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PolitikEuropa

Europarat setzt auf Moskaus Hilfe

Roman Goncharenko
30. Oktober 2020

Der Europarat will die Vergiftung Alexej Nawalnys untersuchen - und drängt dabei auf Unterstützung aus Moskau. Wie diese aussehen könnte, darüber sprach die DW mit dem Berichterstatter des Europarates, Jacques Maire.

Alexej Nawalny
Der im August vergiftete russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Bild: picture-alliance/dpa/AP/Instagram/Navalny

Der russische Oppositionspolitiker Alexey Nawalny wurde im August mit einem chemischen Kampfstoff aus der "Nowitschok"-Gruppe vergiftet. Das bestätigten Labore in Deutschland und anderen Ländern. Doch russische Behörden weigern sich, ein Verfahren einzuleiten. Moskau bestreitet jegliche Beteiligung. Die erste und bisher einzige internationale politische Organisation, die den Fall untersuchen will, ist der Europarat. Der französische Politiker Jacques Maire wurde Mitte Oktober zum Sonderberichterstatter vor dem Ausschuss für Rechtsfragen und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ernannt. Die DW sprach mit dem 58-jährigen französischen Abgeordneten über seine Mission.

DW: Herr Maire, in seiner Heimat Russland gibt es keinerlei Ermittlungen zur Vergiftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Deutschland, wo er behandelt und wo bei ihm das Nervengift "Nowitschok" nachgewiesen wurde, darf aus rechtlichen Gründen keine eigenen Ermittlungen einleiten. Warum hat der Europarat eine Untersuchung angestoßen?

Jacques Maire, Sonderberichterstatter des EuroparatesBild: Vincent Isore/IP3press/Imago Images

Jacques Maire: Es ist nicht das erste Mal, dass der Europarat eine derartige Untersuchung beschließt. Es handelt sich ja um keine rechtsprechende Untersuchung, sondern um einen politischen Bericht. Dieser ist dazu da, Beweise, Aussagen der Augenzeugen und andere Indizien zu sammeln, die dann durch den Europarat eine Art offiziellen Status bekämen. Jedes Mal wenn es einen großen Bruch der Menschenrechte oder der Rechtsstaatlichkeit gibt, sind wir da, um die Lage zu beobachten. Das ist die Rolle des Europarats. Wir hatten in der Vergangenheit einen Bericht über die Ermordung des ukrainischen Journalisten Georgij Gongadse, oder – das ist nicht so lange her – über die Ermordung von Daphne Caruana Galizia auf Malta. Auch in Russland gab es Präzedenzfälle, etwa die Ermordung von Anna Politkowskaja. In solchen Fällen erstellen wir einen Bericht, mit dem wir versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.

In allen von Ihnen erwähnten Beispielen gab es Ermittlungen in den Ländern, in denen die Verbrechen begangen wurden. Im Fall Nawalny ist das anders. Wird das Ihre Arbeit schwieriger machen?

Natürlich. Es gab das Beispiel des 2015 ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemtsow, bei dem der Europarats-Berichterstatter der Zugang zu russischem Territorium verweigert wurde. Jetzt setzen wir auf eine Zusammenarbeit mit der russischen Seite. Russische Parlamentsmitglieder sind in die Parlamentarische Versammlung des Europarats zurückgekehrt. Ich glaube, sie wollen zeigen, dass sie sich an die Regeln der Organisation halten. Dieser Bericht wurde von einer breiten Mehrheit initiiert, alle politischen Gruppen haben sich dafür ausgesprochen. Natürlich haben die Russen den Beschluss nicht unterstützt, sie haben aber auch nicht dagegen gestimmt. Mein Gefühl sagt mir, dass sie sehr wohl die Legitimität dieses Ansatzes verstehen. Wir streben an, nach Russland zu reisen, zu verschiedenen Orten, nah an die Zeugen heran. Das setzt Kontakte mit den russischen Behörden voraus.

Es gibt viele involvierte Akteure, etwa die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die einenBericht zu Nawalny gemacht hat, aber auch Länder wie Deutschland, Frankreich, Russland. Wir wollen für jede Kommunikation offen sein – für investigative Journalisten, Zeugen, Whistleblower, die uns etwas mitzuteilen haben. Alles, was wir sammeln, soll dabei helfen, sich eine Meinung zu bilden. Was rechtliche Konsequenzen angeht, zum Beispiel ob es zu einer Anklage kommt, das liegt in der Hand anderer Organisationen. 

Herr Nawalny hat die russischen Behörden aufgefordert, seine Kleidung zurückzugeben, die er in Russland getragen hatte, als er zusammenbrach. Er vermutet, dass darauf Giftspuren zu finden sein könnten. Werden auch Sie versuchen, Zugang zu seiner Kleidung zu bekommen?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die Russen uns den Zugang zu allen Informationen ermöglichen, die sie haben. Sie haben sich basierend auf bestimmten Beweisen entschieden, kein Verfahren einzuleiten. Wir möchten, dass sie diese Beweise mit uns teilen. Zugang zu Kleidung, Dokumenten, Krankenhausakten – das alles ist sehr wichtig, um die Wahrheit herauszufinden.

Wie lange glauben Sie wird es dauern, Ihren Bericht vorzubereiten?

Es ist sehr wichtig, den Job ordentlich zu machen. Wir werden quartalsweise dem Ausschuss berichten. Das ganze Jahr 2021 werden wir uns mit Zwischenberichten beschäftigen.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat vorgeschlagen, eine internationale Ermittlung mit Experten aus Russland, Deutschland, Frankreich und anderen Ländern durchzuführen. Was halten Sie von dieser Idee?

Es ist sehr wichtig, eine internationale Ermittlung mit Experten durchzuführen. Ich glaube aber, dass es nur möglich ist, wenn es auf der russischen Seite eine völlige und transparente Zusammenarbeit gibt. Wenn die Russen uns das garantieren, dann ist es eine gute Idee. Aber das bleibt abzuwarten.

Der Europarat in Straßburg will einen unabhängigen Bericht präsentieren - dies aber wohl nicht vor 2022Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Was ist für Sie das Schwierigste in diesem Fall?

Es ist immer schwierig in solchen Fällen, das haben wir im Fall Nemtsow erlebt. Ich glaube, wir sind jetzt in einer etwas besseren Lage. Wir haben absichtlich keinen provokativen Ansatz gewählt, ich stehe auch in Kontakt zu den Mitgliedern der russischen Delegation. Ich verlasse mich darauf, dass sie unsere guten Botschaften an die russischen Behörden weitergeben. Aus meiner Sicht steht für die Russen ihre schwer beschädigte Reputation auf dem Spiel - genauso wie der Status Russlands im Europarat. Normalerweise kooperieren Delegationen völlig. Wenn das nicht der Fall ist, dann wirft das Fragen auf.

Am schwierigsten sind die seltsamen Umstände dieses Falles. Jemand wurde offenbar vergiftet, kollabierte im Flugzeug in Sibirien, es gab eine dramatische Notlandung. Dann wurde diese Person in die Notaufnahme gebracht und dann schnell nach Deutschland ausgeflogen. Damals gab es kein kooperatives Verhalten der Russen bei der Aufklärung. Das hat einen Schatten auf die gesamte Lage geworfen. Der zweite für mich schwierige Punkt ist die Rechtsstaatlichkeit in Russland. Man sollte nicht bedroht werden, wenn man mit dem Europarat zusammenarbeitet. Ich möchte sicherstellen, dass das für alle Menschen gilt, die mit uns zusammenarbeiten möchten.

Die Fragen stellte Roman Goncharenko.