000 Euro erhalten. Damit habe er sicherstellen wollen, dass der Auftrag zum Schutz der Botschaft bei UC Global bleibe. Um Probleme wegen des Bargelds beim Zoll zu vermeiden, sei die Botschaftsmitarbeiterin stets mit ihrem Ehemann angereist. Beim Grenzübertritt müssen Barmittel erst ab einer Höhe von 10.000 Euro angegeben werden.

Die vierwöchige Anhörung zum Auslieferungsbegehren der USA wurde am Donnerstag beendet. Die USA haben Anklage gegen Julian Assange in 18 Punkten erhoben. Am 4. Januar will Richterin Vanessa Baraitser ihr Urteil bekanntgeben. Und damit darüber entscheiden, ob der Enthüllungsjournalist für bis zu 175 Jahren Haft verurteilt werden kann.