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Politik

Fall Deniz Yücel: Entscheidung naht

27. Februar 2017

Der Staatsanwalt in Istanbul hat Untersuchungshaft für den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel beantragt. Spätestens am Dienstag fällt die Entscheidung, ob der Reporter im Gefängnis bleibt. Der Druck auf Ankara wächst.

Deniz Yücel
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Seit 13 Tagen wird der Türkei-Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" im Istanbuler Polizeipräsidium festgehalten. Die türkischen Behörden werfen dem 43-Jährigen mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauch vor.

Am Montagmittag ist Yücel dem Staatsanwalt vorgeführt worden, der im Anschluss daran Untersuchungshaft für den Journalisten beantragt hat. Ein Haftrichter müsse spätestens am Dienstag entscheiden, ob Yücel freikommt oder in einem Gefängnis auf seine Hauptverhandlung warten muss, so Yücels Anwalt Ferat Cagil. Nach türkischem Recht darf ein Verdächtiger im derzeit geltenden Ausnahmezustand für maximal 14 Tage ohne Richterbeschluss festgehalten werden. Deniz Yücel hatte sich am 14. Februar der Polizei gestellt und wird seitdem festgehalten.

Deutsche Stimmen gegen Inhaftierung

Seit Bekanntwerden des Vorfalls am 18. Februar haben sich deutsche Politiker für Yücel eingesetzt. Aus dem Bundeskanzleramt hieß es, Angela Merkel habe am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim zu verstehen gegeben, dass sie eine faire und rechtsstaatliche Behandlung für Deniz Yücel erwarte. Außenminister Sigmar Gabriel bezeichnete die lange Festsetzung gegenüber der "Welt am Sonntag" als "weder nötig und noch fair".

Ilkay Yücel, Schwester des inhaftierten "Welt"-Korrespondenten, auf einer Solidaritätskundgebung am vergangenen Wochenende im hessischen Flörsheim, Yücels Heimatstadt.Bild: picture alliance/dpa/A. Arnold

Gegenüber der DW äußerte sich Niels Annen, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, am Sonntag zufrieden mit dem Einsatz des Außenministers: "Sigmar Gabriel hat sich außerordentlich engagiert und positioniert. Das kann man erwarten, aber ich glaube, er hat das wirklich auch mit hoher persönlicher Glaubwürdigkeit getan." Annen hatte gemeinsam mit dem außenpolitischen Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, den türkischen Botschafter in Berlin in einem offenen Brief um Unterstützung gebeten. 160 Abgeordnete aller Fraktionen hatten den Brief unterzeichnet.

Kritik an Bundesregierung

Vielen genügt das jedoch nicht. Sie fürchten, die Bundesregierung halte sich angesichts der ohnehin angespannten Beziehungen zu Ankara zurück. So mahnt Sheila Mysorekar, Vorsitzende des Journalistenpools "Neue deutsche Medienmacher", gegenüber der DW: "Die Sicherheit von Medienschaffenden - in diesem Fall eines deutschen Auslandskorrespondenten - darf nicht zugunsten der engen Beziehungen zur Türkei zurückgestellt werden."

Das sieht auch Ines Pohl, neue Chefredakteurin der DW so: "So lange auch nur ein Journalist in türkischer Haft ist, so lange kann die Türkei nicht als normaler demokratischer Partner behandelt werden."

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Anfang Februar in AnkaraBild: Reuters/Ho

Seit dem Putschversuch im Juli 2016 wurden in der Türkei viele Oppositionelle und Regierungskritiker verhaftet, darunter auch zahlreiche Journalisten. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" und der "Internationalen Journalisten Föderation" (IFJ) wurden seit dem Putschversuch im Juli 2016 deutlich mehr als 100 Journalisten verhaftet und rund 150 Medienhäuser geschlossen.

Angesichts diese Zahlen übt die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen harsche Kritik am Vorgehen der deutschen Regierungschefin: "Während eine Verhaftungswelle von Linken und Demokraten am Bosporus die nächste jagt, intensiviert Bundeskanzlerin Angela Merkel die sicherheitspolitische Kooperation mit der Türkei", schreibt Dagdelen der DW. "Wohlwissend, dass Erdogan wie im Fall von Deniz Yücel seinen Kampf gegen den Terrorismus als Kampf gegen Journalisten, Demokraten und Kurden in der Türkei führt."

Schwierige Verhandlungen

Auch der Kölner SPD-Abgeordnete und Außenpolitiker Rolf Mützenich fordert von Bundeskanzlerin Merkel, sie müsse gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan deutlich machen, "dass Deutschland nicht tatenlos zusehen kann und wird, wenn sich die Türkei weiter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weg und zu einer Präsidialautokratie entwickelt."

Fraktionskollege Annen dagegen weist darauf hin, dass gerade die deutliche Kritik aus Berlin an der Türkei die Ausgangssituation verkompliziert habe. Gleichzeitig sagt er, durch den Ausnahmezustand in der Türkei seien bürgerliche Freiheitsrechte nicht gänzlich abgeschafft: "Deswegen besteht die Bundesregierung zu Recht darauf, dass in diesem Fall mindestens die türkischen Standards angewandt und eingehalten werden."

Gleichzeitig warnt Annen aus einem weiteren Grund davor, den Einfluss und den Handlungsspielraum der Bundesregierung zu überschätzen: Deniz Yücel hat sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Die türkischen Behörden könnten sich also einfach darauf berufen, dass die Bundesregierung mit einem türkischen Staatsbürger nichts zu tun habe. "Es gibt keinen Knopf, auf den wir drücken können, kein Instrument, mit dem wir die Freilassung bewirken können", so Annen im Gespräch mit der DW. "Das sind rechtlich gesehen Kulanzfragen."

Angriff auf die Meinungsfreiheit

Der Fall Deniz Yücel geht indes nicht nur für ihn selbst und seinen Arbeitgeber, den Axel Springer Verlag, über eine diplomatische Verwicklung hinaus. "Der Kampf für die Freilassung unseres Kollegen ist viel mehr als der Kampf um einen einzelnen Journalisten", sagte die designierte DW-Chefredakteurin Ines Pohl: "Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit und damit ein Angriff auf die Demokratie."

Unklare Aussichten für Deniz Yücel

Wie der Haftrichter über Deniz Yücel entscheiden wird, ist derzeit unklar. "Wir müssen einfach darauf hoffen, dass unsere Argumente gehört werden", sagt SPD-Mann Niels Annen.

SPD-Sprecher Niels Annen:"Wir müssen einfach darauf hoffen, dass unsere Argumente gehört werden."Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Im April 2016 wurde die niederländisch-türkische Journalistin Ebru Umar von der türkischen Polizei in ihrem Urlaubsappartement unter dem Vorwurf festgenommen, sie habe Präsident Erdogan beleidigt. Kurz darauf wurde Umar freigelassen, durfte jedoch erst gut zwei Wochen später das Land verlassen.

Das war vor dem Putschversuch gegen die AKP-Regierung. Inzwischen befindet sich die Türkei im Ausnahmezustand, und Yücel steht unter Terrorverdacht. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann äußerte sich dennoch hoffnungsvoll gegenüber der DW: "Die Türkei und Deutschland sind NATO-Partner und langjährige Verbündete, die in einem permanenten Dialog stehen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es gelingt Deniz Yücel frei zu bekommen."

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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