Missachtung der Menschenrechte
3. Januar 2010Knapp 30.000 Fälle, in denen Russland Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wird, warten am Gerichtshof in Straßburg auf ihre Bearbeitung. Dieser Gerichtshof prüft, ob die 47 Staaten des Europarates die von ihnen ratifizierte Menschenrechtskonvention einhalten. Die Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, gemeinsame europäische Grundsätze sowie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt Europas zu fördern.
Traurige Spitzenreiter
In den Beschwerden gegen Russland geht es zum Beispiel um Tschetschenen, die verschleppt wurden, ohne dass die Behörden etwas dagegen getan oder die Taten wenigstens aufgeklärt hätten. Es geht um Misshandlungen von Strafgefangenen und andere unmenschliche Behandlungen durch den Staat.
Etwa 11.000 Beschwerden gegen die Türkei, knapp 9000 gegen Rumänien und gut 8000 gegen die Ukraine - das sind die weiteren, traurigen Spitzenreiter der Statistik. Und auch hier geht es oft um Misshandlungen und unmenschliche Haftbedingungen, aber auch um gewaltsam aufgelöste Demonstrationen oder verbotene Zeitungen und damit um Verstöße gegen die Meinungsfreiheit.
Insgesamt machen die Fälle, die diese Länder betreffen, schon über die Hälfte aller unbearbeiteten Menschenrechtsbeschwerden aus.
Kein Vertrauen in heimische Justiz
Ein Grund für diese Häufung von Beschwerden ist ein gewisses Gefälle bezüglich des Wohlstandes, aber auch Rechtstraditionen spielen eine Rolle, glaubt Axel Müller-Elschner, Jurist am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Westeuropäische Staaten versuchten schon seit 40 Jahren, den Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention nachzukommen, erklärt Müller-Elschner. Die ost- und südosteuropäischen Staaten hätten einfach Nachholbedarf.
Die Beschwerdeflut aus dem Europaratsmitglied Rumänien erklärt die deutsche Richterin Renate Jaeger mit einem generellen Misstrauen der rumänischen Bürger gegen ihre Justiz. Ganz gleich, ob dieses Misstrauen berechtigt sei oder nicht, es sei eben da, hat Jaeger beobachtet. Daher wollten die Menschen ihre Anliegen in Europa geklärt haben, so die Richterin.
Auch andere Staaten wie Slowenien, Georgien, Moldawien oder Bosnien-Herzegowina haben gemessen an ihrer Bevölkerungszahl besonders viele Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen.
Ein Richter für 30.000 Fälle
Ob die in Straßburg vorgebrachten Menschenrechtsverletzungen jemals aufgeklärt und geahndet werden, ist fraglich. So mancher Beschwerdeführer ist vielleicht schon tot, wenn sein Fall auf die Gerichtsagenda kommt. Zudem muss an jedem Fall ein nationaler Richter beteiligt sein.
Da wäre es wohl sinnvoll, die Zahl der nationalen Richter aus manchen Ländern - wie beispielsweise Russland - aufzustocken. Dafür bedürfe es aber eines neuen Abkommens, dem 47 Staaten zustimmen müssten, erläutert Renate Jaeger. Doch ob alle Staaten diese Einsicht haben, hält die Deutsche für unwahrscheinlich.
Reform unerwünscht?
Wie schwierig Reformen in einem internationalen Gremium wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind, zeigt das so genannte 14. Protokoll. Es steht für eine wichtige Reform des Europäischen Gerichtshofs, durch die er effizienter arbeiten soll. Zum Beispiel sollen offensichtlich unzulässige Beschwerden von einem Einzelrichter abgewiesen werden können. Eindeutige Fälle sollen von drei statt von bisher sieben Richtern entschieden werden. Die Amtszeit der Richter soll auf neun Jahre verlängert werden - ohne Möglichkeit der Wiederwahl. Doch bislang ist nur ein kleiner Teil dieses 14. Protokolls umgesetzt worden - denn seit 2004 blockiert Russland diese Reform.
Autor: Daphne Grathwohl
Redaktion: Nicole Scherschun